Da die Herangehensweise zur Improvisation im Jazz ausgiebigst dokumentiert ist, freue ich mich nun endlich mal etwas Gleichwertiges im klassischen Bereich zu erfahren.
hallo,
zunächst wäre zu überlegen, was
Improvisieren in Klassischer Musik bedeuten kann.
historisch ist belegt:
- das freie Fantasieren, auch über vorgegebene Themen, war für Komponisten wie Bach, Buxtehude, Händel (Barock - Bach soll sogar über ein vorgegebenes Thema eine dreistimmige Fuge improvisiert haben!!), Mozart, Beethoven (Wiener Klassik) ganz selbstverständlich. Zeitzeugen haben berichtet, dass Beethoven im freien Fantasieren enorm virtuos aufdrehen konnte (vg. Molsen).
- das freie Fantasieren sollte durchaus auch das instrumentale und musikalische Können belegen: in diesem Sinne waren die Kadenzen (Solo-Einlagen) in vielen Konzerten frei (allerdings hat sich in diesen Konzerten von mozart bis Beethovens 3. Klavierkonzert eingebürgert, die zur Wahl gestellten Kadenzen des Komponisten selber, solche von anderen Komponisten (z.B. Brahms hat Kadenzen zu Mozart & Beethoven verfasst)
- das freie Fantasieren in einem Konzert mit gemischtem Programm (erst im Lauf des 19. Jh. bürgerte sich der Solo-Abend oder Klavierabend ein) sollte ebenfalls die Fähigkeiten des Solisten demonstrieren; üblich wurde, dass der Solist über irgendein Thema (meist aus gerade in Mode gekommen Opern) improvisierte --- improvisieren und fantasieren ist in diesem Sinne mehr oder weniger synonym --- und im 19. Jh., als die "Virtuosen-Konzerte" üblich wurden, musste dies mit gößtmöglicher Bravour und Brillanz geschehen
- hieraus entwickelten sich dann die schon vorgefertigten, mit virtuoser Brillanz und effektvollen Schwierigkeiten gespickten "Fantasien über / Reminiszenzen von / Paraphrasen" sowie variierte Klavieradaptionen
bzgl. notierter, also fixierter Musik, sind
Variationen, Fantasien & Bearbeitungen (Paraphrasen etc) Gattungen, denen man die Herkunft vom Improvisieren noch oftmals anmerken kann - - sorry, was ich vergaß zu erwähnen: das freie Fantasieren über ein vorgegebenes Thema ist natürlich auch ein Abwandeln, ein Variieren und Ausschmücken
also ein Thema verändern, in unterschiedliche klangliche Bereiche bringen, es irgendwie entwickeln oder irgendwohin führen: das
war gleichsam der Bereich, in welchem sich Improvisation auch öffentlich abspielte.
--- dass sicher sehr viel Musik aus Improvisation entstanden ist, dürfte klar sein.
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bravourös, also voller Passagen etc. zu fantasieren, setzt natürlich voraus, dass man mit den Möglichkeiten des Instruments (technische Beherrschung) und mit dem musikalischen Material (Harmonik, Rhythmik) sehr vertraut ist.
Allerdings hisst das nicht, dass Improvisation in klassisch-romantischer Weise nur "virtuosen Spielern" vorbehalten sei!
Richard Wagner war kein Virtuose - aber er konnte sehr musikalisch korrepetieren und er konnte improvisieren (halt ohne krasses Pasagengeklingel)
notwendige Voraussetzung ist:
-- ein mittleres manuelles Niveau (man muss nicht alle Chopinetüden drauf haben, aber Arpeggienfiguren etc sollten ohne nachdenken vorhanden sein)
-- eine größtmögliche Orientierung auf den Tasten (Akkordik, Skalen, Kadenzen - kurzum praktisch umgesetzte Harmonielehre)
anfangen könnte man, wenn man bzgl. Akkorden/Harmonien vieles kann (also gleich auf den Tasten findet):
-- erst mal Begleitungen zu irgendwelchen "Liedern" frei spielen
-- dann solche Lieder abwandeln (z.B. "stille Nacht" als Walzer a la Chopin)
eine nächste Stufe wäre:
vorgegebene Akkordmuster ausschmücken (das entspricht quasi den abgesprochenen Patterns im Jaz)
-- die Akkorde vom Pachelbl Kanon
-- die Akkorde von "house of th rising sun"
eine dritte Stufe wäre:
-- sich selber eine Akkordfolge konstruieren und mit dieser dann allerlei anstellen
eine vierte Stufe wäre:
sich irgendein 3-4 Töne Motivchen zu basteln, dieses dann beim fantasieren nach und nach verändern, also die Intervalle mal abwandeln usw.
- das könnte man ganz naiv "a la Mozart" mit Albertibässen, oder "a la Chopin" mit weitflächigen Arpeggien
soweit mal ein paar Ideen als Anfang zu diesem Thema,
Gruß, Rolf