Frustrationstoleranz und Kosten-Nutzen Rechnung

  • Ersteller des Themas Alter Tastendrücker
  • Erstellungsdatum

Hallo,
es würde mich interessieren, wie Ihr die folgende Betrachtung seht:
Man kann ja beim Erlernen eines neuen Stücks so eine Art Kosten-Nutzen Rechnung aufmachen. Also Cats Dream vom Blatt gespielt, großer Erfolg bei den Anwesenden (1:1 Aufwand zu Wirkung)!
Chopin: Etüde op. 10,2: ein Jahr täglich 30 bis 50 Minuten üben, dann 90 Sekunden spielen und ab der zweiten Seite nur noch Gewürge, weil der Flügel überraschend schwer geht (Verhältnis potenziell unendlich zu Null)! Mit der Terzenetüde kann man ähnliche Erlebnisse sammeln!
Was ist noch akzeptabel zwischen diesen Extremen?
Man wird für die einfachsten Dinge bewundert, das Bewunderungspotential deckelt sich dann aber bei den klaviertechnischen Fähigkeiten der Anwesenden. Das heißt, da kommt dann keine extra Bewunderung mehr für schwere Übungen drauf.

Und der Klavierlehrer kritisiert nur (wenn er Ahnung hat). :-D

Beim Üben fahre ich als instruktionsloser Amateur die Strategie "leichte Kost, aber davon viel und abwechslungsreich". Miniaturen, die ich vor zwei bis drei Jahren geübt habe, waren leicht genug, um sie heute mehr oder weniger vom Blatt runterzutippen und auch mal eines der schnelleren Stücke ohne großen Aufwand durch Üben richtig auf Tempo zu bringen (wo man seinerzeit bei vielleicht 70-80 % den Mälzel einen guten Mann sein ließ).

Dieses "Repertoire" geht also nicht verloren, während die halbjährigen Mammutprojekte nach dem Weglegen mehr oder weniger dem Vergessen anheimfallen, wenn nicht regelmäßig aufgefrischt wird. Letztere bringen einen aber unter fachkundiger Betreuung sicherlich deutlich weiter.
 
@Peter: Üben kann wie spielen sein, nur in kleineren Segmenten.
Wenn Du z.B. eine knifflige Stelle übst, dann sollte ein Ziel sein, immer zu musizierern, auch wenn man mal nur eine Hand spielt und Passagen wiederholt.
Was ich am Üben klasse finde, ist, daß man echt detektivisch arbeiten muß. Die Suche nach dem richtigen Fingersatz. Die Frage, warum klappt denn diese Stelle nicht, das Ausprobieren, mal die Haltung zu ändern (Beispielsweise sind manche Stellen einfacher zu erfassen, wenn man die Finger mehr Richtung schwarze Tasten schiebt). Eine Stelle mal langsam, mal schnell.
Es ist ein weitreichendes und sehr spannendes Thema, wie man übt.
Ich weiß gerade nicht, ob es für Deine Problematik irgendwo einen Faden gibt.
Ich übe total gern. Und manchmal weiß ich, daß es ewig lang nicht klappt und dann, als hätte jemand einen Spruch getan, läuft´s plötzlich. Unser Hirn ist schon speziell....
 
ein Jahr täglich 30 bis 50 Minuten üben
Ganz klar dies ist ein Stück über dem persönlichen Leistungszenit, zu schwer. Diese Vorgehensweise ist weder effizient noch optimal.
Eigentlich um deine eingestellte Frage richtig beantworten zu können, muss man aber deine Ziele kennen. Also was sind deine Ziele am Klavier?
Bsp: Wenn du sagst ich spiele zum Spaß und dir macht es Spaß über ein Jahr dieses Stück zu üben, das dann nicht geht, ja dann machst aus der Sicht des Spaß Faktors alles richtig ...
Somit ist alles relativ, aber es sollten immer Ziele dahinter liegen. Keine Ziele -> ganz schlecht
 
@Tastatula , ja alles richtig und schon tausend mal gelesen*. Lediglich die Lust am Üben will nicht kommen (irgend wann war die mal da, kann mich aber kaum noch dran erinnern :-D ).
Ist aber auch nicht schlimm... dafür habe ich Spaß daran, "Klavierbasteln" zu üben (da ist auch sehr viel Dedektivarbeit dabei). Da ist die Kosten-Nutzen-Rechnung noch viel schlimmer. :-D



*) ich frage mich sehr oft, wenn ich so viel Spaß am Üben hätte wie viele hier schreiben, wie verdammt gut ich dann wäre :lol:
 
Da ist die Kosten-Nutzen-Rechnung noch viel schlimmer.
Kommt darauf an, wie Du den Nutzen bewertest. Wir Amateure, die wir unser Geld anderweitig verdienen, können das wesentlich entspannter sehen. Ich würde sagen: Das Klavierüben hat mich in den vergangenen 3 Jahren für Instrumente und Unterricht einen niedrigen fünfstelligen Betrag gekostet (Kosten für Noten fallen da gar nicht mehr ins Gewicht). Ich habe nicht einen Cent eingenommen. Die Kosten-Nutzen-Analyse ergibt für mich trotzdem: Jeder einzelne Euro hat sich gelohnt. Hobby halt.
 
