Oder anders gesagt, wie verändert sich die Wirkung eines Stückes auf den Hörer wenn ich es transponiere?
Man kann das ausprobieren, wenn man solche Wahrnehmungen bei sich feststellt. Die Quelle Koelnklavier.de nennt beispielsweise die besonderen Eigenschaften von es-moll. Das höre ich so: es-moll hat Dramatik, Tragik und eine besondere Schwere im Klang. Es-moll forte-Akkorde wirken einfach brachial. Cis - moll klingt auch tragisch, aber nicht nicht dermaßen dramatisch. Man nehme Mussorgsky's Bydlo. Das ist in cis-moll. Wenn man das nach es-moll transponiert, kommt da eine dramatische Komponente herein, die äußerst unpassend ist, weil es sich um etwas eher Statisches - ein Bild - handelt. Der stampfende Rhythmus, also die Bass-Akkorde, klingen noch gnadenloser. Stücke, die diesen Zusammenhang unterstützen, bevorzuge ich, z.B. Rachmaninoff es-moll-Etude oder Scriabins es-moll Prélude. Es gibt aber viele Stücke, die das nicht tun, z.B. das es-moll Prelude op.23 von Rachmaninoff. Das ist eher filigran und nicht ausgesprochen dramatisch. Dafür ist es aber sehr schwer zu spielen und vermutlich in anderen Tonarten nicht realisierbar. Ich denke, das ist für die meisten Stücke hohen Schwierigkeitsgrades das Auswahlkriterium. Ein hohes Tempo gleicht die fehlende Dramatik aus. Die Einteilungen von Charpentier würde ich so im Großen und Ganzen unterschreiben. Es gibt auch Tonarten, die eher unattraktiv klingen, wie F-dur. Allerdings sind derartige Wahrnehmungen für die meisten Menschen bedeutungslos. Sie sind irgendwie nutzlos. Was macht man, wenn die Tonart als unpassend klingend wahrgenommen wird? Man kann dann über das Tempo und die Dynamik etwas ausgleichen, das Grundproblem aber bleibt. Da muss man dann über den Dingen stehen oder es lassen.
Weitere Erkenntnisse gewinnt man, wenn man sich die Zyklen mit 24 Préludes (ohne Fugen) in allen Dur- und moll-Tonarten anhört. Erfunden hat das Hummel. Es gibt Sammlungen von Busoni, Alkan, Stanford, Kalkbrenner, Blumenfeld und vielen anderen. Die von Chopin und Rachmaninoff fallen heraus, da sie sich durch besondere Kohäsion auszeichnen, will sagen, einzeln gespielte Stücke wirken anders als im Zusammenhang des ganzen Zyklus vorgetragen. Das ist auch so eine bemerkenswerte Angelegenheit, über die bestimmt auch mal eine Doktorarbeit verfasst worden ist. Interessant ist die Sammlung von Barmotin: Es sind nur 20 Preludes, F-Dur und B-Dur werden konsequent ausgeschlossen über das ganze Opus. Da sage ich danke. Bei den Komponisten findet man beides, entweder die Tonarten werden meist entsprechend der intuitiven Wahrnehmung gesetzt, oder es gibt keinen Zusammenhang. Bei Kammermusik und Klavierkonzerten gibt es Tonarten, die kaum vorkommen: z.B. es-moll (Kaun) und fis-moll (Scriabin und Reinecke). Das hängt dann aber mit den Möglichkeiten der anderen Instrumente zusammen.