Ok, jetzt verstehe ich vielleicht ein bisschen, was Du/Ihr meint....Mir ist da beim Stichwort "Persönlichkeit öffnen" eine wunderbare Szene aus Club der toten Dichter eingefallen....
http://www.youtube.com/watch?v=QbzLUQKTDQE
Aber: diese Szene zeigt doch auch und gerade, dass man jemandes Persönlichkeit öffnen und fordern, ihn/sie aus der Reserve locken kann,
und in ihm gleichzeitig ein Gefühl des Vertrauens hervorrufen. Letzterer Aspekt fehlt mir in dem Pires-Video. Aber ich glaube, wir sind uns nicht mal in dieser Beobachtung einig, dass es da einen Unterschied in der Atmosphäre gibt (wir stellen hier ja nur Mutmaßungen an, wie sich der Schüler dabei fühlt)...erinnert mich ein bisschen an unsere Diskussionen über den Umgang im Forum, wo es ja auch ganz unterschiedliche Wahrnehmnungen ein und derselben Situation gab (das ist jetzt ganz ohne Wertung gemeint).
Ich bleibe auch dabei: Die anderen von mir verlinkten Beispiele (Kovacevich, Schiff, Quasthoff, Hough - außer Fips hat wohl keiner Zeit/Lust, reinzugucken) sind doch auch keine Schwafelrunden, sondern es wird ernsthaft gearbeitet, aber in einer ermutigenden Arbeitsatmosphäre. Jetzt kann man sagen, weil die Schüler besser sind (das sieht mir bei Schiff und Quasthoff-Videos aber nicht so aus) - grundsätzlich glaube ich, dass das (neben vielem anderen, zuallererst dem Können des Schülers) auch eine Frage des Charakters (und vielleicht auch der Tageslaune..sind ja auch nur Menschen ) des Lehrers und natürlich der "Chemie" zwischen Schüler und Lehrer ist.
Lieber pianovirus,
dein Beispiel aus dem "Club der toten Dichter" trifft es genau!
Ich glaube auch, wir sollten unterscheiden zwischen unserer individuellen Bewertung, wie sich der Schüler im Video gefühlt haben könnte und der Realität. Wir können nicht wissen, wie er sich wirklich gefühlt hat, aber wir identifizieren uns vielleicht mit ihm. Wir denken, 'wenn ich an seiner Stelle wäre' würde ich mich so und so fühlen und dabei kommen dann je nach Erfahrung und eigener Persönlichkeit unterschiedliche Standpunkte heraus, die jeder für sich gültig sind.
Für dich wie für Fips ist die Atmosphäre dort nicht schön und respektvoll - ihr würdet euch an Stelle des Schülers vermutlich nicht wohl fühlen. Da erwiesenermaßen man in einer von Vertrauen getragenen Atmosphäre besser und effektiver lernt, empfindet ihr die Art von Pires als kontraproduktiv, wenn ich euch richtig verstanden habe.
Ich selbst bin auch der Meinung, dass eine von Angst getragene Atmosphäre schlecht ist und Lernprozesse verhindert. Angst ist aber etwas anderes als Verunsicherung oder Verwirrung. Außerdem handelt es sich hier um eine Meisterklasse für Pianisten.
Ich habe hier schon mal eine Erfahrung meinerseits gepostet, will sie aber in diesem Zusammenhang wiederholen:
das erste halbe Jahr bei meiner letzten Professorin war für mich wirklich die Hölle. Ich hatte bereits mein pädagogisches Diplom als Klavierlehrerin und bereitete mich auf die Reifeprüfung vor. Dann kam ich zu dieser neuen Lehrerin. Sie hat weitestgehend das ganze erste halbe Jahr mit freundlichstem Lächeln immer nur den Kopf geschüttelt und gesagt "Hör's an!"
