Ausdruck durch Schwierigkeit?

Joachim Kaiser schreibt in seinem Beethoven-Buch auch im Kontext von op. 106 über dieses Thema. Er zitiert etwa Riemann, der über eine Darbietung von op. 106 durch Frederic Lamond schreibt: "Er hat es als erster fertiggebracht, den Schein zu wecken, daß die Sonate überhaupt gar nicht schwer ist. Seine restlose Überwindung der technischen Schwierigkeiten hat die Linienführung der Thematik in den Vordergrund gestellt und das Interesse am klaren Aufbau sieghaft durchgeführt".

Kaiser dazu: "...so entspricht es dem Wesen der Hammerklaviersonate wohl nicht, wenn ein Pianist die [...] Strukturen vorführt und im übrigen den Anschein erweckt, daß die Sonate überhaupt nicht schwer ist."

Beethoven selbst schrieb ja seinem Verleger: "Da haben sie eine Sonate, die den Pianisten zu schaffen machen wird, die man in fünfzig Jahren spielen wird".

Der gewaltige Aufwand geistiger und körperlicher Kräfte, der in die Entstehung dieses (und vieler anderer seiner Werke) geflossen ist ("Verzeihen Sie die Konfusionen. Wenn Sie meine Lage kennten, würden Sie sich nicht darüber wundern, vielmehr über das, was ich hierbei noch leiste"), verlangt auch vom Interpreten, an und über die Grenzen zu gehen und keinesfalls nach "sieghafter" und "restloser Überwindung" der Schwierigkeiten zu trachten.

Deshalb finde ich auch einen Beginn der Sonate, wie man ihn manchmal sieht, in welchem das tiefe Auftakt-B mit der rechten Hand abgenommen wird, eine denkbar unpassende, schon von Anfang an auf Sicherheit und Beherrschung ausgelegte Geste, und das an prominentest möglicher Stelle....

Natürlich ist es eine schmale Gratwanderung zwischen zuviel Beherrschung und einer schludrigen Interpretation, die dem Werk ebensowenig gerecht wird.
 
(@kalessin keine Ahnung ob die wirklich Schütteloktaven heißen, mir ist spontan nichts Besseres eingefallen).
Es gibt den Begriff tatsächlich in einem alten Buch: "Die natürliche Klaviertechnik" von Breithaupt. Aber der Autor meint anscheinend noch was anderes. Da wird jedenfalls von geworfenen und geschüttelten und gerollten Oktaven gesprochen, scheint mit den Bewegungsabläufen zusammen zu hängen. Oder sowas. :denken:
 
Auf jeden Fall mochte Beethoven diese Figur und verwendete sie öfter, wie im dritten Klavierkonzert...

Den Anhang 6784 betrachten

Dazu ist allerdings zu sagen, dass diese Stelle sehr einfach ist, umzusetzen.-

_________

Was mir allerdings noch einfällt, ist folgendes, @kalessin:

Es gibt den Begriff tatsächlich in einem alten Buch: "Die natürliche Klaviertechnik" von Breithaupt. Aber der Autor meint anscheinend noch was anderes. Da wird jedenfalls von geworfenen und geschüttelten und gerollten Oktaven gesprochen, scheint mit den Bewegungsabläufen zusammen zu hängen. Oder sowas. :denken:


Du erwähntest also dieses Buch von Breithaupt: Ich habe es leider ( bzw. zum Glück ) nicht, jedoch habe ich eine Darstellung folgender Art vorliegen - ich meine, ich hatte es schonmal irgendwo zitiert, hier nochmal, damit wir Breithaupt richtig einordnen können:

Zitat aus Libermann, 11 Lectures:

"At the beginning of this century ( Anm. Olli: gemeint ist das 20. ), there began to appear in Germany, one after the other, volumes on piano technique.

One of the first was a 700 page treatise by Robert Maria Breithaupt entitled "Natural Pianoforte Technique".

This started a revolution, not so much in playing as in teaching, and was the beginning of the famous "weight and relaxation" - method.

As happens with many things invented in Europe, it was eventually forgotten there but remained fashionable here ( Anm. Olli: in Amerika ), like psychoanalysis.

Unfortunately, Mr. Breithaupt is not dead in America ( Anm. Olli: um 1974 herum ) .

What was this revolution against?

After all, in the 19th century we had a tremendous upsurge of incredible piano playing--Thalberg, Chopin, Liszt, then later another generation of giants--Tausig, D'Albert, Rosenthal, Von Sauer, and Busoni, and finally the younger ones, Petri, Ignaz Friedman etc.

