In der berühmten Doku über Bachs Klavierwerk antwortet Gould auf Monsaingeons Frage, ob die Stücke nicht geradezu zwingend nach dem Cembalo-Klang verlangen, unter anderem damit, dass Bach seine Stücke oft nicht für ein bestimmtes Instrument geschrieben hat und sie stattdessen dazu geeinet sind, gerade von verschiedensten Instrumenten gespielt zu werden, wie Bearbeitungen von Klavierstücken für Streicher bzw. umgekehrt zeigen, wenn ich es richtig in Erinnerung habe - ist schon über 10 Jahre her, dass ich es mir angeschaut habe.
Wahlfreie, multiple oder austauschbare Instrumentalbesetzungen sind nicht nur auf die Barockzeit beschränkt, sondern auch zu späterer Zeit anzutreffen.
BWV 1055 gibt es als Klavierkonzert oder aber auch mit Solopartie für Oboe d'amore. Selbst fremde Werke (Vivaldi) hat Bach für den eigenen Gebrauch eingerichtet. In Klassik und Romantik gibt es ebenfalls Grenzüberschreitungen: Mozarts Flötenkonzert D-Dur existiert auch als Oboenkonzert in C-Dur, wie es auch das einzige Violinkonzert von Beethoven als Klavierkonzert gibt. Zahlreiche Stücke gibt es mit wahlfreien Melodieinstrumenten: Beethovens op. 17 mit Horn oder Violoncello, Brahms' und Regers Klarinettensonaten auch mit Viola, ähnliche Konstellationen sind auch bei Schumanns Opera 73 und 94 anzutreffen - eine entsprechende Auflistung wäre lang und würde bis in die Gegenwart entsprechende Beispiele enthalten.
Entscheidend (aber im Einzelfall diskussionswürdig) ist sicherlich die Frage, ob die klanglichen Resultate die Existenz entsprechender Arrangements zu rechtfertigen vermögen. Selbst wenn die für die Bearbeitung verwendeten Instrumente zum Zeitpunkt der Entstehung des Originalwerks noch gar nicht existiert haben, können schöne und überzeugende Resultate gelingen. Im Zusammenhang mit der CD-Produktion eines eigenen Werkes konnte ich ausgiebig erfahren, wie gut Transkriptionen von Werken aus Renaissance und Barock in Saxophonquartett-Besetzung (Sopran, Alt, Tenor, Bariton) klingen können. Natürlich gab es da auch eine Bearbeitung einer vierstimmigen Bachfuge.
Ich könnte mir vorstellen, dass die stark strukturorientierte Anlage vieler Kompositionen von Bach in klanglicher Hinsicht besonders viele Möglichkeiten der Ausführung ermöglicht, so dass die Resultate auf Cembalo wie auf dem modernen Flügel gleichermaßen überzeugen. Gerade im Bereich der Dynamik ergeben sich zwischen beiden Instrumenten große Unterschiede, die aber durch eine terrassendynamische Anlage einer Interpretation wieder egalisiert werden. Weshalb die romantisierenden Ausführungen barocker Literatur in früheren Beiträgen so verstörend wirkten, ist gerade unter anderem mit der Preisgabe von Terrassendynamik und der Ausführung großer Steigerungen und dynamischer Extreme mit zu begründen. Da klingt bei Furtwängler die erwähnte 3. Orchestersuite von Bach wie ein Symphoniesatz im Spätwerk bei Bruckner oder Mahler - wobei Leopold Stokowski bei seinen Bearbeitungen noch weiter gegangen ist. Beispiel?
Bach-Stokowski: Fantasia and Fugue in G minor - Bamert conducts - YouTube
Da ist die Frage "Klavier oder Cembalo?" oftmals nur individuell so zu beantworten, dass ein Interpretationsvergleich an beiden Instrumenten erfolgt. Einstufungskriterien können demnach Strukturorientierung, Ausdruckspotential, "Lautmalerei"/Charakterisierung, Gebrauch von Extremlagen am Instrument und weitere Aspekte sein, die sich teilweise wechselseitig überlappen und/oder der subjektiven Einschätzung unterliegen. Eines ist sicher: Allgemein gültige Antworten gibt es offensichtlich nicht...
LG von Rheinkultur
P.S.: Bach und Saxophon - geht das?:
20204 New Century Saxophone Quartet The Art of Fugue - YouTube