Absage- und Aufhöreritis

Nein, aus dem, was Musix61 hier in den letzten Jahren so geschrieben hat, lässt sich klar entnehmen, dass sie eine mittelmäßige Lehrerin ist. Das schrieb ich schon vor 5 Jahren hier. Offenbar hat sich seitdem nicht allzu viel getan.

Musix61 kann ja mal schreiben, ob sie der Meinung ist, dass sie eine überdurchschnittliche KL ist (das müsste sie ja sein, um nicht mittelmäßig zu sein), und woran sie das festmacht.

Ich nehme Dir Deine "Klartexte" und Ferndiagnosen nicht für übel (schließlich scheint sich ja auch eine ärztliche Fernbehandlung allmählich zu etablieren;-)). Jeder hat seine Eigenart, und ein Funke Wahrheit ist oft vorhanden.
Wieso ich mich für einen überdurchschnittlichen KL halte?
Ich "hole jeden Schüler dort ab, wo er sich befindet"; will heißen, ich sehe mir jeden Interessenten genau an, versuche im Einführungs- und Kennenlerngespräch seine Ambitionen, Motivationsgründe, Zielsetzungen, musikalischen Vorlieben/ Umfeld genau zu ertasten, um seinen Unterricht dann individuell auf seine Belange "maßzuschneidern". Somit habe ich keine starren Konzepte, und verwende selbstverständlich nicht für jeden die gleiche Klavierschule. Ich habe nicht selten Schüler (durch gute Mundpropaganda: Ja, auch die gibt es in meinem Unterrichtsrevier, man höre und staune;-)), übernommen, die mit meinen "Vorgängern" kreuzunglücklich waren, weil sie stur ihr "Schema F" durchgezogen haben, kaum Kommunikation stattfand, und selbst Erwachsenen eine Kinder- Klavierschule mit bunten Bildchen vorgesetzt hatten. Bemerkungen wie: "Herr Musix, seit ich/ meine Tochter bei Ihnen Unterricht haben, haben wir die Freude am Musikmachen wiedererlangt" höre ich öfters und bestätigt mich und mein Tun.
Ich schreibe mir die Finger wund (natürlich nur im übertragenen Sinne; ich benutze ein professionelles Notenschreibprogramm), fertige Arrangements der verschiedensten Musikrichtungen an, decke mit meinem Unterrichtsangebot eine große Bandbreite vieler Genres ab, auch "U- Musik" und zumindest Grundlagen des Jazz.

Ein "Fall" in der letzten Zeit ging mir sehr nahe: Eine ältere Dame rief mich an: Ihr 89 (!)- jähriger Ehemann würde allmählich dement werden. Seine Ärzte rieten ihm, mittels der Musik sein Gedächtnis zu bewahren und verschüttete Erinnerungen zu wecken. Er hätte vor 50/ 60 Jahren in einer Tanzband gespielt. Nun würde er sein Klavier seit Jahren nicht mehr anrühren; ein Herr aus dem örtlichen Jazzclub wäre schon daran gescheitert, ihn wieder ans Instrument zu bringen. Ich redetete erst einmal mit dem Herren (ehemaliger Professor), sagte ihm, dass sowohl meine verstorbene Mutter als auch unser Flügel zu Hause das gleiche "Baujahr" wie er sind, erzählte von meiner Kindheit, als im Autocassettenrekorder meiner Eltern Max Greger, Hugo Strasser und alte Filmschlager liefen und begann ein bißchen diese Sachen aus dem Kopf zu klimpern. Beim nächsten Mal brachte ich meine Sammlung von UFA- Schlagern, Titel des Great American Songbook usw. mit. Ich spielte einige Titel an wie "Abends in der Taverne" usw. Und dann geschah etwas, was mir Gänsehaut und feuchte Augen bescherte: Er setzte sich ans Klavier und begann zu spielen: "Über die Prärie" aus den 1920er Jahren; erst unsicher, suchend, dann immer sicherer. Ich versuchte mit einzusteigen (ich kannte den Titel kaum); auf einmal sagte er: "Junger Mann, an dieser Stelle kommt ein As- major 7". Und er hatte recht!
Fortan trafen wir uns freitags vormittags und machten zusammen Musik. Er erinnerte sich an mmer mehr Lieder aus längst vergangener Zeit. Seine Frau, 87 Jahre, freute sich wie ein Mädchen. Leider wurde er vor kurzem operiert und war länger im Krankenhaus.

Bei solchen Erlebnissen denke ich: So schlecht kann mein Unterricht dann auch nicht sein.

