Völlig unmusikalische Menschen bekehren?

Ist Musikalität nun (1) die Fähigkeit musikalische Zusammenhänge zu erkennen und zu verarbeiten, oder ist sie (2) das Potential, diese Fähigkeit zu entwickeln?

Dieser Satz haut mich vom Hocker... aus meiner Sicht mittenrein ins Zentrum des Problems.... Gerade habe ich einen längeren Beitrag dazu in der Mache.
Ich gebe eine Meinung dazu ab, ohne Rolf damit vorgreifen zu wollen:
ich tendiere zu (1). Wobei man noch hinzufügen müßte:"und sich musikalisch auf praktischer und theoretischer Ebene effizient weiterentwickeln zu können".

Wenn Musikalität Punkt (2) wäre, gäbe es in der musikalischen Welt nicht mehr sehr viel zu diskutieren, über verschiedene Musiker, Aufführungen, vielleicht auch Kompositionen etc.

Schönen Gruß, Dreiklang
 
...ein gelegentlicher Blick in dsds wird Dir diesen somnambulen Idealismus gehörig austreiben ...tststs... der deutlichen Mehrheit der Weltbevölkerung die Existenz absprechen... ... ...
alle Smilies geklaut - Tschuldigung! :p


Zitat von solartron http://de.wikipedia.org/wiki/Amusie

Mein erster Musiklehrer im Musik-LK hat damals auch behauptet "Es gibt keine unmusikalischen Menschen!" (solch eine Aussage war mir damals schon nicht recht geheuer...)


Es ist natürlich die Frage, wie man unmusikalisch definiert. Ich reagiere deshalb etwas allergisch auf das Statement "der/die/ich ist/bin völlig unmusikalisch", weil ich das schon so oft gehört habe in meinem Leben und immer nur deswegen, weil einer nicht singen, Noten lesen oder ein Instrument spielen kann! Wie schade! Welch Brachland liegt womöglich offen in der Pampa herum und wird nicht genutzt, nur weil sich da einer in eine Schublade steckt, aus der nur schwer wieder rauszukommen ist! Kaum habe ich nämlich gefragt, ob diese Leute gern Musik hören, wurde das ausdrücklich bejaht. Ich kenne nicht einen Menschen, der nie Musik hört (es kann allerdings sein, dass die Art der Musik sehr unterschiedlich ist und von manchen nicht als Musik akzeptiert wird :D ).

"Musikalisch" ist also meiner völlig unwissenschaftlichen Meinung nach jemand, der etwas mit Musik anfangen kann, dem Musik gleich welcher Art etwas bedeutet, der Musik hört. Musik selbst zu machen, zu singen etc. haben diese Menschen vermutlich einfach nicht gelernt und brauchen schlicht etwas Unterstützung.

Was Amusie angeht, kenne ich mich da nicht aus, habe aber auch bei Oliver Sacks davon gelesen. Hier noch mal zwei links dazu:

http://www.wissenschaft-online.de/abo/lexikon/neuro/561

http://www.neuro24.de/show_glossar.php?id=99

Wenn natürlich ein Schlaganfall, eine Läsion etc. passiert und Teile des Gehirns zerstört werden, kann es passieren, dass ein Mensch Schwierigkeiten mit dem Hören, Verstehen und Erkennen von Musik hat. Anscheinend gibt es so etwas auch von Geburt an, wobei das noch seltener auftritt. Mir geht es aber um den Normalfall, bei dem Musikalität universell ist.

Und vor allem geht es mir darum, dass Nicht-Singen-Können nichts damit zu tun hat, ob ein Mensch musikalisch ist oder nicht!

Dir, lieber marcus, würde ich einfach raten, dich mit jemandem zusammenzutun, der gut singen kann. Das muss kein professioneller Sänger sein, es kann ein Chorsänger etc. sein. Wichtig ist, dass der gut und mit dem richtigen Sitz der Stimme singen kann. Ein bisschen Stimmbildungserfahrung kann natürlich nicht schaden. Der könnte dann mit dir singen (du kannst ihn ja zum Essen oder in die Kneipe einladen ), wie ich oben geschrieben habe etc..

Allein kriegt man das nicht hin - man muss es sich abgucken. Und das öfters. Das schaffst du, das ist gar kein Problem. Man muss nur den Mut haben, das anzupacken und dann regelmäßig mit Unterstützung üben. Dann geht's ruckzuck. Letzte Woche sollte eine Schülerin irgendetwas singen und sagte: "Ich kann nicht singen." Sowas kann ich natürlich keinesfalls stehen lassen :D - "ich kann nicht" gibt's nicht, nur "ich kann noch nicht"! Also habe ich gleich mit dem f2 angefangen und siehe da: sie war selbst fast erschrocken, aber zum Positiven, was für ein Wahnsinnsklang da aus ihrem Körper kam. Sie kommt auch noch mal wieder :p .