Was ist für einen Durchschnittsmenschen (das heißt fast null musikalisches Hintergrundwissen) einfacher hörend zu verstehen - eine einfache Kadenz T-S-D-T, die nur leitereigene bzw. harmonieeigene Töne in der Begleitung nutzt, und die Begleitung so langsam fortschreiten lässt, dass die Melodie darüber klar hervorkommt? Oder Akkordfortschreitungen a la Max Reger, mit Harmoniewechsel alle Achtelnote, einer irgendwo im vollen Akkordklang versteckten Melodie in vollgriffigem Satz? Was von beidem wird vom nichtmusikalischen unerfahrenen Hörer also intuitiv mehr geliebt?

Und welches von beidem ist stinkeeinfach zu spielen, und welches nicht?

Da drängt sich so eine gewisse Korrelation bezüglich dieser unbefriedigenden Kosten-Nutzen-Rechnung schon auf, wobei das obige Extrembeispiel natürlich nur stellvertretend für musikalische Einfachheit bzw. Komplexität im Allgemeinen steht...

Nachtrag: Die entscheidende Frage ist aber auch, ob man für die breite nichtmusikalische Mehrheit spielt, oder nicht eher für andere Musikliebhaber, bzw. vor allem für sich selbst.
 
Die Terzenetüde hat mir beigebracht, wie man Terzen spielt.
Ich hatte eine ähnliche Erfahrung mit der op.10/1. Hoffnungslos zu hoch für mich im Originaltempo, interessierte mich dennoch die Bewegung zu lernen. Sie klingt schön und ich begann im langsamsten Tempo, einfach als Etüde. Ich bilde mir ein, seither komme ich mit den 4. und 5. Finger in anderen Passagen viel besser zurecht.
 
Ich habe mal bei einem kleinen Wettbewerb zugehört, wo die Teilnehmer auch etwas zu dem gespielten Stück sagen mussten. Was mir in Erinnerung geblieben ist, ist die Erklärung einer Teilnehmerin, was eine Etüde sei: Ein Stück, bei dem Übezeit und Spielzeit in einem schlechten Verhältnis stehen. Bei mir trifft das allerdings auf so ziemlich jedes Stück zu, das ich übe... :D

lg marcus
 
Dieses "Repertoire" geht also nicht verloren, während die halbjährigen Mammutprojekte nach dem Weglegen mehr oder weniger dem Vergessen anheimfallen, wenn nicht regelmäßig aufgefrischt wird. Letztere bringen einen aber unter fachkundiger Betreuung sicherlich deutlich weiter.

Das sehe ich nicht ganz so. Ich für meinen Teil habe meistens ein "Mammutprojekt" und mehrere leichtere Stücke in Arbeit. Das Üben der Mammutprojekte bringt für mich mit sich, dass die einfachen noch einfacher gehen -> Hoher Nutzen, manches geht dann auch einfach vom Blatt - früher undenkbar.
Zum Test habe ich nun zwei damalige Mammutprjekte (von vor 2 und 1 Jahr(en)) herausgeholt. Das von vor 2 Jahren ging langsam vom Blatt, ich denke einen Tag intensiv üben und es sitzt wieder. Damals hat es mich ein viertel Jahr gekostet und war eins meiner ersten "großen" Werke. Das andere (Präludium und Fuge): Präludium ging im Originaltempo vom Blatt, bis auf kurzes Haken an einer Stelle -> 1 mal üben -> läuft. Die Fuge ist schwerer und ich habe sie erstmal nur stockend vom Blatt gekonnt. Aber auch hier half 1 Woche immer mal mitüben um es vorspielreif zu haben. Es gab am letzten Wochenende genau eine Stelle (2 Noten), wo das Thema im Bass (Fuß) vielleicht etwas matschig war, ansonsten sehr schön. Beim erlernen habe ich für Fuge und Präludium damals so ca. 4-5 Monate gebraucht.
Bedeutet für mich: Mammutprojekte erweitern den persönlichen Horizont. Dinge die man schonmal konnte gehen leichter. Neue Dinge im selben oder etwas leichterem Schwierigkeitsgrad gehen leichter. Das ist für mich ein hoher Nutzen, da ich ja im Prinzip jeden Sonntag ein Ein- und ein Ausgangsstück benötige. Klar kann man ab und an was auffrischen, aber 52 Stücke habe ich noch nicht fest im Repertoire als: spiele ich vom Blatt :lol: Außerdem will ich mich selber ja auch nicht langweilen.