Trotzdem sende ich ehrfurchtsvolle Grüße aus dem Sumpf des Mittelmaßes hoch zum Klavierlehrer- Olymp

Gruß, Musix
 
Die Menschen verblöden sich zunehmend selbst, gut dass der Einzelne sich entscheiden kann, andere Wege zu gehen.:super:

Ähm, vergessen, den Beitrag von Hasenbein zu zitieren, darauf bezieht sich das. Über das Fehlen von ungeplanter Zeit usw.
 
Hallo Musix61,

sehr schön! Ich sehe, Du bist ein Sportsmann und keine Heulsuse! :-)

Und ich habe ja auch nirgends gesagt, Du seist ein schlechter Lehrer, sondern ein mittelmäßiger.

Bestimmt machst Du das OK. :-)

Diese rührseligen Seniorengeschichten sind aber KEIN Indiz dafür, dass man ein guter Lehrer ist, das weißt Du genauso wie ich. Ich habe ja auch schon öfter, insbesondere ältere, erwachsene Schüler gehabt, die sehr gerne kamen, mit denen sich ein besonderes persönliches Verhältnis entwickelte, die vorher verzweifelt waren und nicht an sich glaubten und im Laufe der Zeit wieder Mut fassten etc. Das ist alles wunderbar - aber wenn wir mal ehrlich sind, hat das mit dem "Klavierunterricht" und dessen Niveau herzlich wenig zu tun, denn in jenem passiert sowieso stets wenig. Aber irgendwie freuen sich diese Schüler immer sehr über das Wenige. Dass dieses Schüler-Lehrer-Verhältnis gut ist, beruht auf menschlichen, nicht auf fachlichen Dingen. So einen Unterricht kann tatsächlich oft auch ein schlechter KL zur vollsten Zufriedenheit des Schülers durchführen (analog ein bisschen zum "Beschäftigungstherapie"-Tamtam-Unterricht kleiner Kinder bei der netten Klaviertante mit den bunten Bildchen und den lustigen Tiervergleichen).
 
Kommt natürlich auf den individuellen Fall an, aber zu beobachten ist, dass einfach immer mehr Leute ihr Leben mit allem möglichem Kram vollballern. Unverplante Freizeit stirbt aus. Langeweile, aus der Kreativität oder der Gedanke "was könnte ich mal tun... ach, eigentlich könnte ich nochmal ein halbes Stündchen üben" entstehen könnten, stirbt aus, solche Situationen werden mehr und mehr geradezu undenkbar. Vielmehr geht es nur noch darum, Termine zu jonglieren und die ganzen Optionen (oder auch "Verpflichtungen", ich setze diesen Begriff absichtlich in Anführungszeichen), die man hat, unter einen Hut zu bringen. Alles wird nur noch halb gemacht und halb verstanden und halb gemeistert. Kinder und Jugendliche leiden unter "Betreuungsterror", sie dürfen nicht mehr unbetreut miteinander oder alleine spielen, sondern werden von einem Betreuungsangebot zum nächsten geschickt. In Wirklichkeit weil die Eltern keine Zeit haben und sie die Kinder irgendwie loswerden müssen, vorgeblich "weil das für die Entwicklung gut ist". Bullshit.

Die Tendenz ist, dass regelmäßiges Üben eines Instrumentes oder einer anderen Fertigkeit etwas für eine kleine Elite wird, während die Masse mit Gruppenunterricht abgespeist wird, bei dem gar kein häusliches Üben mehr verlangt wird, sondern "dumbed down" Unterrichtskonzepte verwendet werden, um den Eindruck einer sinnvollen musikalischen Förderung vorzutäuschen.

@hasenbein: Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Danke für diesen Beitrag!
 
Diese rührseligen Seniorengeschichten sind aber KEIN Indiz dafür, dass man ein guter Lehrer ist, das weißt Du genauso wie ich.

Ja, das ist natürlich klar. In solchen Fällen spielen Empathie und Fingerspitzengefühl eine größere Rolle als fachliche Qualitäten.
In dem von mir geschilderten Fall war es so: Der Kontakt zu mir wurde von der Ehefrau des Professors angeleiert; er selbst wußte von nichts. Als ich dorthin kam, ging es zu wie im Taubenschlag: Pflegerinnen und eine Dame, die extra angeheuert wurde, um mit ihm Spazieren zu gehen und Mensch ärgere Dich nicht zu spielen, gaben sich die Türklinke in die Hand. Ich hatte den Eindruck, dass ihm alles gerade zu viel war. Und dann platzt da noch einer rein, der ihn ans Klavier zerren will. Er hatte schnell Verdacht geschöpft, dass da schon wieder was hinter seinem Rücken "organisiert" wurde. Meine Ausgangsposition war also denkbar ungünstig. Trotzdem überlegte ich mir schnell eine "Strategie", wie ich ihn kriegen könnte, was ja dann auch zum Erfolg führte: Dann schaltete ich eben um auf "Grammophon- Musik".
Ich habe mir danach so manchen meiner Kl- Kollegen/-innen vorgestellt und überlegt: Wie hätte der/die diese Situation angegangen? Wäre er ähnlich flexibel und "schlagfertig" gewesen? Hätte er den alten Herrn zum Spielen bekommen? Ich bin mir da nicht so sicher...
 
