Kurz: ich KANN NICHT MEHR "ohne".
Lang:
Habe eine Cousine meiner Mama im Elternhaus meiner Oma in Niederbergheim hinterm Möhnesee Klavier spielen gesehen und gehört. Nebenbei, eine schlaue Maid, später dann eine der ersten Ingenieurinnen, die dann in Aachen Maschinenbau studierte, in den akademischen Mittelbau kam und promovierte.
Da war ich fünf oder sechs. Seither infiziert von den Tasten. Habe dann mit sieben, im Wissen, anfang November gibt es von der Oma fünf Mark zur Soester Allerheiligenkirmes, paar Tacken meines mageren Taschengeldes (5 pf pro Woche und Lebensjahr) gespart, in der Hoffnung, 6,95 DM zusammenzubekommen, was mir auch bis zur Kirmes gelang.
Und mit Omas Talers stolzierte der siebenjährige Zwerg am Potsdamer Platz, VOR der Kirmes, in den Laden unter den Arkaden, Spielwaren Hochherz, gegenüber dem uralten Feinkostladen, der heute einem meiner Weinfreunde gehört, und kam bombenstolz mit der grünen Hohner-Melodica heraus.
Mein erstes Tasteninstrument, und selbst gekauft.
Die Verwandtschaft war perplex.
Schwesterchen wollte dann auch sowas. OK, dann gab es kurz danach an Weihnachten die rote Alt-Melodica.
Klavier war immer noch nicht, war auch den geizigen (oder OK, extrem sparsamen) Ellies zu teuer, mit 11 gab es eine Violine. Dann, als ich 17 war, gab es bei einem Schulkollegen, bei dem ich zufällig Schularbeiten machte, ein neues Klavier. Er hatte mir erzählt, du, wir können heute nicht so lange machen, nachher kommen Leute aus Dortmund, die bringen uns ein neues Klavier. Ich sofort die Ohren gespitzt und gefragt: Klaus, was passiert mit dem Alten Klavier? Er die Achseln gezuckt, keine Ahnung, das nehmen die mit. Ich zu ihm: Klaus, ich blieb jetzt hier und frag die das.
Ich dann den Vorarbeiter der überquadratischen Herren (breiter als hoch) gefragt, was machen Sie mit dem alten Klavier? Der die Achseln gezuckt, das wird der Chef wohl wegschmeißen… Ich: Haben Sie was dagegen, das Klavier gleich mal wieder 5km weiter abzuladen?
Er: Kein Ding, machen wir.
Und so stand, unabgesprochen mit den Ellies, plötzlich vor der Türe und dem „Affenkäfig“, die Windschutz-Vorbau ein Dortmunder Möbelwagen, vier überquadratische Herren, und versuchten mein erstes Klavier die Treppe rauf… was nicht ging, da Treppe zu eng. Vattern kam dann von der Arbeit, staunte Bauklötze, aber sah, dass sich der Spieltisch abschrauben ließ, und wir zerlegten das Ding, schleppten die Einzelteile nach oben. Der nackige Rahmen samt Restklavier musste eine Nacht im Vorbau nächtigen, weil die überquadratischen Herren Klavierträger längst schon weg waren, OK seht zu.... Anderen tags war samstag, Vattern, gleich mal am Meistertisch der Druckerei beim großen Frühstück die Kollegen angespitzt, wisst ihr was? Was mein Jaust gestern machte? Schleppt der doch einfach mal ein Klavier an…
Großes Meistergegröle.
Da hatte er sie…
Und was ist dann passiert? Ja, mist, blöde, das Ding passte nicht die Treppe rauf, geht jetzt aber nach Zerlegen, und nun brauch ich einen westfälischen Kleintransport, vier Mann, vier Ecken.
Jau, Bennatt, Meistergegröle, da kommen wir doch mal mit, dat müssn wa uns ankuckn, wat dein Jaust da anschleppte.
Und so kamen vier fröhliche Herren mit, Kiste Bier dabei, Mutter hatte eine Platte Streuselkuchen gebacken. Ratzfatz war der Klavierrahmen oben, die Herren bespaßten sich auf der besonnten Terrasse, und als sie eine gute Stunde später den Streuselkuchen geplättet, die Kannen Kaffee geleert und auch die Bierkiste gereinigt hatten, zogen sie fröhlich ab, verabschiedet von mir mit Musik von oben, den Flohwalzer zu ihrem Auszug an dem bereits wieder zusammengesetzten Klavier.
