Ich will das mal für Pille, Jazzpiano und mich abwandeln: Höre nicht auf die Masse,
schon gar nicht höre auf die Kritiker, höre auf den Kuenstler"
hier eine Zugabe zum Dessert,
Hélène Grimaud: Die Anthologie
Ein überschätzter Star
Christiane Bayer
Hélène Grimaud machte in den letzten Jahren eher durch eine perfekte Vermarktung ihrer Person als durch ihre musikalischen Leistungen von sich reden. Neben ihrer Biografie „Wolfssonate“ und ihrem Engagement in einer Wolfsaufzuchtstation in der Nähe von New York war es auch immer ihr kaprizöses Verhalten, das für viel Gesprächsstoff sorgte. Oft beschworen wird gerne ihre anrührend wirkende Schüchternheit, mit der sie sich zur zerbrechlichen Kindfrau stilisiert. Ihr Publikum rätselt regelmäßig, ob sie ihre Auftritte bestreiten kann und wenn ja, in welcher psychischen Verfassung sie sich befindet. Mit diesem geschickten Schachzug lässt sie ihr exzentrisches Gebaren als Verkörperung eines entrückten Genies werden.
Dass sie früher als eine der vielversprechendsten pianistischen Nachwuchshoffnungen gehandelt wurde, gerät bei so viel PR-Gerummel leicht in Vergessenheit. Ihre frühen Aufnahmen wurden auf Grund ihrer hohen Expressivität gefeiert, und die Grimaud sorgte mit unkonventionellen Interpretationen für Aufsehen. Nachdem sie 2004 zur Deutschen Grammophon gewechselt ist und dort einige sehr durchwachsene Einspielungen auf den Markt gebracht hat, legt nun Warner Classics einige ihrer früheren Aufnahmen für Erato und Teldec Classics neu auf. In einer sechser CD-Box sind ihre Einspielungen der Klavierkonzerte von Brahms, Beethoven, Schumann, Ravel, Gershwin und Rachmaninov zusammengefasst. Zusätzlich befinden sich noch einige solistische Stücke von Brahms, Rachmaninov sowie die „Burleske“ von Richard Strauss für Klavier und Orchester in der Sammlung. Die Aufnahmen entstanden zwischen 1995 und 2001. Sie bilden eine recht lange Zeitspanne im künstlerischen Leben der Grimaud ab.
Als erstes Fazit sei vermerkt, dass die CDs geradezu exemplarisch für ihren bisherigen musikalischen Reifungsprozess stehen. Wie auch ihre aktuellen Konzerte und Studioproduktionen gilt auch hier: ihre Leistung ist durchwachsen. Zu bemüht, überzeichnet wirkt Vieles, als dass sie mit ihren Interpretationen überzeugen könnte. Sie spielt auf pianistisch hohem Niveau, doch fehlt oft der große Bogen, der ihre Interpretationen zusammen halten könnte und der sie aus der Masse herausheben würde, denn auf einem ähnlichen Stand dürften die meisten Musikhochschulabsolventen sein.
In ihrer Interpretation des Schumann Klavierkonzerts op.54 verharrt sie meist an der Oberfläche und versucht, mit plastischen Akzenten Tiefe zu suggerieren. Begleitet von David Zinman und dem Deutschen Sinfonie-Orchester Berlin scheint sie nach klaren Strukturen zu suchen, die ihr Halt geben könnten, doch stattdessen zerfasert sie die Partitur und treibt ins beliebig Uferlose. Deutlich besser ist ihr Richard Strauss „Burleske“ gelungen, in der sie mit zartem, kontrolliertem Anschlag gegen die orchestralen Klangmassen anspielt. Auch bei den verschiedenen Rachmaninovs (Klavierkonzert Nr.2, „Corelli“-Variationen u.a.) merkt man, dass sie hier eindeutig in ihrem Element ist und der Russe zu ihren erklärten Lieblingskomponisten zählt. Neben konventionell heruntergespielten Passagen gibt es hier immer wieder poetische Momente, in denen die Grimaud duftig über die Tasten fliegt. Doch schon bei Beethoven scheint sie jeder gestalterische Wille wieder verlassen zu haben. In dem mit Kurt Masur und dem New York Philharmonic Orchestra 1999 entstandenen Live-Mitschnitt wirkt sie fahrig und unkonzentriert. Und auch Beethovens Klaviersonaten op.30 und op.110 sind spannungslos und blass. Brahms Fantasien op.116 spielt sie technisch perfekt aber langweilig, ein Urteil, welches leider für viele in der Box vereinten Aufnahmen gilt.
George Gershwins Klavierkonzert in F-Dur fordert eigentlich förmlich einen jazzig flexiblen Anschlag heraus, doch marschiert Grimaud so zügig durch ihren Part, dass sie auf nuancierte Stimmungswechsel nicht einzugehen vermag. Dies ist weniger schwerwiegend in den Tuttipassagen, in denen das Baltimore Symphony Orchestra hauptsächlich den Ton angibt, doch sobald das Orchester schweigt, fehlen der Solistin Netz und doppelter Boden. Sie musiziert es brav herunter, ohne die erschütternden Brüche des Werkes herauszuarbeiten. Man kann diese Lesart unaufgeregt gradlinig nennen aber auch einfallslos und uninspiriert. Da hilft es dann auch nichts, dass David Zinman das Orchester zu immer dramatischeren Ausbrüchen hochpeitscht.