But teaching was in very bad shape at this time, as was the playing of average students, because teaching methods hadn't developed with the changes in the instrument.

Elizabeth the Second would have played a much different instrument than Elizabeth the First. The technique required for a virginal, spinet, harpsichord, or clavier , was no good for the piano of the 19th century, which, but for the legs, resembled our modern piano.

Yet the outmoded idea of isolated finger technique was predominant, even after my generation. I had quite a number of students who were taught with books under their arms and pencils or coins on the backs of their hands.

[ es folgen Ausführungen zu Robert Scbumann und seinem schädlichen Konstrukt, das seine Hand bzw. den 4. Finger irreparabel schädigte ]

Fortunately, he married an excellent pianist, Clara WIeck ( although not because of this finger ) who performed his works.

Towards the end of the 19th century a movement against this way to proceed ( Anm.: Gemeint ist nat. isolierte Fingertechnik ) was already beginning. A German teacher, Deppe, admitted certain liberties
-- slight movements of the forearm, hand, etc.

An American student of his wrote about his method, and for this time it was a very sensible book. Then came Breithaupt with his "weight and relaxation" - method. And exactly at the same time in England came Matthay, who, though widely different, moved in the same line with Breithaupt, advocating emancipation of the entire body.

As often happens in revolutions, one extreme was replaced by another. Instead of this veneration of the fingers there came a complete negation of their importance and a glorification of the arms and body.

They tried to do everything either by so-called "free-fall of the arm", or by all kinds of rotation and rolling.

The fingers themselves went almost dead.


[...]"

Zitat Ende.

LG, Olli
 
Ob man persönlich eine Stelle als relativ einfach oder nicht empfindet, war nicht die Fragestellung.

Aber wenn dir die Stelle zu einfach ist, dann probier die zitierte Stelle aus op.106 aus. :-)

Viele Grüße!

Nää, Troubadix. Ich probiere keine Stellen aus. Ich hab die op. 106 Sonate in meinem Leben ca. 6 gezählte Male GANZ durchgespielt ( MIT Fuge ) - es ist eine von 2 Sonaten ( op. 106 und op. 110 ) bei denen ich mir ausnahmsweise auch mal EINZELNE SÄTZE vornehme, da sonst zu lang oder Fuge ( op. 106 ) zu schwer / zu nervig, :

Daher kenne ich bereits auch die genannte "Stelle" aus Satz 1 von op. 106 - und auch die ist machbar, ist allerdings etwas unkomfortabler als die ( einfache ) Stelle aus dem Konzert, insofern haste Recht.

UND man muss Beethovens Oktavsperenzchen lange kennen und b ) nen Draht dazu haben. Sonst hilft nur n Blick in das "Oktavkuchenrezept" von A. L., dem Mann der 11 Lectures. ;)

LG, Olli, und: GLÜCKWUNSCH zum Mod !!
 
Ist ja alles in Ordnung, aber die Fragestellung ist dennoch eine andere.

Da du ja mit op.106 bestens vertraut bist könntest du zum Beispiel erklären, warum Beethoven dort einmal so figuriert...

upload_2014-9-7_16-48-12.png


...und einmal so...

upload_2014-9-7_16-49-43.png

Beethoven kannte offensichtlich auch das Mittel der wechselnden Oktaven zwischen linker und rechter Hand. Warum hat er es bei unterem Zitat oder bei den nach deinem Empfinden leichten Stellen aus dem Konzert und op.2 Nr.3 anders gemacht? Was macht das Orchester eigentlich anschließend im Konzert?

Viele Grüße!
 
Viele Komponisten haben die Stücke ja auch für sich selbe geschrieben oder hatten einen Widmungsträger. Man wollte halt brillieren oder brillieren lassen...
 
Ist ja alles in Ordnung, aber die Fragestellung ist dennoch eine andere.

Da du ja mit op.106 bestens vertraut bist könntest du zum Beispiel erklären, warum Beethoven dort einmal so figuriert...

Beethoven kannte offensichtlich auch das Mittel der wechselnden Oktaven zwischen linker und rechter Hand. Warum hat er es bei unterem Zitat oder bei den nach deinem Empfinden leichten Stellen aus dem Konzert und op.2 Nr.3 anders gemacht? Was macht das Orchester eigentlich anschließend im Konzert?

Viele Grüße!

Troubadix, den leicht süffisanten Ton in Deiner Frage überhöre ich gern - denn GRUNDSÄTZLICH ist es nicht anzuraten, mich bei Beethovensonaten zu unterschätzen...und zwar bei KEINER.