So wussten sie, Pfadfinder, eine gute Tat am Tage.
Nach so einer Nummer kannste nicht mal eben, weil keine Lust oder so, das Klavierspielen aufgeben, enee, da ist eine andere Bindungsqualität.
Seither hat mich das Klavierspiel lebenslang nicht mehr losgelassen.
Später erbte ich von meinem Schwager, Profi beim Bischof an der Orgel, sein altes Klavier, als er meine Schwester kaufte, eine neue Wohnungseinrichtung für die erste eigene Hütte, und ein neues Klavier, so als großmächtiger Dekanatskantor, von Folkwang allerbest ausgebildet, einer der letzten Bischofsmusikusse, der noch eine volle Stelle bekam, siebzig Prozent Gemeinde Olpe, dreißig Prozent Orgelschüler A, B, C kreisweit und Kreise übergreifend.
Da bekam ich ein Schlachtross bester deutscher Hochklavierbaukunst, G. Adam Wesel aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Fast 30 Jahre lang und über mehrere Umzüge diente es uns. Klasse Ding, das. Es dient heute der Miss Emerson, entweder immer noch als Klavier, oder mittlerweile als Barschrank für ihren guten Whisky.
Denn da nahte das Ende des Berufslebens, die Lebensversicherung wurde ausgezahlt, und da war immer die Idee für einen halbwegs freien Platz im ziemlich riesigen Wohnzimmer, dass da eines schönen Tages ein Flügel einziehen solle. Und es kam – gleich mal ein dicker uralter Konzertflügel guten Geblütes vom September 1877. Ururalt, aber von moderner Konstruktion – der Urvater aller heutigen, ein sogenannter Centennial D.
Weder ich noch der Verkäufer in Hannover wussten so recht, WAS da komme – und es ist der helle Wahnsinn, tituliert einst von einem Hamburger Musikjournalisten im Artikel über den Gewinn des Wettbewerbs bei der Weltausstellung zur Feier der damals einhundertjährigen US-Verfassung, „die Stradivari der Klaviere“. Und das erstaunlicherweise zu bezahlbarem Taler, zwar fünfstellig, aber im "Taschengeldrahmen" zweier extrem fetter Weihnachtsgehälter nach jahrelanger furchtbarer Mehrarbeit - infolge extrem guter Anlagenbaugeschäfte...
Ein Lob der asiatischen Zementindustrie. Damals viel Schmuggel von Zement entlang der Küsten von Singapur bis herauf nach Bangkok... Tigerstaaten. Wir servierten ihnen neue Fabriken. Ich war auch dort.
Jetziger Stand ist, dass ich weit weniger Lust habe, anderen beim Klavierspielen zuzuhören, Platten, CDs, Konzerte und so, sondern viel lieber mich selber auf die Reise an die Tasten begebe.
Ragtime. Blues, Boogie Woogie.
Nocturnes.
Mich so stark fordere, dass ich die böse Welt hinter mir lasse, alles an Kraft und Konzentration auf die 88 Tasten wende, und das Klavierspiel ein derart essentieller Teil meines Lebens ist, dass ich niemals mehr darauf verzichten wollte oder könnte.
Es dräut die schwindende Gesundheit. Bräuchte ich eines Tages Pflege außer Haus, dann müsste wohl das kleine Flügelchen von knapp neun Fuß mit… und würde dann, solange ich lebe, den Ballsaal eines Altenheims belärmen mit Ragtime, Blues, und dem Boogie Woogie, und gelegentlich für die Mädels die Berceuse oder ein paar Nocturnes.
Also, man sehe sich im gefährlichen Tal der Möhne vor, wenn da schlaue Maiden ein Klavier befingern...
Es könnte ... der Anfang einer jahrzehntelangen Geschichte einer Suchtgefährdung werden.
Beim Klavierspiel bleibt die Welt hinter einem.
Gefühle, die der nie nachvollziehen kann, der niemals am Anschlag seiner Möglichkeiten die Musik ausübte. Wenn keinerlei Zeit mehr für anderes ist, weil die Klaviermusik alles an Konzentration und Engagement einfordert.