Franz Schubert - Woran starb er?

  • Ersteller des Themas bückyblüthnerfan
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Niemand kann sich solcher Spekulationen erwehren. Schon gar nicht, wenn er nicht mehr lebt.
Das ist auch mein Problem bei der Kinski-Affaire: Der Mann war zweifellos eine Zumutung für jeden, der mit ihm zu tun hatte. Der Mann kam auch mit sich selbst nicht klar. Aber was immer ihm seine Tochter jetzt vorwirft - er kann sich dagegen nicht wehren.
 
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Eben. Nichts genaues weiß man nicht. Daher ist die Spekulation in eine ganz konkrete Richtung unzulässig.

Spekulieren darf man immer, auch in eine ganz konkrete Richtung. Da sehe ich nichts "unzulässiges". Bedenklich wird es, wenn Fakten und Spekulationen nicht auseinandergehalten werden und am Ende nur noch auf der Basis von Spekulationen spekuliert wird.


Gerade sehe ich, daß es die alten Bände der Zeitschrift für Musikwissenschaft online gibt.
Ich mache auf den Aufsatz "Der kranke Schubert" des Mediziners Waldemar Schweisheimer aufmerksam (Juni/Juli 1921, S. 552-561):
https://archive.org/details/ZeitschriftFuerMusikwissenschaft03jg1920-21

Hier steht nichts anderes, als was ich auch in den neuesten Darstellungen aus medizinischer Sicht gelesen habe. Die Diagnose hängt an der Mitteilung Schobers: Schuberts Haare mußten wegen eines "Ausschlags geschoren werden". Schweisheimer dazu: "Im sekundären Stadium der Lues kommt es nicht selten vor, daß sowohl Ausschläge am Kopf auftreten, als insbesondere auch die Haare an umschriebenen kreisrunden Stellen ausfallen. Zur Behandlung des Ausschlags und um das Aussehen des Kopfes weniger auffällig zu machen, werden in solchen Fällen die Haare kurz abgeschoren. Aber sowohl Ausschläge der Kopfhaut, wie Haarausfall kommen auch bei ganz anderen Hauterkrankungen vor, die mit Lues oder einen sonstigen venerischen Erkrankung in keinerlei Zusammenhang stehen." - "Immerhin läßt es eine andere Tatsache nicht unwahrscheinlich erscheinen, daß Schubert wirklich an einer luetischen Erkrankung litt: das ist die lange Dauer seines Leidens, in dessen Verlauf, offenbar nur als ein Glied in der Kette, der erwähnte Kopfausschlag auftrat. Dieser chronische Verlauf ist für eine nicht oder nicht genügend behandelte Lues charakteristisch. Verschiedene erhaltene Äußerungen, teils von Schubert selbst, teils von der Hand seiner Freunde, weisen auf den lang sich hinziehenden Verlauf der Krankheit hin."

Und das Fazit: "die Annahme einer Ende 1822 beginnenden, nicht ausgeheilten luetischen Erkrankung Schuberts ist nicht unwahrscheinlich, aber durchaus nicht gesichert. Eine sichere Entscheidung darüber kann auf Grund der bisher vorhandenen Mitteilungen nicht geliefert werden . -
Auf keinen Fall, und das kann man im Gegensatz zu dieser ungewissen Darstellung mit Sicherheit behaupten, ist Schubert an den Folgen einer venerischen Erkrankung gestorben. Offensichtlich ist, unabhängig von seiner chronischen Erkrankung, ein neues akutes und rasch zum Tode führendes Leiden aufgetreten: Typhus."

