Fünf Kompositions-Prinzipien bei Prokofiev - wer kennt sie?

Stilblüte

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Vor Jahren war einer meiner Professoren in Russland und unterhielt sich dort mit einem anderen Pianisten und / oder Klavierlehrer über Prokofiev. Dort erzählte man von in Russland "allgemein bekannten" Kompositionsprinzipien, die Prokofievs Musik ausmachen. Nicht in dem Sinne, dass Prokofiev sich diese Liste beim Komponieren neben das Notenblatt gelegt und alle möglichst gleichverteilt eingebaut hätte :003:. Sondern eher als nachträgliche Sicht auf charakteristische Merkmale seines Stils, deren Herausarbeitung es strukturierter oder leichter macht, die Musik zu erfassen und gestalten.

Die fünf Prinzipien sind:

1. Prinzip: ergibt sich aus der Komposition: klare Strukturen sind zu sehen, zu hören
2. Prinzip: rhythmische Gestaltung, Eindringlichkeit
3. Prinzip: die harmonische Klanggestaltung (auch verfremdende Töne)
4. Prinzip: eine melodiöse Linienführung
5. Prinzip: die kuriose Floskel


Nun gibt es zwei Fragen von mir, vor allem an alle osteuropäischen oder russischen Mitglieder hier, bzw. solche, die in dieser Weise pianistisch sozialisiert oder gebildet sind.

1. Da das Gespräch auf Englisch stattfand, wurden die Begriffe mehrfach übersetzt. Erst von Russisch auf Englisch, dann von Englisch auf Deutsch. Sie sind also eher eine umschreibende Erinnerung als schlagkräftige Bezeichnungen. Kennt jemand, falls vorhanden, die Originalworte und ggf. eine genaue Übersetzung?

2. Wie sehr ist diese Idee in Russland üblich, gebräuchlich, allgemein anerkannt, gar "musikalisches Allgemeinwissen" ? Dass man diese Ideen in der Musik finden kann, steht außer Frage. Aber man kann auch in der Musik anderer Komponisten Prinzipien finden, deshalb ist es trotzdem nicht so üblich, sie auf diese Weise aufzulisten. Ich habe ja ein Jahr in Russland studiert und auch Prokofiev gespielt, da ist mir dieses Schema nicht begegnet. Aber das muss gar nichts heißen, vielleicht hat meine damalige Lehrerin es einfach nur nicht so klar und geordnet geäußert, sondern nur grundsätzlich nach diesen Ideen unterrichtet?...

viele Grüße
Anne
 
...sicherlich enthält die beliebte Suggestion diabolique zahlreiche (für Prokovevs frühe Werke typische) "kuriose Floskeln"
 
@alibiphysiker d.h. du denkst das in Richtung Momente/Einsprengsel von verfremdender, grotesker Wirkung?
 
Ich glaube, damit ist tatsächlich auch das gemeint, was man als grotesk bezeichnen würde. Komisch, lustig, überzeichnet... Aber ich bin nun gespannt, ob jemand diese "Prinzipien" wiedererkennt!
 
Diese Einteilung stammt von Prokofieff selbst, aus seiner Autobiographie. Die Begriffe sind hier etwas kurios geworden durch die mehrfache Übersetzung.
Wenn ich mich richtig erinnere wird diese Textstelle in Reclams Klaviermusikführer wörtlich zitiert.
Ich schreibe aus der Erinnerung, da ich gerade nicht zu Hause bin und nachschlagen kann!
 
Wäre toll, wenn du das später / morgen noch tun könntest! Danke schonmal für diese Info!
 

Hier schon Mal in besserer Diktion!
 
Diese Einteilung stammt von Prokofieff selbst, aus seiner Autobiographie.
du meinst sicher das hier: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/YK5QPLSP2SZPQDLO3XR7AWD26IQYBNWF

im wesentlichen entsprechen die fünf genannten "Prinzipien"
1. Prinzip: ergibt sich aus der Komposition: klare Strukturen sind zu sehen, zu hören
2. Prinzip: rhythmische Gestaltung, Eindringlichkeit
3. Prinzip: die harmonische Klanggestaltung (auch verfremdende Töne)
4. Prinzip: eine melodiöse Linienführung
5. Prinzip: die kuriose Floskel
dem, was im Tante Wiki Artikel als "4 Linien" bezeichnet wird, denen dann als 5. noch Humor/Komik/Ironie etc beigesellt wird: https://de.wikipedia.org/wiki/Sergei_Sergejewitsch_Prokofjew#Stil also Neoklassizismus, Motorik/Rhythmik, "Modernismus", Melodik und ergänzt Humor.

...wann und wo hatte P. seinen autobiografischen Text geschrieben, und wo und wann wurde er publiziert? Man darf ja nicht vergessen, dass P. manches Malheur mit dem sowjetischen Staat hatte...
 
öhm, gelten diese Prinzipien nicht für die meisten Kompositionen? (außer "kuriosen Floskeln" ).
Warum müssen sie extra gelistet werden?
 

...wann und wo hatte P. seinen autobiografischen Text geschrieben, und wo und wann wurde er publiziert?
Zitiert wird er auf jeden Fall in der Publikation "Prokofiev's Piano Sonatas: A Guide For The Listener And The Performer" von Boris Berman, Yale University Press, New Haven And London - und zwar gleich auf den Seiten 10 und 11 des ersten Kapitels "Prokofiev's Life and Musical Language": https://books.google.de/books?id=uQ...#v=onepage&q=prokofiev autobiographie&f=false
Unter Berücksichtigung von Werkbeispielen für die "vier Linien" durch Prokofiev ergänzt Berman eine fünfte "groteske" Linie, die den Platz der erwähnten "kuriosen Floskel" einnehmen dürfte. Die oben verlinkte Quelle ist zwar nur eine Leseprobe, enthält aber die für diesen Sachverhalt wesentlichen Ausführungen.

LG von Rheinkultur
 

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