Bösendorfer 190 (1920er) Eindruck/Einschätzung

landvoigt

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Guten Abend zusammen,

ich bin neu im Forum, hoffe daher dass ich mit meinem Anliegen hier richtig bin. Verzeiht mir falls nicht.

Ich bin gelernter Orgelbauer, komme aber eigentlich vom Klavier und träume seit ich denken kann vom eigenen Bösendorfer. Der warme, weiche Klang und der singende Tenor passen perfekt zu meinem Spiel, das stand spätestens nach Besuch des Salons in Wien fest. Ich weiß aber jetzt schon, dass ich mir mit meinem Beruf einen neuen niemals leisten können werde. Daher verfolge ich seit einigen Jahren den Gebrauchtmarkt in der Hoffnung, einen gut erhaltenen zu erwischen und das nötigste selbst zu machen (Filze erneuern, Hämmer abziehen, Garnierungen, einregulieren, intonieren und Stimmen kann ich in meiner Werkstatt und sind kein Problem. Alles Weitere wie Ausspanen und Schellack erneuern wäre des Aufwands zu viel!).

Jetzt habe ich einen gefunden, der mir ganz gut erscheint und den ich auf jeden Fall mal anschauen werde. Da ihr Klavierfachleute euch aber besser auskennt, wollte ich euch zumindest einige Fotos zeigen und würde mich über einen Eindruck freuen, ob es sich überhaupt lohnt einen Gutachter vorbeizuschicken. Der verlangt mittlerweile auch schon über 300€.

Nun also zum Flügel. Alle Infos basierend auf den Fotos. Ich werde, falls es sich lohnt, in Kürze persönlich vorbeifahren.

- Modell: Bösendorfer, dem Bild nach wohl ein 190 er

- Baujahr: Flügel trägt die Nr. 3681, das ist aber nicht die Seriennummer (wäre mit 1850er Jahren zu früh). Ich denke es ist die Arbeitsnummer, bei der die Zehntausenderstellen weggelassen wurden. Der Bauform nach tippe ich auf 23681, also um 1925.

- Oberfläche: Schellack, teilw. stark beschädigt mit UV-Schäden, Abrieb, einigen Rissen und Macken bis aufs Furnier. Ein Scharnier des Deckels ist unvollständig. Ich möchte aber anmerken, dass mir die Optik erstmal egal ist.

- Klaviatur: Sieht mir gleichmäßig reguliert aus. Zwei Tasten haben an der Vorderkante kleine Abplatzungen, ansonsten wohl i.O.

- Mechanik: Sieht mir gut erhalten aus, Hämmer entweder neu oder selten bespielt da kaum eingegraben, Dämpfer stehen gut, Bändchen und Lederteile muss ich mir anschauen. Filze teilw. etwas mitgenommen.

- Saiten: Alle intakt, der Patina nach original, laut Inschrift in 2001 auf 440 Hz gestimmt. Letzte Stimmung Anfang 2023, auf aktueller Klangprobe klingt alles recht sauber, scheint wohl die Stimmung zu halten.

- Stimmstock und Steg: Stifte stehen alle gerade, sehe auf den Aufnahmen keinerlei Risse. Haarrisse werden sich ggfs. erst aus der Nähe zeigen, sieht mir aber soweit i.O. aus.

- Rahmen: Sieht i.O. aus, auch hier werde ich in Person genau schauen.

- Reso: Einige Risse an den Leimfugen in Faserrichtung erkennbar, wohl nicht durchgehend. Ob diese problematisch sind, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

- Pedale: i.O.

- Zusammenfassung: Optisch beschädigt, Spielanlage scheint mir gut erhalten, Stimmung scheint stabil, Resonanzboden bereitet mir noch etwas Bauchweh. Preis laut Verkäufer: VB 3.500€

- Was will ich: Ich brauche keinen optisch perfekten Flügel. Schellack erneuern ist sowieso unbezahlbar wenn ich es nicht selber mache. Wichtig ist mir eine dauerhaft stabile Stimmung, der warme Bösendorfer Klang der 1920er Modelle und ein gutes Spielgefühl. Also KEINE Generalüberholung für Zehntausende Euro, sondern nachhause holen, nachregulieren, intonieren, stimmen, fertig.

Meine Fragen an euch:

- Wie ist euer Eindruck zum Instrument? Lohnt es sich, ein Gutachten erstellen zu lassen?
- Im Falle eines Kaufes: Lohnt sich ein Luftbefeuchter bzw. ein leicht feuchteres Raumklima, um den Rissen im Reso entgegenzuwirken?
- Ich habe überlegt, die Stimmung ggfs. auf 432 oder 435 Hz abzusenken, um das Material etwas zu entlasten?

Im Anhang findet ihr die Aufnahmen. Habe auch noch mehr bei Bedarf. Ich freue mich auf Feedback!
Schönen Abend euch!

Landvoigt
 

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Hier gibts noch ein paar Detailaufnahmen von Reso, Stimmstock, Klaviatur und Rahmen.
 

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Wenn der Klang gut ist und dir gefällt, die Stimmhaltung gegeben ist, und dir die Spielweise des Spielwerks zusagt — was soll dann groß sein? Mit oder ohne beginnende Risse im Resonanzboden …

Wenn das Instrument tatsächlich 100 Jahre alt ist und seit fast einem Vierteljahrhundert die Stimmung auf 440 Hz erträgt, dann sehe ich bei diesem Preis kein erhöhtes Risiko eines Fehlkaufs. Dass das Pianoforte seine besten Jahre hinter sich hat, ist ja klar. Ebenso, dass es daran wenig gibt, was man nicht reparieren könnte.

Und klar wird eine klimatisch stabile Umgebung dem Holzkörper helfen, den natürlichen Verfall zu bremsen.