Otto Erich Deutsch veröffentlichte in derselben Zeitschrift Ergänzendes unter dem Titel "Schuberts Krankheit - Neue Mitteilungen" (November 1921, S. 100-106)
https://archive.org/details/ZeitschriftFuerMusikwissenschaft04jg1921-22
Zusätzliche diagnostisch verwertbare Angaben ergeben sich daraus nicht. Deutsch stützt sich u. a. auf Mitteilungen von Nachkommen von Schuberts Freunden. Diese kann man als Hinweise nehmen, auch wenn sie nicht mehr nachprüfbar sind:
"Dafür spricht auch die Überlieferung, die mir von den männlichen Nachkommen seiner Freunde, wiederholt und unabhängig voneinander, zuteil geworden ist, darunter die Angabe Lues von dem noch lebenden Sohne eines Schubert eng befreundet gewesenen Künstlers."
 
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Ich habe für solche Betrachtungen nicht viel übrig, da ich sie als eine Art "virtuelle Störung der Totenruhe" empfinde. Tot ist tot.
 
Ich habe für solche Betrachtungen nicht viel übrig, da ich sie als eine Art "virtuelle Störung der Totenruhe" empfinde. Tot ist tot.

Und ich habe für andere Betrachtungen nicht viel übrig. So what?
Niemand verlangt, daß Du Dich für die Leiden verstorbener Menschen interessierst.

"Störung der Totenruhe" ist eine Straftat, eine solche verbale Keule würde ich nur auspacken, wenn jemand virtuell "beschimpfenden Unfug" verübt.
 
Ich liefere doch immer gern, was Du bestellt hast.
 
Drei überflüssige Kommentare Deinerseits, drei überflüssige Kommentare meinerseits.
 
@Pedall

Danke für Deine Mühe. :-) Das sind für mich neue Quellen.

Spiel das ganze mal durch mit "Lupus erythematodes". Unter Einbeziehung der Familienanamnese. Auch gut möglich.




Ich habe für solche Betrachtungen nicht viel übrig, da ich sie als eine Art "virtuelle Störung der Totenruhe" empfinde. Tot ist tot.

Es gibt eine praktikable Möglichkeit, sich dem zu entziehen: Einfach nicht berühmt werden. Einfach vermeiden, dass sich nach Jahrhunderten noch jemand für Dich interessiert.

Meine Motivation für dieses Gespräch liegt

1. in meinem Ärger über das kritiklose Abschreiben von irgendwelchen mehr oder weniger haltlosen Spekulationen, die somit Eingang in das vermeintliche Faktenwissen über die Vergangenheit finden. Stichwort "historische Mythen". Auf deren verbreitete Existenz sowie ihr Zustandekommen machte mich schon sehr früh in meiner akademischen Laufbahn ein betagter Geschichtsprofessor aus Südwestfrankreich aufmerksam, mit dem ich einen spannenden Abend in einer einsamen Taverne in Nordostfrankreich verbrachte;
2. auch ein bisschen in der Ehrenrettung geschätzter Verstorbener.
 
Viel diskutiert wurde eine Stelle aus Bauernfelds Tagebuch vom August 1826, wo Bauernfeld notiert:
"Schubert halbkrank." Als Randnotiz steht daneben: "(Er bedarf 'junger Pfauen', wie Benv. Cellini)"*

Sicher ist, daß Bauernfeld hier an eine Stelle in der Autobiografie Benvenuto Cellinis dachte, in der er von einer sommerlichen leichten Erkrankung berichtet, die durch Pfauenfleisch kuriert wurde. In Goethes 1803 veröffentlichter Übertragung lautet die Stelle folgendermaßen:

Unsere Wohnung, so schön sie war, hatte ungesunde Luft, und da es gegen den Sommer ging, wurden wir alle ein wenig krank. Um uns zu erholen, gingen wir in dem Garten spazieren, der zu unserer Wohnung gehörte und sehr groß war; man hatte fast eine Meile Landes dabei als Wildnis gelassen, wo sich unzählige Pfauen aufhielten und daselbst im Freien nisteten. Da machte ich meine Büchse zurechte und bediente mich eines Pulvers, das keinen Lärm machte; dann paßte ich den jungen Pfauen auf und schoß alle zwei Tage einen. Dergestalt nährten wir uns reichlich und fanden die Speise so gesund, daß unsere Krankheiten sich gleich verloren.

