Was Sekten sind und nicht können doch wirklich nur die entsprechenden Fachstellen beurteilen
Dieser Auffassung kann man sein; ich bin es nicht, denn ich finde, jeder ist verpflichtet, mit den von ihm verwendeten Begriffen reflektiert umzugehen, weswegen ich dir auch danke, dass du deinen "Sekten"-Beitrag gelöscht hast.
Denn auch mit dem Begriff "Sekte" wird man vorsichtig umgehen. In den Zeiten des Staatskirchentums von der Spätantike bis zur Aufklärung war der Begriff juristisch gut fundiert und bezeichnete jedwede Strömung, die vom staatskirchlichen Dogma abwich. Daher waren z.B. auch die reformatorischen Bestrebungen wie Luthertum und Calvinismus vor dem Augsburger Reichstagsabschied von 1555 reichsrechtlich Sekten oder Häresien (die Calvinisten sogar noch etwas länger). Aber schon dieses Beispiel zeigt, dass Grundlage solcher Abqualifizierungen oft politischer Natur waren, und das gilt auch schon für ein sehr frühes Beispiel, nämlich die Entscheidung des Trinitätsstreits auf dem Konzil von Nikaia, die letztlich von Konstantin gegen den bis dahin "politisch gleichberechtigten" Arianismus durchgedrückt wurde.
Mit dem Wegfall der staatskirchlichen Grundlagen wurde "Sekte" zu einem derogativen Wort, mit dem Institutionen des religiösen Mainstream heterodoxe Anschauungen brandmarkten, man könnte auch sagen, den Mangel des besseren Arguments durch eine Denuziationsstrategie ersetzten. Da sich das nun schlecht mit dem modernen Toleranzgedanken und einer staatlichen Garantie von Religionsfreiheit verträgt, sollte man sich wohl auf eine nicht-religiöse, sozialwissenschaftliche Definition von Sekte verständigen, die unter Sekte eine weltanschaulich motivierte Vereinigung versteht, welche die sozialen und politischen Freiheiten ihrer Mitglieder zwangsweise beschränkt, sei es hinsichtlich der Meinungsäußerung, der Bewegungs- oder wirtschaftlichen Freiheit. Vermutlich würden die Zeugen Jehovas teilweise unter so einen Begriff fallen und manche extreme freikirchlichen Gruppierungen auch. Für die meisten Freikirchen dagegen dürfte nichts anders gelten, als was in ihrem Namen zum Ausdruck kommt - sie sind christliche Kirchen, die freiwillig und um irgendeiner putativen Reinheit der Lehre willen auf die grundgesetzliche Privilegierung der Traditionskirchen verzichten. Wenn jemand glaubt, in einer solchen Vereinigung dem Himmelreich näher zu sein, sollte man ihn einfach respektvoll gewähren lassen und nicht mit einem obsoleten Kampfbegriff denuzieren.