Nun zu Deiner Frage: Warum er hier und dort irgendwas anders gemacht hat, als an anderen Stellen, kann keiner zu 100% beantworten außer ihm selbst. Fakt ist, seine Oktaven-Behandlung ist bekannt ( unter anderem eben auch aus den genannten Werken und noch weiteren, z.B. Konzert "1", Rondo ab Takt 530, oder auch: VERSCHIEDENE abwechselnde Oktaven abwärts in Konzert 5, Satz 1, ab T. 361 "martellato" !! Da muss es richtig krachen!! , aufwärts gleichzeitig ab T 368 b-b / d-d, aufwärts gleichzeitig selbe Noten, aber "entgegengesetzt" ab T. 468, und noch viele andere Stellen in Sonaten ( c-Moll-Sonate: ab T. 96 1. Satz : wieder abwechselnde Einzeloktaven verschiedener Noten, aufeinanderzubewegend ( hier nat. eine sehr dramatische Stelle ( !! ) und Konzerten. Vor allem auch Stellen, wo "geschüttelte" Oktaven einer Hand nur durch Einzeltöne der anderen, oder Triller, oder anderweitige Konstrukte der anderen untermalt werden, wie etwa die "geschüttelten" der linken Hand in Op. 90-SOnate, Satz "nicht geschwind", ab T. 107 zum Beispiel) , meiner Ansicht nach nutzt er Oktaven in den bisher behandelten Beispielen auf die gegebenen Arten, um a ) Klangfülle und b ) Steigerungen hervorzurufen, vielleicht auch, um Ideen des Orchesters aufzugreifen, oder ihm selbst welche zu geben, die es dann nachspielt, oder auf die es concertato antwortet, und ähnliche Zwecke.

Die Oktaven bei Beethoven sind also, wie wir sehen, vielgestaltig eingesetzt, sie sind eigtl. IMMER effektvoll und schön, und finden sich in sehr vielen seiner Klavierwerke.

LG, Olli!
 
wenn ein musikalischer Gedanke große Klangfülle benötigt ( z. B. weil´s grad dramatisch hoch her geht und eben nicht ppp adagio gesäuselt werden soll), dann ergibt sich schon ganz von allein ein relativ höherer Schwierigkeitsgrad; sollte aus klanglich-dramatischen Gründen eine Temposteigerung nötig sein, dann steigert sich die spieltechnische Anforderung: man vergleiche den ersten Teil des großen c-Moll Nocturnes (Chopin) mit dem letzten Teil.

die "Schwierigkeit" selber, möglichst objektiv an rein technischem Aufwand gemessen, ist für den Ausdrucksgehalt allerdings eher sekundär zuständig: das kann man an entsprechenden Stellen dadurch rauskriegen, dass man den Klaviersatz mal reduziert (erleichtert) mal zusätzlichen Krimskrams hinzufügt (quasi ossia piu difficile) - bei den guten Klavierkompositionen sind beide Änderungsweisen unnötig, egal wie niedrig oder hoch der originale Klaviersatz ist :-)
 
warum Beethoven dort [op.106 Kopfsatz] einmal so figuriert...

Den Anhang 6795 betrachten


...und einmal so...

Den Anhang 6796 betrachten
@Troubadix
da diese schlichte (sic! was wohl auch deine Absicht war) Frage unbeantwortet blieb: das hat seinen Grund in den jeweils vorangegangenen Takten und deren Bewegungsmustern.
bei deinem esten Beispiel finden sich zuvor wechselweise Akkordanschläge
bei deinem zweiten Beispiel finden sich zuvor gebrochene Oktaven als Begleitung

(verflucht: das Datei hochladen funktioniert momentan nicht)
 

(verflucht: das Datei hochladen funktioniert momentan nicht)
erst wechselweise Akkorde (Melodie r.H.), konsequent dann die abwechselnden Oktaven (immer noch Melodie r.H.)
op.106 Oktaven 1.png

ah ja, links die gebrochenen Oktaven
op.106 Oktaven 2.png

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allerdings sollte man nicht irrtümlich wähnen, dass die abwechselnden und die gebrochenen Oktaven zu den immensen manuellen Schwierigkeiten von op.106 zählen, denn das tun sie nicht. Sie sind nicht sonderlich schnell und plagen folglich niemanden so, wie es dieselben Oktavenfiguren z.B. bei Liszt oder Tschaikowski tun.
 

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