Hallo AnnaB,
diese Chaconne hatte ich in meiner Studentenzeit erst im zweiten Anlauf 1973/74 gelernt. Der zweite Anlauf war ein Jahr nach dem ersten. Das weiß ich noch, weil ich dazwischen umgezogen war.
Das Stück lässt sich gut in einzelne Abschnitte zerlegen, fast immer die 8-Takt-Periode.
Praktischer sind größere Abschnitte: in meiner Ausgabe Edition Breitkopf stimmen diese Abschnitte fast mit den Seiten überein.
Hoffentlich habe ich jetzt die Takte richtig gezählt. Ab Takt 94 hatte ich meine Schwierigkeiten mit den Überspannweiten, die aber nicht wirklich solche sind. Busoni hatte breite Hände. Ab Takt 102 nehme ich die „Ossia“. Das Ineinandergreifen der Hände ab Takt ab T. 106 ist natürlich sehr delikat, die Takte 110-117 haben mir die größte Mühe gemacht.
In Takt 122 ("Sprünge") steht in meinen alten Noten noch die von mir damals hinein gekritzelte Anweisung „nicht gleichzeitig springen“ – will heißen: im langsamen Tempo werden die Oktavengriffe außen rechts und links nacheinander gesetzt, so wie die Hände aus der Mitte frei werden. Im normalen Tempo sieht es dann so aus, als würden die Hände gleichzeitig nach außen springen – das Gefühl aber und die Augenkontrolle sind auf „nacheinander“ eingestellt.
Deine Frage nach Vorübungen: so weit ich mich auskenne, sind die Spielformen in dieser Busoni-Bearbeitung so vielfältig, dass sie zunächst einfach eine breite technische Vorbildung erfordern. Chopin Op.10 Nr.1 ist schon mal gut.
Für die Takte 110-117 fällt mir höchstens ein, man könnte sich mit den Lisztschen Transkriptionen von Schubert-Liedern beschäftigen. Dort kommen in den Begleitfiguren ebenfalls Akkordzerlegungen in Überspannweite vor. Außerdem sind diese Stücke eine wertvolle Bereicherung des Repertoires und lohnen sich schon deshalb. Das war damals (vielleicht mehr zufällig) auch mein tägliches Brot im Umfeld dieser Chaconne.
Technische Schwierigkeit: Busoni selbst ordnet dieses Stück in der Reihenfolge seiner Bearbeitungen und Bach-Empfehlungen ganz zum Schluss ein.
Könntest Du Dich Deinem Lehrer anvertrauen mit der Absicht, für die einzelnen Abschnitte Spezialvorübungsstücke zu suchen und die Chaconne selbst auf nächstes oder übernächstes Jahr verschieben?
Noch zwei Dinge:
Die Geiger spielen die Vierklangakkorde arpeggiert, dieses Klangbild darf man beim Studieren und Spielen der Chaconne gerne im Ohr haben. Busoni hatte sie bestimmt nie anders gehört. Zu Bachs Zeit, als die Geigenbögen noch ihren Namen verdienten (nach oben gebogene Form), konnten solche Geigenmehrklänge durch Nachlassen der Spannung die Rosshaare gleichzeitig über alle vier Saiten gestrichen werden. Diese Möglichkeit, die Spannung der Bögen während des Spiels durch die rechte Hand zu verändern, ermöglichte auch, die Klangfarbe der Töne zu verändern: schwache Spannung für weiches, starke Spannung für brillantes Spiel.
Im Radio hatte ich mal zufällig eine Sendung gehört, in der diese Violin-Chaconne in Zusammenhang gebracht wird mit Bachs Verlust seiner (zweiten?) Frau. Die Chaconne passt genau auf einen Choral aus irgendeiner Kantate. Man kann beide Stücke gleichzeitig spielen. Das gibt es sogar auf einer CD. Weiß jemand was darüber?
Viel Erfolg mit dem schönen Stück!
Walter