Liebe Grüße

chiarina
 
Schon Heinrich Jacoby hat von den 20er bis in die 60er Jahre gezeigt, daß "Unmusikalität", von seltenen Ausnahmen abgesehen, lediglich die Folge von Blockaden des Lernenden und unzweckmäßigem Verhalten seitens Lernendem und Lehrer ist.

http://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Jacoby

Statt zu fragen: "Was führt dazu, daß sich jemand 'unmusikalisch' verhält?", wird allzuoft gleich eine Zuschreibung vorgenommen: "Dieser Mensch IST unmusikalisch". Ist ganz ähnlich wie beim "Böse"-Sein: Verhält sich jemand unerwünscht, wird tendenziell gesagt: "Du BIST böse", anstatt zu erkennen: Jeder trägt das Potential zu "gutem" und "bösem" Verhalten in sich, und man muß sich fragen, was "gutes" Verhalten ermöglichen könnte und "böses" Verhalten abklingen lassen könnte.

Dieses erfordert aber außerordentlich genaues Hinhören, Hinschauen und Analysieren eines Lehrers und liebevolles Sich-Zeit-Nehmen, was die heutige Pädagogik mit ihrem gehetzten Zeitmangel-Vorgehen zuverlässig verhindert. Um sich nicht vorwerfen zu müssen: "Ich habe es nicht geschafft, 'musikalisches' Verhalten im Schüler zu erwecken", sich weiterhin für einen guten Lehrer zu halten und um mit den großen Mängeln des heutigen Erziehungssystem ohne permanente Verzweiflung klarzukommen, ist die Zuschreibung von "Unmusikalität" der sicherste und einfachste Weg. Leider.

Und "unmusikalische" Schüler erwecken in den meisten Lehrern Unlustgefühle, weswegen sie ganz froh sind, sich mit denen nicht auch noch Mühe geben zu müssen, sondern einfach mit den Eltern über Zwecklosigkeit & Abmeldung reden zu können, damit Platz für einen "begabten" Schüler frei wird.

LG,
Hasenbein (der auch lieber einfache Schüler hat! Aber Obiges ist nun mal die Realität!)
 
(1) ...was aber erfahrungsgemäß nicht zwingend dazu führt, dass das zum tragen kommen muss...

(2) worüber manche Tränen lachen
und manche zürnend Buhu machen

zu (2) -- :D so ist es. Wir machen es einfach wie immer, oder? Schön brav eine Vorwarnung schicken - sozusagen ein "Auflösungszeichen" davor setzen. und dann: der Kenner genießt und schweigt :D

zu (1) -- ja, dem stimme ich zu. Und einen winzigen Gedankenschritt weiter, und wir kommen zum Thema "Was alles fördert die Musikalität eines Menschen beim Aufwachsen" (das offensichtlichste können natürlich die Eltern sein, wenn sie feinfühlig Musikalität in die Erziehung einbringen - oder auch darauf einen Schwerpunkt legen, was ich eigentlich sehr schön finde. Aber auch mein Radio-Cassettenrecorder, mit dem ich früher in Ruhe die Schlager der Woche hörte, oder eine Cassette mit Beethovens fünfter damals als Geschenk z.B. können beitragen. Ich glaube, für mich war wichtig, daß ich immer wenn ich es wollte, in "Ruhe" mit der Musik allein sein konnte - so konnte ich vor meinen Musikgeräten sitzen, und in Ruhe "genau hinhören, genau Melodien erfassen lernen, Melodien verinnerlichen lernen" - was mir immer Freude gemacht hat). Noch einen Gedankenschritt weiter, und man landet beim Begriff "Begabung/Talent". Für mich ein absolutes Reizwort -- weil es zu einem Teil die Bedeutung hat, jemand bestimmtes habe einem anderen etwas (genetisches) voraus, was dieser niemals einholen kann.

Klar gibt's Unterschiede - stelle mich neben jemand, dem "offiziell" musikalische Begabung bescheinigt wird - und dieser wird mich im Klavierspiel-Lernen in allen Bereichen abhängen. Ich gehe aber davon aus, daß wir im Schnulleralter mit gleichen Voraussetzungen "am Start" stehen. (bei ausgeblendeten genetischen Schäden des Gehirns)

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Ein netter kurzer Artikel, zum Thema "was Musik in unserem Gehirn bewirkt":
http://www.seyromis.de/musik03.htm


Schönen Gruß, Dreiklang
 
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Musik und Gehirn

Mein Stöbern im Internet brachte auch einen Artikel mit unzähligen Fakten zum Thema Gehirn und Musik zutage (Achtung - ziemlich Neurologie-lastig ;))

http://www.bild-der-wissenschaft.de/bdw/bdwlive/heftarchiv/index2.php?object_id=10095954