Ich denke auch, dass dieses Instrument aufgrund der Gebrauchsspuren längst den Weg alles Irdenen gegangen wäre, wenn es nicht mehr für seinen "Lebenszweck" geeignet wäre. Dass es offenbar regelmäßig gestimmt wurde spricht dafür, dass es auch wirklich gespielt wurde. Und das macht man doch nur, wenn es noch etwas taugt.

Du bist vom Fach, wirst dir bei vielem selber helfen können und wohl auch wollen. Damit entfällt schon mal der Großteil der Kosten bei einer Reparatur: die Arbeitszeit.

Hinfahren, anspielen, sich Zeit lassen, genau hinschauen. Die drei Hunderter für den Experten kannst du dir da möglicherweise sogar sparen, was soll der groß finden, was du nicht erkennst und in der Preisklasse hinzunehmen ist?

Also mein Fazit: Rahmen gut, alles gut!
 
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Gibt es eine Cites-Bescheinigung?
 

In diesem Fall eine berechtigte Frage. Wenn keine Seriennummer ersichtlich ist, gibt's auch keine Herstellerbescheinigung, egal wie offensichtlich es ist, dass das Teil vor 1975 gefertigt wurde. Beim Käufer mal nachfragen, ob er noch irgendwelche Rechnungen hat, die den Kauf datieren.

Im übrigen ist das, was er benötigt, keine CITES-Bescheinigung sondern eine ausschließlich in der EU gültige Bescheinigung für kommerzielle Tätigkeiten laut EU-Verordnung 338/97 und 865/2006. Eine existierende CITES-Bescheinigung kann dabei als Grundlage für den Antrag ohne weitere Prüfung herangezogen werden.

Ja, die ganze Scheiße mit altem Elfenbein nervt.
 
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- Wie ist euer Eindruck zum Instrument? Lohnt es sich, ein Gutachten erstellen zu lassen?
300 ist schon viel. Ist die Anfahrt so lang?
Jedenfalls bekommst du dann eine Einschätzung, was für Reparaturen zu machen wären - und was du davon selber machen kannst. ZB Filze der Hammerköpfe erneuern - die schicken auch die Klavierbauer ein und machen das nicht selber.

- Im Falle eines Kaufes: Lohnt sich ein Luftbefeuchter bzw. ein leicht feuchteres Raumklima, um den Rissen im Reso entgegenzuwirken?
Nicht unbedingt. Risse im Resonanzboden sind nur dann problematisch, wenn du sie hörst. Beim Testen jeden Ton fest anschlagen und auf Nebengeräusche achten. Und wenn du welche hörst, Ursache suchen. Das kann lang dauern, kann an vielen Teilen im Flügel liegen - und auch außerhalb des Flügels...

- Ich habe überlegt, die Stimmung ggfs. auf 432 oder 435 Hz abzusenken, um das Material etwas zu entlasten?
Kannst du selber stimmen?
Technisch ist die Entlastung wohl nicht nötig. Die Spannung der Saiten hat aber Einfluss auf die Klangfarbe und es kann sein, dass er bei einem gewissen Kammerton schöner klingt. Ich sehe aber keinen Grund, unter 435 zu gehen. Denn:
1885: 435 Hz
1939: 440 Hz
 
Vielen Dank euch schonmal für das Feedback. Werde ihn auf jeden Fall probespielen. Wenn Anschlag und Klang passen, sehen wir weiter!
 
Falls Fachleute anwesend sind: Mir sind Risse im Diskantsteg aufgefallen. Wie sind diese einzuschätzen?Screenshot_20240311-231030.png
 

Unter Beobachtung stellen.

Geben die Saiten am Stift der Rißstelle schneller nach als die anderen Saiten, wär ein neuer Stegdoppel von Nöten.
Es kann auch sein, es sind nur die Stegschrägen. Derart gerade Risse quer zur Maserung würden mich wundern, noch dazu in regelmäßigen Abständen. Geht aus dem schlechten Bild kaum hervor... wird sich bei Besichtigung zeigen. Da mich die lange Anfahrt allein schon knappe 200€ kostet, schaut man halt lieber 10 Mal hin...
 
So regelmäßige Risse gibt es nicht. Das sind — wie Peter schreibt — die Schatten von den Stufen aus der manuellen Holzbearbeitung.

Du machst dir zuviele Gedanken. Grübeln ist nicht gut im Leben. :chr02:

Das instrument ist 100 Jahre alt und wenn es passabel spielt ist doch bei dem Preis nichts verhackt. Wenn es in liebende Hände kommt ist das doch schön für beide Seiten. Hinfahren, anspielen, genau hinschauen, hinhorchen. Wenn die zu erwartenden Mängel primär der Optik geschuldet sind und der Rest brauchbar ist, kaufen. Im Hinterkopf bedenken, was man sonst um diesen Betrag bekommt …
 
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Wenn 3500,- für Dich seeehr viel Geld ist, dann würde ich es vielleicht lassen, falls Du den Verlust verkraften könntest, deutet hier vieles auf ein sehr günstiges Angebot hin - mit gewissem Risiko.
 
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Bin ich blind? Wo genau? Falls die viel zu regelmäßigen Schattenfugen gemeint sind, sehe ich das wie @landvoigt .

Stegrisse parallel zur Saite sind eher ungewöhnlich, auszuschließen ist es allerdings nicht.

Vom Photo her, könnte es sich durchaus um Risse handeln, ist aber auch nicht auszuschließen daß es hier nur schlecht abgelichtete Stegabstiche sind.
 
Henry, diese "Risse" sind in exakt demselben Abstand zueinander, absolut parallel und auch völlig gerade: solche Risse gibt es nicht.

Da würde ich mir eher Gedanken zu den Saiten und Hammerfilzen machen.
 

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