Auch dazu hat bereits Schweisheimer alles Nötige geschrieben. Mit dieser Angabe sei "nicht viel anzufangen".
Es hat trotzdem nicht an Versuchen gefehlt, auch hier allen Ernstes einen "verschlüsselten" Hinweis auf Syphilis hineinzuinterpretieren. Aber es kommt noch viel besser: 1989 veröffentlichte Maynard Salomon unter dem Titel "Franz Schubert and the Peacocks of Benvenuto Cellini" einen Aufsatz, in dem er die Stelle ganz anders "entschlüsselte": Schubert und seine Freunde seien homosexuell gewesen ("their primary sexual orientation was a homosexual one") und hätten unter "Pfauen" hübsche Jungs verstanden. Widersprochen hat dieser These u. a. Rita Steblin: "The Peacock's Tale: Schubert's Sexuality Reconsidered" (1993). (Siehe auch das Inhaltsverzeichnis des ganzen Bands.) Nun habe ich mich nicht durch die ganzen heißen Debatten durchgelesen, aber nach ein wenig Querlesen meine ich sagen zu können, daß dabei immerhin einiges an heißer Luft herausgekommen ist.



* Faksimiliert bei Ilija Dürhammer, Schuberts literarische Heimat, Wien/Köln/Weimar 1999; S. 269; bei dem Tagebuch handelt es sich um eine eigenhändige Abschrift Bauernfelds aus den 1870er Jahren.
 
Zuletzt bearbeitet:

Ich habe für solche Betrachtungen nicht viel übrig, da ich sie als eine Art "virtuelle Störung der Totenruhe" empfinde.
Zur Ehrenrettung aller, die sich an dem Gespräch beteiligen: Ich glaube, hier im Forum will keiner dem armen Schubert das (angeblich schmutzige) Totenhemd waschen. Es geht um etwas anderes. Ich zitiere ausnahmsweise mich:
[...] Jede Epoche stellt sich Künstler als Spiegelbild ihrer Angst und ihrer Sehnsüchte vor [...]
Schubert als Person gibt so viele Rätsel auf wie seine Musik - ein Wald, aus dem es rausschallt, wie man hineinruft: die in den Gattungen (Lied, Sonate, Quartett, Symphonie, Messe und Oper) ganz unterschiedliche Stilentwicklung, die Abweichungen im musikalischen Denken, die Torso-Phase in der Zeit der Beschäftigung mit Beethoven, die Bewältigung dieser Schaffenskrise. Biographisch: die Schubertiaden, das Einzelgängerhafte, das wie aus der Zeit Herausgefallene, dazu passend die um Jahrzehnte verspätete Rezeption. Bis in die erste Hälfte des 20.Jahrhunderts dominierte das Dreimäderlhaus-Klischee: die Schubertiaden ein fröhlicher Männergesangsverein und das "Schwammerl" mittendrin als ein sentimentaler Kitschier.

Ab den 60er/70er-Jahren wurde das Gegenbild erschaffen: die Schubertiaden eine homoerotisch aufgeladene, gegen den Grafen Metternich konspirierende Widerstandsgruppe, Schubert ein subkultureller Alkoholiker und Sex-Maniac mit gelegentlicher Neigung zum Komponieren (ich übertreibe nur geringfügig). Die Syphilis ist hier positiv konnotiert: Nachweis der für seine neuzeitlichen Deuter so wichtigen sexuellen Freizügigkeit.
.
 
Jede Epoche stellt sich Künstler als Spiegelbild ihrer Angst und ihrer Sehnsüchte vor

Unbedingt. :super:

Auch jede Epoche und die in ihr agierenden Personen werden in jeder neuen Epoche neu "gedacht" (die Franzosen benutzen tatsächlich das Wort "penser").