Außerdem sind bestimmte Spielweisen/Artikulationen etc. irgendwann enfach verankert, sodass leichte Stücke auch direkt vom Blatt schon nach Musik klingen. Ich liebe Bach und da ich öfter was von ihm Übe, ist für mich ein Stück von Bach meist beim ersten Lesen total klar/logisch und muss dann nur noch geübt werden.

Und zum Thema Nutzen bei Vorspielen: ich habe beides erlebt. Applaus bei großen schweren Stücken im Gottesdienst inklusive einer Gemeinde die sitzen blieb obwohl es gegen derer Gewohnheit ist. Selbes kommt aber auch bei einfachen Stücken vor. Für mich ist der Nutzen aber von den "großen" Stücken nach dem Vorspiel größer. Ich fühle mich wenn ich es gut geschafft habe glücklich erschöpft und nicht einfach getreu dem Motto: wieder ein Strich auf der Liste geschafft...
 
Ich kann sehr gut verstehen, dass Profis eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen, @Tastatula hat es auf den Punkt gebracht mit ihrem Zitat. Zeit ist Geld.

Als ältliche Anfängerin ohne Auftrittsambitionen (aber glühend von stillem und zäh-geduldigen Ehrgeiz, "es" zu verstehen und zu können) stelle ich auch eine "Kosten-Nutzen-Rechnung" auf, und die berücksichtigt vor allem die Faktoren:

  1. Enthält ein Stück eine (oder mehrere) spezielle Schwierigkeit(en), woran ich sowieso arbeiten muss (oder die mir bislang noch nie begegnet ist) = bringt mich das Stück weiter?
  2. Fasziniert mich das Stück hinlänglich, dass ich mich monatelang damit auseinandersetzen möchte, ohne es je leid zu werden = will dieses Stück unbedingt von mir gespielt werden?
Punkt 2 kommt mitunter unverhofft. :heilig:

Als besonders typisch für das Phänomen "unverhofft": La Leggierezza. Ich empfand beim bloßen Hinhören keinen wirklichen Drang zu dem Stück ("nicht besonders schööön";-)), aber die Etüde enthält Einiges, von dem ich wusste, dass ich dort Defizite habe und sie mich weiterbringt. Also Absprache mit KL, "nur als technische Etüde". :lol:Das ging aber gar nicht, weil sie mich schon nach oberflächlichem Kennenlernen extrem faszinierte und gar nicht mehr losließ.:blume:
 

Ich spiele (praktisch) nur für mich, also spielt der Aspekt des "Beeindruckens" von Zuhörern für mich keinerlei Rolle.

Eigentlich ist es so, dass ich gar kein Klavier spiele. Ich 'übe' Klavier. Mir reicht's völlig. :-D
 
Ich spiele (praktisch) nur für mich, also spielt der Aspekt des "Beeindruckens" von Zuhörern für mich keinerlei Rolle.

Eigentlich ist es so, dass ich gar kein Klavier spiele. Ich 'übe' Klavier. Mir reicht's völlig. :-D

Ich benenne es so: „Ich spiele mit meinem Klavier.

Das gilt nicht nur für meine Repertoirestücke, sondern auch für die neuen Einzuübenden. Seitdem ich effektiver übe ( Einzelstellen, rückwärts, mal langsam, mal laut, mal blind u.s.w.) übe ich gern, auch oder gerade wegen begrenzter Zeitressourcen.
 
@Alter Tastendrücker Hihi, das ist mein richtiges Leben.:-)
Ausprobieren und schauen, wohin ein Weg führt, ohne Bedenken zu haben, ohne zu bewerten ist etwas Wunderbares und zeitigt oft überraschende Ergebnisse. Beim Klavierspielen speziell heißt das, daß Dinge klappen, die ich nicht für möglich gehalten hätte.
Sich Offenheit zu bewahren ist ein unglaublicher Schatz, er macht das Leben viel leichter.
 
Die Frage 'Und was machst Du im richtigen Leben?' kam mal vor vielen Jahren von einem kleinen Schüler, der nicht glauben wollte, dass man sowas im Ernst macht!
 
Zuletzt bearbeitet:
... @Alter Tastendrücker, vielleicht haben seine Eltern es ihm gesagt....:-((
Aber im Ernst, diese Frage beschäftigt viele....ja, kann man denn davon leben?....
 
Und die Antwort lautet: ..... JA!
Davon und damit!
 

Zurück
Top Bottom