Verzierungen Rondo alla turca

Nehmen wir mal an, Mozart hätte den Alla-Turca-Anfang in vier Sechzehnteln gewünscht.

Mozart wußte sicherlich, daß viele Kollegen die Appoggiatur-Schreibweise als kurzen Vorschlag interpretierten.

Was hätte er machen müssen, um sicherzustellen, daß die Kollegen auch wirklich vier Sechzehntel spielen?

Meine Verwirrung ist komplett. Notationstechnisch ist das doch ein langer Vorschlag und man hat solche früher nur anders gespielt? Wieso jetzt kurz? Au man...ich hasse Verzierungs-Notation.
 
Meine Verwirrung ist komplett. Notationstechnisch ist das doch ein langer Vorschlag und man hat solche früher nur anders gespielt? Wieso jetzt kurz? Au man...ich hasse Verzierungs-Notation.

Notationstechnisch gab es damals keinen Unterschied zwischen kurzen und langen Vorschlägen (wenn durchgestrichene Achtel verwendet wurden, waren sie gleichbedeutend mit Sechzehnteln).



Eine Improvisation scheint mit nicht zu passen, aber warum ist das jetzt keine Interpretation?

Beides ist eine Interpretation, aber von "freier" Interpretation kann keine Rede sein.

Genaugenommen können wir sogar vier Arten der Ausführung unterscheiden:

1. kurzer Vorschlag vor der Zeit (siehe Quantz, siehe Mozart "Magnificat")
2. kurzer Vorschlag auf die Zeit (siehe Türk, Beispiel g)
3. Ausführung als Sechzehntel, mit sehr deutlicher Dynamik und Artikulation (siehe Türk, Beispiel h)
4. ganz normale Sechzehntel

1. und 2. waren zu Mozarts Zeit üblich
3. kam gegen Ende von Mozarts Zeit in Mode, galt aber noch eher als "ungewöhnlich".
4. wird heute oft gemacht, zur Zeit Mozarts gibt es davon keine Spur.
 
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Danke, klingt gut.
Also wäre das zu pauschal, obwohl es für mich als Laien und Mathematiker so schön stringent klingt:
https://musikwissenschaften.de/lexikon/v/vorschlag/

Weil das passt ja dann gar nicht, z.B. zu diesen 32tel aus der zweiten Zeile der initalen Frage.

Quellen oder Lexikoneinträge aus dem späten 19. Jh. sind sehr kritisch zu sehen, wenn sie das 17. und 18. Jahrhundert zum Inhalt haben. Viele Originalquellen, die wir heute selbstverständlich heranziehen, waren damals noch nicht erschlossen.
 
Quellen oder Lexikoneinträge aus dem späten 19. Jh. sind sehr kritisch zu sehen, wenn sie das 17. und 18. Jahrhundert zum Inhalt haben. Viele Originalquellen, die wir heute selbstverständlich heranziehen, waren damals noch nicht erschlossen.

Die Frage ist dann aber, wie heutige Notenverlage mit dem Thema umgehen sollten.
Statt stringenter Regeln hat man: Alles ist möglich & man muss es jeweils individuell im musikhistorischen Kontext bewerten - und das scheint ja quasi ein Vollzeitjob zu sein, überhaupt die aktuell musikhistorisch anerkannten Ausführungsformen herauszufinden.

Das können & wollen viele Käufer solcher Noten gar nicht leisten. Kann man sich nicht mal eine homogene Notation für Verzierungen und deren Ausführung einigen und alte Verzierungsformen in solch eine homogene Form umschreiben? (ja, Aufschrei der Puristen ist abgehakt)

Andererseits: Die Gefahr scheint real: Auch in 100 Jahren urteilt man ggf. über heutige Musikwissenschaftler in der Form: Diese Ausführungsform haben wir einem Herrn XY zu verdanken, die wussten es halt net besser *Naserümpf*.

Jaja, ich schimpfe ;) Was mich das Thema (nicht für dieses Stück allein) schon an Zeit gekostet hat.
 
Das können & wollen viele Käufer solcher Noten gar nicht leisten. Kann man sich nicht mal eine homogene Notation für Verzierungen und deren Ausführung einigen und alte Verzierungsformen in solch eine homogene Form umschreiben?

Die Verlage gleichzuschalten wird nicht funktionieren.

Der Käufer muß sich aus dem Angebot halt das für ihn richtige aussuchen:

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Kann man sich nicht mal eine homogene Notation für Verzierungen einigen und alte Verzierungsformen in solch eine homogene Form umschreiben?

Das kann man eben nicht. Weil es nirgendwo eine allgemeingültige Norm gibt, wie Verzierungen auszuführen sind. Das richtet sich ja nicht nur nach Beispielen in alten Quellen, sondern hängt auch vom verwendeten Instrument, den spieltechnischen Fertigkeiten des Interpreten und dem musikalischen Zusammenhang ab. Leopold Mozart schreibt z.B. in seiner Violinschule, dass man einen Triller auf den tiefen Saiten langsamer spielen soll als auf den hohen Saiten. Wie soll man so eine Aussage in Notation darstellen?
 
also, der Andreas Staier im verlinkten Beispiel wechselt ja die Phrasierung: erst "normal", also vier Sechzehntel und dann in der Wiederholung wie Türk, Beispiel g. Musste der sich erst warmspielen oder ist das Kunst? *
Und die Vorschläge ab T. 25 spielt er gar nicht, sodern drischt den ganzen Akkord. Ist das nicht etwas willkürlich?

*) oder kann das wech? ;-)
 
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Statt stringenter Regeln hat man: Alles ist möglich & man muss es jeweils individuell im musikhistorischen Kontext bewerten - und das scheint ja quasi ein Vollzeitjob zu sein, überhaupt die aktuell musikhistorisch anerkannten Ausführungsformen herauszufinden.

