Hier ist eine Rezension des Buches wiedergegeben:
https://www.musikzeitung.ch/de/reze.../buchrezension-klavieretude.html#.XgUNrG5Fxuk
Diese Publikation geht offensichtlich auf eine an der Universität Gießen 2012 vorgelegte Dissertation zurück, von der im Netz immerhin Leseproben verfügbar sind:
http://ifb.bsz-bw.de/bsz394332504rez-1.pdf
Schon die Leseproben lassen Abgrenzungsprobleme einzelner Aspekte voneinander erwarten und werfen Fragen auf:
- Muss der Begriff "Etüde" Teil des Stücktitels sein, um den Zweck der Einstudierung und des Vortrags zu umschreiben?
- Was macht aus dem (privaten) Übungsstück ein (öffentliches) Vortragsstück?
- Inwieweit sind die durch das Studieren der Werke angestrebten Entwicklungen und Verbesserungen technischer und musikalischer Art klassifizierbar?
- Führen andere mehrsätzige/zyklische Werke ("Variationen"/"Veränderungen"/"Studien"...) zu vergleichbaren Resultaten?
- Kann man überhaupt zwischen "Technik" und "Ausdruck" bei den Einzelbeispielen dieser Gattung unterscheiden?
Trotz der Fülle und der Detailliertheit der analysierten Beispiele bin ich nach der Lektüre der Probeseiten weniger überzeugt als vorher, dass die oben gestellten Fragen (und weitere) damit umfassend zu beantworten sind. Offensichtlich blieben die Beiträge zu dieser Gattung etwa von
Debussy oder Rachmaninow außen vor, die für die Weiterentwicklung pianistischer Techniken nach den berühmten Vorläufern von Chopin und Liszt sehr aussagekräftig und wichtig sind. Warum? Weitere Einzelwerke wie Strawinskys Vier Etüden op. 7, die frühen
Prokofiew-Etüden op. 2 und 4, die beiden Etüden von Lutoslawski oder die Szymanowski-Zyklen sähe ich auch gerne in diesem Spannungsfeld neben Bartók. Oder wo wäre ein solches Werk zu kategorisieren?:
Kommen Jazzelemente ins Spiel (nicht nur wie bei Schulhoff), sind solche Stücke wie diese von Interesse:
Und die Rautavaara-Etüden als Übergang zu Ligeti könnten den Überblick über die kompositorische Behandlung der Werkgattung Klavieretüde im späteren 20. Jahrhundert eindrucksvoll abrunden. Die Einbeziehung von Spielweisen abseits der Tastatur ist ebenfalls thematisiert worden:
Abschließende Frage: Trägt diese Publikation dem breiten Spektrum an kompositorischen Elementen in Verbindung mit dieser Werkgattung angemessen Rechnung? Ich bin da ziemlich im Zweifel. Die zweite Rezension lässt erkennen, dass die Klavieretüde nach dieser Darstellung die Bindung zur musikpädagogischen Praxis praktisch aufgegeben hat. Ich denke aber nicht, dass aktuell benutzte Übungsliteratur weitgehend dem 19. Jahrhundert verhaftet bleibt. Oder wird etwa heute durchgängig so unterrichtet? Fällt mir schwer zu glauben, wenn sogar Forenmitglieder aus unseren Reihen wie eine unserer Moderatorinnen aktuell Etüden komponieren. Wer sich für die analytische Betrachtung der ausgewählten Beispiele von Skrjabin bis Ligeti interessiert, kommt vermutlich eher auf seine Kosten.
Auf die Einschätzung des Fadenerstellers bin ich gespannt, der ja offensichtlich bereits mit der Lektüre dieses Buches beschäftigt ist.
LG von Rheinkultur