Dadurch hat sie mir das wertvollste Geschenk gegeben, was ein Lehrer seinem Schüler geben kann: selbst herausfinden, was man will; die Verantwortung für das eigene Spiel übernehmen; nicht andere zu imitieren und ständig das zu tun, was ein anderer, ein Lehrer sagt und vor allem sich selbst zuzuhören lernen. Die Gefahr beim Unterrichten besteht nämlich immer, dass man den Schüler bevormundet und ihm etwas beibringt, was er eigentlich selbst schon hätte leisten können. Es ist mit das Schwierigste, beim Lehren zu erkennen, wo der Schüler Hilfe braucht und was er aus eigener Kraft schaffen kann.
Meine Lehrerin hatte also das Vertrauen in mich, dass ich das schon schaffen könnte. Ich habe zwar nichts davon gemerkt - ich fühlte mich wie ein Anfänger, der gerade Hänschen klein spielt - aber gerade das zwang mich zu mir selbst.
Als Lehrer muss man also Entscheidungen treffen, was jetzt gerade wichtig und richtig ist für den Schüler. Da das eben so schwierig ist, passieren dort eine Menge Fehler, auch bei mir.
Insofern kann man letztlich nicht beurteilen ( und wir schon gar nicht, denn wir kennen den Schüler nicht), ob die Art des Unterrichtens von Quasthoff etc. ( habe mir jetzt alle links angeschaut :p) für den Schüler besser ist. Die haben alle intensiv und in höchster Qualität am Stück gearbeitet und da gab es ganz klar das Gefälle Lehrer-Schüler. Pires ging es offensichtlich um etwas anderes, um einen Persönlichkeitsanteil des Schülers und seiner Art, mit dem Stück und seiner Verantwortung als Interpret umzugehen. Sie hat den Schwerpunkt anders gelegt. Ob diese Entscheidung für den Schüler gut ist oder nicht, können wir nicht beurteilen. Für dich oder Fips wäre das offensichtlich nichts. Ich finde es sehr interessant, weil es den Schüler zum Nachdenken bewegt, was in diesem Fall auch dringend notwendig ist. Es ist für einen Lehrer viel schwerer, so zu unterrichten, denn man stellt da seinen Wissensvorsprung nicht zur Schau.
Ich habe mal einem Unterricht eines bekannten Berliner Professors ( Musikhochschule) zugehört vor drei Jahren, als er eine 17jährige, sehr schüchterne Koreanerin mit dem cis-moll Prelude von Rachmaninoff unterrichtete. Das war ein Unterricht, bei dem ich mich wirklich geärgert habe! Der war zwar sehr freundlich, aber letztendlich hatte jeder, einschließlich den Anwesenden, der Schülerin und mir selbst den Eindruck, Klavierspielen sei etwas schrecklich kompliziertes, kaum zu lernen .... . Und dann hörte ich ihn hinterher zu jemandem sagen, er selber könne auch überhaupt nicht Klavierspielen! :confused:
Das kann ja wohl nicht der Sinn der Sache sein. Er hatte ein unglaubliches Wissen um Bewegungsmöglichkeiten verbunden mit Klang - nur leider hat er erst an den Bewegungen gearbeitet, bei denen dann der Klang herauskam. Umgekehrt hätte mir besser gefallen - an der Klangvorstellung arbeiten, um dann diese mit Hilfe verbesserter Bewegungen umzusetzen. So war das alles eine sehr theoretische Veranstaltung und von Natürlichkeit, Atem und Fluss war nichts mehr zu spüren. Da hat mit die Schülerin, die ja sowieso schon so schüchtern war und noch nicht an einer MHS studierte, sehr leid getan. Aber freundlich war der.... .
Lange Rede, kurzer Sinn :p - das Verhältnis Lehrer-Schüler kann sehr vielschichtig sein. Auf einem Meisterkurs ist dieses sicher anders als bei einem langjährigen Studium bei demselben Lehrer. Was für den einen gut ist, ist für den anderen noch lange nicht gut. Und: es ist alles nicht so einfach! :p
Liebe Grüße
chiarina