Ich sehe es ja persönlich auch so und handhabe es selber auch so, aber da draußen existieren spezielle Lehrer für spezielle Schüler (z. B. im High-End-Klassikbereich), die eben nicht im üblichen Sinne einfühlsam, nett etc. sind, sondern ganz schöne "Sklaventreiber", und "schwarze Pädagogik" betreiben. Ja, manche wollen so einen Lehrer, so wie sich mancher im Zen-Kloster regelmäßig vom Zen-Meister bei dummen Fragen eine runterhauen lässt. Ist der Zen-Meister ein schlechter Zen-Meister, weil er nicht "nett" ist? Wir dürfen nicht naiv davon ausgehen, dass unser - letztlich feminisiertes - Narrativ davon, wie menschliche Kommunikation und Lehrer-Schüler-Verhältnisse auszusehen haben (das ja erst ein paar Jahrzehnte alt ist!) "die Wahrheit" ist. Realität ist auch, dass manche Menschen gerne hart angefasst werden WOLLEN. So wie manche Leute freiwillig zum Militär oder gar zur Fremdenlegion gehen, Ironmans laufen oder Sado-Maso-Sex haben.
 
Wäre @musix61 ein überdurchschnittlich guter Lehrer, dann würde seine Warteliste überquillen, aufgrund der Mundpropaganda.
 

Sprich: Jahresvertrag unterschreiben, kein Unterricht in den Schulferien und trotzdem weiter bezahlen, friß oder stirb!
Da hast du etwas grundlegend falsch verstanden.

Zitat aus meiner Website, warum das so ist:

Die Idee hinter dem Vertrag: Eine Unterrichtseinheit zu x Minuten kostet y Euro. Abzüglich 12 Wochen Schulferien und einer Feiertagspauschale von 2 Wochen kommt man auf durchschnittlich 38 Unterrichtswochen pro Jahr. Das Jahreshonorar von 38 x y Euro wird gleichmäßig auf 12 Monate verteilt, damit ich als Lehrkraft ein gleichmäßiges Monatshonorar bekomme und Sie gleichmäßige monatliche Beiträge leisten. Es dient also der Vereinfachung für alle Seiten. Sie zahlen keinen "ausgefallenen" Unterricht in Ferien und an Feiertagen, sondern all dies ist bereits im Monatshonorar berücksichtigt.
 
Da hast du etwas grundlegend falsch verstanden.
Nein, habe ich nicht. Ich möchte eben keine 38 Stunden wöchentliches Händchenhalten kaufen wie ein Schulkind, sondern nur ein paar mal im Jahr ein paar ausführliche Beratungen. Hier müßte ich diesen Jahrespreis aber komplett bezahlen, um dann durch regelmäßige Abwesenheit zu glänzen und in den Schulferien trotzdem auf dem Trockenen zu sitzen.

Und glaub mir, ich leide garantiert nicht unter "Aufhöreritis".

Es gibt sogar ein Alibi-Zehn-Stunden-"Flexibel"-Paket, das aber nur ein halbes Jahr gültig ist. Damit zahlt man dann eine Leistung im Voraus, an die sich der Vertragspartner nach einem halben Jahr nicht mehr gebunden fühlt. Sehr "faires" Geschäftsmodell.

Aber wie gesagt, das ist eben der Markt. Und das nicht nur bei Instrumentallehrern so. Auch unseren Ärzte stapeln sich lieber im schönen München und jammern über die ach so dreisten Simulanten. Während der einzige Doktor in der Provinz immer ein volles Wartezimmer hat, im Kasernenhofton seine Ansagen macht und der Patient entweder spurt oder verstirbt. :lol:
 
Deine nicht erfüllten Wünsche sind aber nicht deckungsgleich mit der Fehlinterpretation scheinbar umsonst weiterbezahlter Ferien.
Dass dort (wo auch immer) niemand Einzelstunden anbietet, wundert mich. Die müsste halt noch teurer sein als eine Stunde einer 10er-Karte.
Entweder sind alle randvoll oder sie wollen keine Erwachsenen.
 
Es gibt sogar ein Alibi-Zehn-Stunden-"Flexibel"-Paket, das aber nur ein halbes Jahr gültig ist. Damit zahlt man dann eine Leistung im Voraus, an die sich der Vertragspartner nach einem halben Jahr nicht mehr gebunden fühlt. Sehr "faires" Geschäftsmodell.

