Was meine Frühförderung ganz allgemein betrifft, würde man in einem anderen Kontext als "Es war kompliziert" bezeichnen.
Erster Kontakt zu klassischer Live-Musik eindeutig im Bauch meiner Mutter, die mir später erzählte, ich hätte bei Beethoven mächtig getreten, sei bei Mozart aber regelmäßig eingeschlafen. Auch zu Hause wurde viel klassische Musik gehört und ich spielte im Grundschulalter regelmäßig einige Opern nach, die ich zuvor im Theater erlebt hatte, baute dafür das Wohnzimmer in einen Zuschauerraum plus Bühne um, schloss die Vorhänge., verkleidete mich und legte die passende Schallplatte auf. Selbstverständlich kannte ich die entsprechenden Libretti auswendig und sang mit, so gut ich konnte.
Parallel dazu hatte ich als Tochter eines Intendanten freien Zugang zu allen Räumen des Theaters, wuchs in den ersten Jahren praktisch dort auf und war vor allem vom Theaterballett begeistert, allerdings weniger wegen des Tanzes, sondern vor allem wegen der Klaviermusik. Ab und zu durfte ich auf dem Klavier auch spielen, wenn auch anfangs ohne jegliche Anleitung. Ich habe mir am Klavier Geschichten ausgedacht, bin zum Beispiel durch den Wald spaziert, während die Vögel zwitscherten, oder erlebte Gewitter und reißende Flüsse. Eines Tages, ich war ca. 4,5 Jahre alt, zeigte mir der GMD ein paar Griffe und brachte mir eine Tonleiter sowie ein kurzes Stück bei. Und nun wurde es kompliziert:
Das nachfolgende Gespräch mit meiner Mutter habe ich immer noch im Ohr: "Ihre Tochter sollte unbedingt Klavierunterricht erhalten, sie ist begabt und begeistert." Meine Mutter: "Ich weiß, und gerade deshalb wird es keinen Unterricht geben und es kommt mir auch kein Klavier ins Haus."
Ihre Begründung mir gegenüber: "Ich kenne dich, du übst dann den ganzen Tag und nervst damit die Leute".
Der wahre Grund dürfte ein anderer gewesen sein, denn meine Mutter litt ihr ganzes Leben lang unter dem extremen Leistungsdruck, dem sie in Ihrer Kindheit ausgesetzt war. Ihre Karriere als Balletttänzerin und Eiskunstläuferin mit täglichem Training begann mit 2,5 Jahren, parallel gab es eine Konservatoriumsausbildung in Klavier, Geige und Blockflöte sowie Ausdruckstanz und Akrobatik. Selbstverständlich wurden später auf dem Gymnasium nur Bestnoten erwartet. Mit ihrer Heirat brach sie den Kontakt zu ihrem Elternhaus komplett ab. Meine Großeltern habe ich nie persönlich kennengelernt, lediglich im TV konnte ich meinen Opa sehen, der Konzertmeister eines nicht ganz unbekannten Orchesters war. Er soll im Gegensatz zu meiner Oma ein toller Mensch gewesen sein und seine Instrumentensammlung wäre ein Paradies für mich gewesen...
Mit ihren Kindern wollte es meine Mutter anders machen, alles richtig machen - und machte damit alles falsch. Ich wollte nämlich, bettelte intensiv und durfte nicht und das betraf nicht nur die Musik. Das Lesen habe ich mir mit vier Jahren von einem drei Jahre älteren Spielkameraden mit einem Trick beibringen lassen: Schule spielen. Er war Zahnarztsohn und nicht auf den Kopf gefallen, er hat es also ganz schnell hinbekommen und meine Mutter war entsetzt. Ich durfte in der Öffentlichkeit nicht laut lesen, es war ihr zu peinlich. "Was sollen denn die Leute denken..."
Die Anmeldung im Sportverein hat nach langem Gezeter meinerseits mein Vater durchgesetzt. Ich war bereits 12,5 Jahre und eigentlich schon zu alt für die Leistungsschiene, konnte die verpasste Zeit aber mit viel Fleiß und dem für meinen Sport fast perfekten Körperbau schnell aufholen.
Mit 13 oder 14 Jahren bekam ich dann endlich Tasten, wenn auch nur eine schrecklich klingende Bontempi-Orgel und den Hinweis, ausschließlich mit Kopfhörern spielen zu dürfen. Klavierunterricht weiterhin Fehlanzeige, den habe ich mir erst mit 49 Jahren gegönnt. Ansonsten hatte ich ein paar Spielzeuginstrumente und eine Blockflöte, durfte ab dem Gymnasium im Schulchor singen, aber eine echte musikalische Förderung war das natürlich auch nicht.