Dagegen spricht auch absolut gar nichts. Vorausgesetzt, es tauchen auch ein paar neue Belege auf. Die "Neudenker" schreiben allerdings gern aus vier Büchern ein fünftes, ohne je ein Archiv von innen gesehen zu haben. Das fünfte Buch ist dann das neuste und verbreitet die Anmutung, automatisch auf dem neusten Stand der Forschung zu sein.

Das ist ärgerlich.

Dann kommen Fachfremde daher (siehe den von @Pedall verlinkten Artikel aus dem Ärzteblatt) und versuchen als Fakten akzeptierte Spekulationen von anderen gemäß ihrer eigenen Wissenschaft stimmig zu machen. Auf diese "Experten" beruft sich dann die Nachfolgegeneration von Historikern. So wird der arme Schubert seine angebliche Syphilis nie wieder ganz los, obwohl – da scheinen wir uns ja einig zu sein – kein einziger glaubwürdiger Hinweis vorliegt.

Und selbst wenn – wer aus legitimen historischen Gründen keine Papilloma- und keine Herpesviren kannte (weil die Biester noch nicht entdeckt waren), zieht womöglich ohne die mindeste verleumderische Absicht falsche Schlüsse.

Nachweis der für seine neuzeitlichen Deuter so wichtigen sexuellen Freizügigkeit.

... was oft mehr über die Spekulierenden aussagt als über den unfreiwilligen Gegenstand ihrer Spekulation. :lol:
 
Zur Ehrenrettung aller, die sich an dem Gespräch beteiligen: Ich glaube, hier im Forum will keiner dem armen Schubert das (angeblich schmutzige) Totenhemd waschen

Auch wenn gewisse Teilnehmer mich dafür wieder (bewusst mißverstehend) von der Seite anmachen: Mir ist Schubert auch ohne genaue Kenntnis seiner Todesumstände wichtig genug. Ich mag es generell nicht, nicht nur bei Schubert, darin spekulativ runmzuforschen. Das ist keine Abwertung derer, die es gleichwohl versuchen. Ich finde es aber schlimm, wenn jemand nicht mal die Umstände seines Todes, vorausgesetzt, es liegt keine Straftat vor, mit ins Grab nehmen darf. Es muss niemand diese Meinung teilen.
 
Auch wenn gewisse Teilnehmer mich dafür wieder (bewusst mißverstehend) von der Seite anmachen
Entweder verstehe ich Dich nicht - oder Du kommst mir gerade als jemand vor, der andere anmacht. Ich habe den Mechanismus zu erklären versucht, der heutige Biographen, Forscher et al. bewegt, in Schuberts (oder N.N.s) Tod zum Zwecke der Eigenlegitimation etwas hineinzuinterpretieren. Dies zu erklären, impliziert keine Billigung.
 
Entweder verstehe ich Dich nicht - oder Du kommst mir gerade als jemand vor, der andere anmacht. Ich habe den Mechanismus zu erklären versucht, der heutige Biographen, Forscher et al. bewegt, in Schuberts (oder N.N.s) Tod zum Zwecke der Eigenlegitimation etwas hineinzuinterpretieren. Dies zu erklären, impliziert keine Billigung.

Wenn Du es so siehst... Du warst übrigens nicht gemeint. Ich dachte, das sei klar.
 

Ein schönes Beispiel, wie auf der Basis von Spekulationen spekuliert wird, bis hin zum baren Nonsens: Schubert war schüchtern, also muß er wohl an einer Quecksilbervergiftung gelitten haben (O-Ton: "Wir wissen heute, daß Hg depressiv macht und zu psychischer Hemmung führt, bis hin zur Menschenscheu. Diese Eigenart wird von Schuberts Freunden oft erwähnt“ ‚schüchtern, wortkarg eher mürrisch als heiter“)


Dafür, daß Schubert mit Quecksilber behandelt wurde, gibt es keinen einzigen Beleg.
 

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