Das können & wollen viele Käufer solcher Noten gar nicht leisten.

Es ist grundsätzlich richtig was Du schreibst. :-)


Aaaaaaaaaaaaber dafür hat man

1. Eine kompetente Lehrkraft (vulgo: KL) an der Seite, die einem genau so etwas erklärt bzw. beibringt und ggf. immer wieder aufs neue anmahnt?

2. Widrigenfalls oder zur auffrischenden Ergänzung: Clavio? ;-)

3. Es gäbe noch die Variante: Bücher, Tutorials, Vorträge o.ä.


Die gute Nachricht ist, dass man sich diese unterschiedlichen Praktiken bei der Ornamentik leicht merken kann. Kein Vollzeitjob!
tor.gif


Es reicht sich zu merken: Um ~ Pi mal Daumen das Jahr 1800 ändert sich die Aufführungspraxis der Ornamentik nachhaltig.

Also, falls man eingefleischter Liebhaber von Literatur der romantischen Epoche ist und wenig bis gar keine Erfahrung mit älteren Werken hat: Bei Literatur, die vor 1800 entstand, lieber noch mal überlegen/nachgucken/nachfragen. Oder umgekehrt.

gut.gif
 
also, der Andreas Staier im verlinkten Beispiel wechselt ja die Phrasierung: erst "normal", also vier Sechzehntel und dann in der Wiederholung wie Türk, Beispiel g.
Da wechselt der Rhythmus und die Artikulation, an der Phrasierung ändert sich nichts.

Sicher nicht. Ab Takt 9 kehrt er wieder zur Sechzehntel-Ausführung zurück - und bei der Wiederholung zu den kurzen Vorschlägen. Da ist er konsequent.

Und die Vorschläge ab T. 25 spielt er gar nicht, sodern drischt den ganzen Akkord.
In T. 25 ist noch ein deutliches Arpeggio zu hören.

Daß Staier auch sehr willkürliche Sachen macht, bestreite ich nicht. Mir ging es nur um die Figur Vorschlag/Achtel/zwei Sechzehntel. Die kann man mit kurzem Vorschlag machen oder als vier Sechzehntel. Beide Ausführungsweisen lassen sich gut begründen, sind also keine "freien" Interpretationen.
 

Muzio Clementi 1801:
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In T. 25 ist noch ein deutliches Arpeggio zu hören.
Wenn man das Geschrammel "Arpeggio" nennen will, ist er gerade hier ja nicht konsequent, denn in den Folgetakten fehlt es gänzlich.

Das ist ein intressantes Beispiel. Es zeigt, daß der Vorschlag die Zusammengehörigkeit zweier Noten darstellen soll. So könnte man für meinen Geschmack sehr schön auch den türkischen Marrrsch phrasieren:

dj369s44.png


Das könnte auch das verbreitete Zirkustempo etwas eindämmen, weil der Wechsel zwischen legato und staccato den Tastensportler automatisch etwas ausbremst.
 
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Wenn man das Geschrammel "Arpeggio" nennen will
"Geschrammel" ist ein schönes Wort in diesem Zusammenhang. Mozarts Hinweis "alle turca" zeigt ja seine Absicht, "Janitscharenmusik" darzustellen. Das ganze Geschrammel ist unverkennbar auf perkussive Wirkung, auf Schlagzeug-Imitation angelegt.




dj369s44.png


Was Du "phrasieren" nennt, hat mit Phrasierung nichts zu tun, sondern mit Artkulation. Dein Beispiel entspricht der Artikulation bei Türk, s. O. (An den wird Mozart eher nicht gedacht haben...)
 
Das ganze Geschrammel ist unverkennbar auf perkussive Wirkung, auf Schlagzeug-Imitation angelegt.
Und in den Folgetakten von 25 hatten die Schlagzeuger keine Lust mehr?

Was Du "phrasieren" nennt, hat mit Phrasierung nichts zu tun
aha...

Dein Beispiel entspricht der Artikulation bei Türk, s. O. (An den wird Mozart eher nicht gedacht haben...)
Vielleicht nicht an Herrn Türk, aber an diese *räusper* Artikulation?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Und in den Folgetakten von 25 hatten die Schlagzeuger keine Lust mehr?
Wie bereits gesagt:

Daß Staier auch sehr willkürliche Sachen macht, bestreite ich nicht. Mir ging es nur um die Figur Vorschlag/Achtel/zwei Sechzehntel. Die kann man mit kurzem Vorschlag machen oder als vier Sechzehntel. Beide Ausführungsweisen lassen sich gut begründen...
Vielleicht nicht an Herrn Türk, aber an diese *räusper* Artikulation?
Mit einem kurzem Vorschlag könnte man eventuell eher eine perkussive Wirkung erzielen.
(Wenn man über keinen Janitscharen-Zug verfügt...)
 
Ich habe nur diesen Ausschnitt von Staier gehört, aber bei ihm gehe ich schon davon aus, dass er gut überlegt, was er tut und vor allem historische Quellen besser kennt als viele seiner Kollegen. Ich vermute, er geht eben davon aus, dass man Wiederholungen durchaus zu dieser Zeit unterschiedlich gespielt haben könnte. Dafür gibt es Belege. Die heute oft angemahnte Konsequenz (wenn ich das an einer Stelle so mache, muss es an allen anderen auch so sein) kam erst später. Kann man gut finden oder nicht. Genauso kann man das Hammerklavier schön oder nicht schön finden. Ein prominenter HIP-Vertreter meinte mal, die Dinger klingen wie alte Blechbüchsen...
 

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