2. Teil meiner Ausführung (1. Teil siehe oben):
So, nun noch einige Punkte, die bei überdurchschnittlich häufigem/schnellem/komplexen Auftreten auf besondere Begabung/Hochbegabung hinweisen können/dürften*:
* Achtung: Wenn jemand nur wenige dieser Zeichen aufweist, ist es dennoch möglich, dass er eine gewisse Begabung haben kann.
Das Auftreten einiger oder vieler dieser Anzeichen lässt jedoch einen ziemlich deutlichen Schluss zu.
Der Profi im Erkennen und Fördern von Begabten hat natürlich auch noch konkretere Möglichkeiten, zB Intelligenztests, Lerntypenanalyse, Gedächtnispotentialtests etc.
Dies ist natürlich in der Fachliteratur Psychologie / Pädagogik bestens belegt.
Falls gewünscht, könnte ich mal einige gute Bücher posten (auch für den interessierten Laien verständlich).
- Fähigkeit, schneller und nachhaltiger Noten zu lernen/blattspielen.
- Fähigkeit, in der Gehörbildung deutlich überdurchschnittliche Resultate zu erzielen (zB Rhythmen nachklatschen, Melodien erkennen, Intervalle etc). Auch Melodien nachspielen können (der 1. Ton wird verraten)
- Fähigkeit, eine gewisse musikalische Logik zu erkennen (ich teste dies zB oft mit kleinen Mozartstückchen wie den ersten Menuetten etc, indem ich dem Schüler - er kennt das Stück nicht resp hat es nicht gespielt - vorspiele und kleine Fehler einbaue wie zB im Menuett einen Takt plötzlich auf 4 zählen oder einen fremden Ton einbauen; der Schüler muss dann genau sagen wo der Fehler war resp erklären können was falsch daran war)
- Fähigkeit, sehr schnell und nachhaltig auswendig zu lernen
- Fähigkeit, konzentriert und effizient zu arbeiten
- Fähigkeit, in einer Woche verhältnismässig viel weiter zu kommen als die meisten andern (relativ zum Niveau natürlich; ich habe manchmal Kinder, die sind nach 6 Mt weiter als andere, die bereits seit 2 Jahren in meiner Klasse sind)
- psychomotorische Fähigkeit, Bewegungen richtig abzugucken und überdurchschnittlich schnell umsetzen zu können (zB Bewegungsablauf des Nachgetretenen Pedals). Hochbegabte sind meistens motorisch sehr gewandt.
- Fähigkeit, Strukturen zu erkennen (zB wann hört eine Phrase auf; sofort erkennen, dass links c-g und rechts e1-b1 zusammen einen Dominantseptakkord gibt, nämlich C7, oder zB Chopinetüde op.10/3 T46-52 sind nur 3 versch Harmonien, nämlich alle Verminderten oder T38-42 bestehen ausschliesslich aus Tritonus-Sequenzen, links chromatisch abwärts, rechts chromatisch aufwärts aber inversiv etc)
- Fähigkeit, Analogien zu erkennen, zB Sequenzen, wenn ein Thema verändert wieder kommt (Tonart, Rhythmus, etc). Können auf Gelerntem aufbauen, zB im einen Stück gelernt, einen Triller mit der oberen Note zu beginnen. Im nächsten (stilgleichen) Stück auf einem andern Triller sofort richtig ausführen ohne nachzufragen.
- Fähigkeit, musikalische Anlagen zu erkennen (zB spiele ich 4 Takte vor wo es in der Mitte ein crescendo hat und dann ein diminuendo, um wieder Anfangslautstärke zu haben. Der Schüler muss erkennen was geschehen ist. Das klingt nun einfach, aber du würdest staunen wieviele "normale" Kinder auch nach 2-3x vorspielen nichts Besonderes erkannt haben wollen)
- Fähigkeit, komplex denken zu können (zB automatisch erkennen, dass ein Quartsext rechts mit 3 besser geht, links mit 2). Sich Abläufe durch reines Überlegen/intelligentes Denken vorstellen zu können.
Beispiel: Ich erkunde mit Anfängern stets zuerst das Klavier, d.h. ich nehme alle Deckwände ab damit man das Innenleben sieht. Dann frage ich, was passiert, wenn man das rechte Pedal gedrückt hält und einen Ton anschlägt. Was passiert beim linken Pedal?
Auf meine immer gestellte Frage, warum es leiser ist, wenn man das linke Pedal drückt, hat ein 7-jähriger Junge nach ca. 5-sekündigem Überlegen gesagt:
"Weil dieses Hämmerchen dann weniger Anlauf hat."
(physikalischer Impuls mit den Worten eines intelligenten Kindes erklärt hehe)
Ich habe jedes Jahr ca 10 neue Anfänger (7-9J), diese Antwort kommt vielleicht alle 2-3 Jahre einmal, falls überhaupt...
- Fähigkeit, Vorausdenken zu können, sich allenfalls ergebende Probleme schon vorstellen zu können (zB beim Betrachten einer Sequenz, die 1x in F-Dur, einmal in As-Dur erscheint sofort erkennen, dass hier wohl nicht der gleiche Fingersatz zum Ziel führen kann)
- Fähigkeit, gute/sinnvolle/durchdachte Fragen zu stellen
- Fähigkeit, sich selber gut einschätzen zu können (zB hat mir kürzlich ein Mädchen 9J bei einem neuen Stück von Kabalewski gesagt, dass sie denke, sie werde länger brauchen, bis sie diese polyphone Stelle - wir hatten sie noch nicht gespielt, nur angeguckt - könne, weshalb sie lieber 2 Linien weniger bringen wolle nächste Woche)
- Kreativität (Neigung zum Gedichte schreiben, Theater spielen, gut Malen/Zeichnen, Komponieren, Improvisieren). Ich fordere die Schüler explizit auf, zu komponieren (anfangs natürlich ohne Notation, sie spielens mir dann vor). Wir suchen dann vermeintliche Schwachstellen und überlegen uns Verbesserungen.
- Neigung, viele verschiedene Dinge zu machen (viele Hobbies zu haben, auch in anderen Dingen relativ gut sein).
- Fähigkeit, sich verbal überdurchschnittlich gut ausdrücken zu können (Wortschatz, Syntax, Zeiten)
- Fähigkeit zu sozialen Beziehungen/Verhalten in der Gruppe (kann man Beobachten wenn man bei Klassenstunden/Vorspielübungen alle zusammen hat, die sich sonst nie sehen/nicht kennen)
- Fähigkeit, praktisch zu denken (ich beobachte die Kinder zB immer, wenn sie die Noten in den vollen Schulsack packen oder die Art wie sie Kleider ausziehen/aufhängen/wieder anziehen: gewisse ziehen eine Jacke so aus, indem sie nachher beide Ärmel nach innen gekehrt haben. Dumme Methode, weil nicht weiter gedacht!). Oft gebe ich ihnen auch den Auftrag, die Wandtafel im Zimmer ganz sauber zu putzen. An der Materialwahl (Lappen/Schwamm, nass/trocken), der Methodik (wahllos rumzuwischen oder waagrecht/senkrecht Linien zu ziehen) sowie natürlich am Resultat (wenn viel geschrieben war resp. noch farbige Kreide, müsste 2x geputzt worden sein)sieht man durchaus eine gewisse Konzeptfähigkeit.
Soweit mal zufrieden mit meinen Ausführungen?