eine wirklich freie Willensentscheidung, die Du persönlich getroffen hast, also eine, wo Du sicher bist, dass Du dabei nicht von psychischen Prägungen, Stimmungen (die ja wiederum von psychischen Prägungen, dem Wetter, Deiner Ausgeschlafen- oder Unausgeschlafenheit, Interaktionen mit anderen Leuten, Hunger- und Durstzustand usw. usf. abhängig sind) oder dem, was andere Menschen Dir so sagen, beeinflusst worden bist.
Selbst wenn es keine einzige gewesen wäre – was würde das aussagen? Die von Dir genannten Faktoren sind allesamt geeignet, die Persönlichkeit und damit ihre Handlungsmaximen zu formen.
Trotzdem sind der Versuchsaufbau von Libet bekanntermaßen defizitär und damit seine Ergebnisse nicht valide ... und noch dazu vom Infotainment populärwissenschaftlich simplifiziert. Niemand beruft sich darauf, an dem die Diskussionen & Forschungen der letzten Jahrzehnte nicht vorbeigegangen sind.* Eine Handlung, falls das Hirn beteiligt ist, ist
bremsbar, egal welchen Impuls die von dir genannten Faktoren in Gang setzen.
Und das ist auch gut so: Du kannst Dich selbst bei schlechtem Wetter, nach schlechtem Sex, mieser Laune, mit der Kündigung Deines Vermieters in der Tasche und einem beunruhigenden Schmerz im linken Unterbauch davon abhalten, denjenigen zu schlagen, zu würgen oder, wie heute üblich, zu messern, der bei Dir gerade das Fass zum Überlaufen bringt.
Ob Du die Gewalttat aus reiner Menschenliebe unterlässt, aus dem Abgleich des Impulses mit dem kategorischen Imperativ oder aus Schiss vor der Strafverfolgung ist dabei egal. Du kannst es unterlassen**, das ist die Hauptsache. Dein Motiv zur Unterlassung ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
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Libet selbst hat aus seinen Experimenten jedoch niemals eine Widerlegung der Willensfreiheit abgeleitet. Er glaubt nachweisen zu können, dass auch eine durch das Bereitschaftspotential eingeleitete Handlung noch kurz vor der geplanten Ausführung durch ein bewusstes "Veto" gestoppt werden kann. Libet hatte seine Versuchspersonen in einer weiteren Bedingung des Experiments aufgefordert, die Bewegung zwar vorzubereiten, sie jedoch kurz vor einem festgelegten Zeitpunkt zu unterbrechen. Es stellte sich heraus, dass dies noch bis zu 100 Millisekunden vor der geplanten Ausführung möglich war.
Quelle Übersichtliche Zusammenfassung, die aber auch schon wieder "uralt" ist und sich auf Forschungen bis kurz nach der Jahrtausendwende bezieht.
** Falls Du tatsächlich von Plump-Libet ausgehst, entgegen aller widerlegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse der Jahrzehnte nach den frühen 80ern, darfst Du natürlich nie wieder mangelnde Disziplin beklagen. Der leistungsverweigernde Klavierschüler könnte ja nichts dafür. Er wäre nicht in der Lage, die naturgegebene Trägheit (Vermeidung von Energieverbrauch) zu überwinden.
Ceterum censeo: Die Diskussion über "Willensfreiheit" im philosophischen, religiösen oder strafrechtlichen Sinn passt nicht zum Gegenstand. Beim Klavierüben trainiert man bestimmten Arealen des ZNS an, ein zielgenaues, unbewusstes Regiment über die Motorik zu übernehmen, damit das Hirn die Kapazität frei hat, sich der musikalischen Gestaltung zu widmen, egal ob man das "Voraushören" oder (zutreffender) "Klangwille" nennt.