@mick hat schon das c-Moll Prelude genannt; du könntest auch diese Mazurka nehmen:
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und natürlich wirst du auch im Regentropfenprelude fündig:
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(in der Mazurka haben wir die Mollvariante (kleine Sexte als Quintvorhalt des Dominantseptakkords), in den Regentropfen die dissonantere Durvariante (große Sexte als Quintvorhalt des Dominantseptakkords, was eine große Septime enthält)
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aber weitaus interessanter ist die Frage, ob der charakteristische Vorhaltakkord überhaupt eine Bezeichnung als
eigenständiger Akkord verdient hat...
zunächst liegt eine melodische Wendung vor, die in zahllosen Instrumentalwerken von z.B. Mozart als Schlußwendung vorkommt:
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und noch öfter findet sich diese Schlußfloskel in der klass. und frühromant. Vokalmusik (Opern, Kirchenmusik usw.) - der Sextvorhalt über dem Dominantsextakkord wird schon hier geradezu inflationär verwendet. Und keinesfalls verlor diese Vorhaltwendung ihre Wirkung, sie wurde weiter bis ins späte 19. Jh. eingesetzt, z.B. 1871 in Verdis Aida:
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Die Funktion des besonders in Dur dissonanten Vorhalts ist, die Wirkung von Spannung-Entspannung in der Schlußkadenz zu erhöhen: der ohnehin angespannte Dominantseptakkord wird dadurch
noch angespannter vor der Auflösung in die Tonika.
==> diese Schlußfloskel war vor, während und nach Chopins Lebenszeit so oft in Gebrauch, dass man sie als gängige Münze bezeichnen kann. Ein kleiner Blick in Beethovens und Schumanns Klavierwerk:
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die mit zweite Dissonanz (hier als Vorhalt) ist enharmonisch nichts anderes als der quintalterierte Septakkord - auch dieser findet sich bei allen Romantikern ebenso oft und gerne wie der "Chopinakkord".
Trotzdem ist die Bezeichnung "Chopinakkord" berechtigt - und das, obwohl diese Wendung 1. nicht von Chopin erfunden wurde und 2. auch bei Chopin fast ausschließlich als melodischer Vorhalt (wie bei allen anderen vor und während seiner Zeit) verwendet wird. Das liegt an zweierlei:
1. verwendet Chopin diese Floskel exzessiv, und das natürlich innerhalb seiner typischen Klangsprache, sodass diese auffallende Häufung automatisch mit "Chopinklang" verknüpft wird (so kommt es, dass dieselbe Wendung bei lange vorher komponierten Beethovensachen "chopinesk" wirkt)
2. gelegentlich setzt Chopin die Sextvorhaltdissonanz beinahe isoliert ein, sodass die eigentlich dominantische Wirkung in den Hintergrund tritt - dann wird der Chopinakkord fast zu etwas so eigenständigem wie der "Tristanakkord" oder "Rheingoldakkord" etc.
Diese wenigen Momente, in welchen der Chopinakkord quasi isoliert da steht, sind die interessantesten. Am Übergang von der Exposition in die Durchführung macht Chopin etwas ebenso derb-brutales wie effektvolles: nach all der pianistisch glanzvollen Des-Dur Apotheose am Ende der Exposition kracht kahl und reglos ein Doppeldominantseptakkord (Es7) und dann der "Chopinakkord" (As7 / 6 statt 5) auf die Tasten - und diese Dominante wird weder bei der Wdh der Exposition noch am Beginn der Durchführung (ges-Moll) aufgelöst!!! Da steht der dissonante dominantische Akkord kahl und funktionslos (und dadurch umso effektvoller) -- :
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Natürlich kommt selbst ein genialer Komponist wie Chopin nicht aus dem Nichts auf so einen Einfall - auch Beethoven hat op.111 nicht als erstes Werk geschaffen, Wagner hat den Tristan nicht als Opus 1 geschaffen usw -- ansatzweise taucht das isolierte einsetzen dieser Wendung als beinah funktionsloser Akkord schon vorher bei Chopin auf, in der Grande Polonaise op.22:
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hier endet der Phrasierungsbogen auf der charakteristischen Dissonanz - zusätzlich ist das Spiel mit der Sekundreibung c-h auffallend: die taucht als Subdominantseptakkord (mit großer Septime: c-e-g-h) und im dominantischen Chopinakkord (d-c-#f-h) auf.
Man gewinnt beinahe den Eindruck, dass Chopin der Dominante zunehmend misstraute: sie wird mit Sextvorhalt gelegentlich zu einem beinah funktionslosen Dissonanzklang (Sonate b-Moll), sie verliert ihre eigentliche Wirkung... Ganz besonders auffällig ist das in der Mazurka cis-Moll op.30, wo am Ende eine Kette chromatischer Dominantseptakkorde absinkt und jede harmon. Funktion verliert - die Rekonstitution der Dominante bleibt dann der Subdominante mit Sixte ajoutee (einer Variante des Tristanakkords) bzw. des II7 der Mollskala) überlassen:
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Saperlot! Fis7-F7-E7-Es7-D7-Des7-C7-H7 ---- fis-Moll => cis-Moll
Das ist immer noch nicht alles, was sich zu dieser typischen Chopinwendung sagen lässt: denn der Klangzauberer am Klavier wußte immens viel damit anzustellen. In der ersten Ballade taucht der Chopinakkord im Seitenthema thematisch (!) auf, und Chopin setzt ihn derart genial, dass man keinerlei dissonante Wirkung hört:
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hier also der Chopinakkord mit zusätzlicher großer None, und es klingt hinreissend sonor!
(Fortsetzung folgt)