Und ob es sich dafür lohnt nach Deutschland zu kommen, ist auch nochmal eine Frage. Wobei mir erzählt wurde, dass ein Studium an einer deutschen Musikhochschule wahnsinnig viele Türen in Korea öffnet.
Diese Behauptung traf bis zu einem gewissen Grade in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zu. Meine Assistenten-Aufgabe an der Hochschule bestand darin, meinem Professor die Scharen koreanischer Bewerber vom Leib zu halten, da es in der Kompositionsklasse kaum verfügbare Studienplätze gab. Im einen oder anderen Fall sollte ich im Privatunterricht prüfen, ob ein ausreichendes künstlerisches Potenzial und akzeptable Theoriekenntnisse vorhanden sind, die für die Zulassung zum Studium genügen. Tatsächlich gab es bei uns mal eine ziemlich unterdurchschnittlich begabte und obendrein faule Studentin, die der vorherige Professor aufgrund mangelhafter Fortschritte aus der Klasse geworfen hatte und die irgendwie durchs Examen gebracht werden musste. Aber sie stammte aus gehobenen Gesellschaftskreisen und man hörte, dass sie dank Vitamin B anschließend in Korea eine Hochschulprofessur zugeschanzt bekam. Aber das ist eben gut dreißig Jahre her. Inzwischen haben so viele in Nordamerika und Europa ein Aufbaustudium absolviert, dass ein solches längst schon kein Alleinstellungsmerkmal mehr ist.
Andere Koreaner waren sonst zumeist unter den besten an der Hochschule zu finden, da sie in der Regel bereits in abgeschlossenes Studium im Heimatland absolviert hatten und bereits eine Menge Berufspraxis mitbrachten. Egal ob Deutscher oder Koreaner - viele Hochschullehrer interessieren sich vorrangig für die besten und weniger für Kandidaten, bei denen erst schwere Ausbildungsdefizite aufgearbeitet werden müssten, um auf dem Markt eine Chance zu haben. Warum? Weil es genügend junge und sehr gute Bewerber gibt. Dem Ersteller des Fadens muss man leider bescheinigen, dass selbst sechzehnjährige Jungstudenten pianistisch bereits weiter sind - die Chancen bei der Teilnahme an der Aufnahmeprüfung kann man sich also ausrechnen. Wenn dazu dann noch geringes Selbstwertgefühl und das Gefühl kommen, im bisherigen Leben nur gescheitert zu sein und alles falsch gemacht zu haben, ist der nächste Fehlschlag vorprogrammiert.
Jetzt kommt allerdings das berühmte "Aber". Musik ist etwas zu Schönes, als dass man sie nur mit negativen Inhalten in Verbindung bringen kann. Zu positiven Inhalten gelangt man auch ohne den Weg durch eine Musikhochschule. An positiven und schönen Dingen gibt es eine Menge - auch öffentliches Auftreten und damit Geld zu verdienen sind nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Sogar dann, wenn ich nur von meinen eigenen Erfahrungen ausgehe, fällt mir vieles Gute und Gelungene ein, auch wenn es derzeit unter Pandemiebedingungen nur eingeschränkt ausgelebt werden kann. Meine derzeitigen Tätigkeitsschwerpunkte (Ensembleleitung, Korrepetition, kirchenmusikalische Tätigkeit, Unterhaltungsmusik etc.) sind teilweise kaum noch identisch mit meinen Studienschwerpunkten. Sogar für meinen Studienschwerpunkt Komposition waren die akademischen Belange nur bedingt von Bedeutung, da ich bereits vor dem Studium längst kompositorisch tätig war; ich bekam Aufträge, meine Sachen wurden aufgeführt und vom Rundfunk produziert, ohne dass ich je zuvor Unterricht hatte. Hochschuldiplome für Ensembleleitung, Kirchenmusik, Orgel, Jazz - Fehlanzeige, ich habe seit der Kindheit immer in diesen Bereichen gearbeitet und hinsichtlich meines Daseins als Seiteneinsteiger immer mit offenen Karten gespielt. Sich einen Job erschleichen und dann nichts können - das funktioniert natürlich nicht. Allerdings mit viel harter Arbeit, Begeisterung, Aufgeschlossenheit, Beobachtungsgabe und kommunikativer Begabung kann man über die Hochschule hinaus durchaus erfolgreich sein und mit der Musik eine Menge Lebensfreude schaffen und erhalten - bei sich selbst und bei anderen auch.
Der Fadenersteller braucht nämlich etwas ganz Grundlegendes am dringendsten: eine Verbindung zu positiven Inhalten und die Fähigkeit, erst einmal zu sich selbst mit allen Fehlern und Schwächen ja sagen zu können. Vorher gibt es keine Fortschritte und schon gar keine Erfolge, vor allem nicht im Bezug auf das Klavierspiel. Angesichts der äußerst prekären Berufsaussichten ist dafür die Laufbahn eines professionellen Musikers absolut ungeeignet - und ein Hochschulstudium soll auf eine solche ja vorbereiten.
LG von Rheinkultur