Lieber Fünfton,

hast du mal gefragt, ob Klavierlehrer in deiner Nähe evtl. auch Zehnerkarten mit längerer Gültigkeit anbieten? Die Erfahrung zeigt, dass KL durchaus auf Wünsche potentieller Schüler eingehen. Ich würde also den Kontakt suchen, deine Situation erklären und fragen, ob es nicht für dich speziell eine Sonderregelung geben könnte.

Wenn du es nicht schon gemacht hast ... .

Liebe Grüße

chiarina
 
habe jetzt nicht alle 8 Seiten durchgelesen, bin auch weder KL noch Berufsmusiker, gebe meinen Senf aber trotzdem dazu

...dass auch mündliche Vereinbarungen rechtsgültig sind? Lediglich die Beweislasten sind dann ungleich verteilt
absolut richtig und deshalb ist Destenays Vorschlag so einfach wie genial

warum lässt du dir dies nicht Quartalsweise im Voraus bezahlen???
Ob man das jetzt mit nem 10er-Karten-Prinzip löst, schriftlich oder nicht, ist sicher auch Geschmackssache.
entscheidend ist:

Du gibst die Kontrolle ab und behältst das Risiko bei Dir.
Jeder Lehrer auf dieser Welt, egal in welchem Metier und Verhältnis zu seinen Schülern muß sie sich erziehen, sonst tanzen sie einem auf der Nase rum.

Vielleicht ist sein Unterricht einfach nicht teuer genug... Den Antritt einer ihrer ... Urlaubsreisen pro Jahr haben diese .... Zeitgenossen allerdings noch nie versäumt.
Vielleicht nicht weil dieser ungleich teurer wäre, sondern weil die Vorab eingetrieben wird


Ich habe gleich klargemacht das ich auch jederzeit aufhören kann....
Dann mach doch ...

Wüßte nicht, was Dein Alter mit den hungrigen Schnäbeln meiner Kinder zu tun hätte ???

... zweitens ich habe Schwierigkeiten mit meiner linken , und in Ansätzen rechten Hand. .... Sollte sich dies verschlimmern muss ich ganz oder zeitweise aufhören.
Das ist bedauerlich und Du hast mein aufrichtiges Mitgefühl.
Aber auch das hat nix mit meinem Geldbeutel zu tun. Kann mir auch nicht vorstellen, daß Du dem Therapeuten, solltes Du hierfür einen aufsuchen, mit einer ebensolchen Komm-ich heut-nicht, komm-ich-morgen Mentalität beglücken kannst. Wäre ich KL und würde entscheiden mein System zu ändern, könntest Du da mit machen oder gehen. Würde mich kein Wimpernzucken kosten.

Angst ist ein ganz schlechter Ratgeber. Auch die davor Kundschaft zu verlieren.
Meine persönliche Non-KL-Erfahrung im Leben ist:
- je klarer und konsequenter geahndet die Regeln für (auch für große) Kinder sind um so leichter werden sie akzeptiert
- je mehr es den Leuten an den geldbeutel geht, um so disziplinierter werden sie.

Wenn man in einer Gegend wohnt, in der KLU nicht so nachgefragt ist, kann man vielleicht in anderen Gegenden (Kirchen-) Gemeinderäume dafür nutzen oder andere Lösungen finden.

Aber wie auch immer man es dreht:
Das Klavierlehrertum unterscheidet sich kaufmännisch in keinster Weise von anderen selbständigen Tätigkeiten. Wenn nach einer gewissen Anlaufzeit der Ertrag nicht reicht, muß man was ändern auch wenn das Risiken birgt oder den Betrieb einstellen.
Hast Du eigentlich mal ausgerechnet, wieviel Schüler/Stunden Du brauchst um über die Runden zu kommen? Führst Du Buch, auch über Deine Ausgaben und Lebenshaltungskosten?

LG
Manfred
 
Bei meinen ( vorwiegend erwachsenen) Schülern, die Unterricht auf Einzelstundenbasis nehmen, grassieren gerade 2 Krankheiten, die epidemieartige Züge annehmen: Die Absageritis und die Aufhöreritis.
Über mögliche Maßnahmen und Verhaltensweisen zur Ahndung und Vorbeugung wurde hier bereits ausführlich geschrieben. Die Frage bleibt aber immer noch im Raum, warum gerade zurzeit dieses Verhalten ansteigt. Was ist der Hauptgrund?
 
Zuletzt bearbeitet:
.... vielleicht eine allgemeine Kultur der Unverbindlichkeit, die typisch für die heutige Zeit ist ?
 

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