Besonders interessant für mich dabei:

"Musik aktiviert aber auch Teile des Thalamus, des limbischen Systems und des Kleinhirns – was nichts anderes bedeutet, als dass die Verarbeitung von Musik für unser Denkorgan extrem kompliziert ist. "

(Orchster-)Musik stimuliert also das ganze Gehirn - und ist deswegen vielleicht so angenehm für uns - eine durch-und-durch Walk-und-Knetmassage sozusagen, die gut tut

„Wir schätzen, dass etwa fünf Prozent der Bevölkerung Musik nicht richtig wahrnehmen kann. Allerdings ist diese Zahl wirklich nur eine Schätzung, denn die meisten Menschen schämen sich ihrer Musikschwäche und reden nicht darüber“

Hui. Ich hoffe (und glaube!!) die liegen mit ihrer Schätzung um den Faktor zehn oder mehr zu hoch. Denn das würde ja auch bedeuten, es gibt relativ viele Menschen, denen man Musik nie im vollen Umfang nahebringen können wird. (Ne, so viele (5%) werden das nicht sein, das kann ich nicht glauben. Dazu schätze ich Musikempfinden als evolutorisch zu wichtig ein)

"Musik ähnelt Sprache in gewisser Weise: Beide dienen der Kommunikation. Sie sind hochorganisierte Kombinationen von Tonhöhen, Klangfarben, Akzenten und Rhythmen, und ihr Aufbau folgt bestimmten Regeln."

->schön.

"Sowohl die Strukturfehler im Satz als auch die in der Akkordfolge bewirken, dass die Nerven im Sprachzentrum des Gehirns, dem Broca-Areal, innerhalb von maximal 180 Millisekunden nach dem Hörerlebnis wie wild feuern. Menschen empfinden einen grammatikalischen Fehler am Ende eines Satzes als besonders auffällig" - sehr interessant, das evoltionsbiologisch zu betrachten. Ein Mensch bringt einen Satz nicht zuende - weil: er eine plötzlich auftretende Gefahr erkannt hat, oder etwas anderes schlimmes passiert ist. Und sofort wird ein genetisches Warnsignal in uns abgefeuert...

"Wenn also jedem Menschen eine gewisse Musikalität in die Wiege gelegt ist, was ist dann der Ursprung von musikalischer Genialität? Waren Mozart oder Ravel von Geburt an bevorzugt? Hatten sie vielleicht sogar ein Musik-Gen? „Völliger Humbug“, schimpft Kölsch über eine vor zwei Jahren publizierte Zwillingsstudie, die eine solche genetische Komponente suggerierte.
Prof. Lutz Jäncke, Neuropsychologe von der Universität Zürich nimmt an, dass „ein gewisser Grad“ an Musikalität angeboren sei. Aber damit aus einer Begabung ein genialer Musikus würde, sei sehr viel Einsatz nötig"

das stützt erheblich meine intuitive Meinung im Beitrag s.u.

"Jäncke stützt seine These auf zwei Studien, die mit Studenten der Konservatorien in Berlin und London durchgeführt wurden. Dabei zeigte sich erstens, dass die Abschlussbenotung der Studenten direkt mit der Zahl ihrer Übungsstunden korrelierte. Und zweitens wurden nur aus denjenigen Studenten später Solisten, die im Schnitt 7500 Stunden an ihren Instrumenten geübt hatten. Ihre fauleren Kollegen, die nur 3500 Übungsstunden aufweisen konnten, hatten es allesamt lediglich zum Musiklehrer gebracht. „Ohne intensives Üben wäre auch aus Mozart kein Genie geworden“, sagt Jäncke."

und wir finden wieder mal die 10.000 Übungstunden Hypothese. Für mich ab sofort keine Theorie mehr, sondern ein unumstößliches Faktum. Übung macht den Meister. Oder: es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Ab sofort Für mich gilt jetzt auch:"Es wird auch niemals ein Meister vom Himmel fallen".

"... lässt musikalisches Training das Gehirn wachsen. Prof. Gottfried Schlaug von der Harvard Medical School in Boston stellte fest, dass das Kleinhirn von Musikern mehr graue Substanz enthält und ihre primäre Hörrinde stärker ausgeprägt ist als das von Nicht-Musikern" - daß das so ausgeprägt und meßbar ist, und sich das Gehirn tatsächlich so stark verändern kann, hätte ich nicht gedacht

"Bei Frauen allerdings konnte Schlaug keinen solchen Unterschied entdecken. Als Ursache vermutet er: „Frauen denken insgesamt vernetzter und trainieren dadurch die Gehirnbrücke von frühester Kindheit an mehr als Männer.“

ähm jetzt wissen wir also, warum bestimmt wir Männer einfach das "Gerücht vom schwachen Geschlecht" in die Welt setzen mußten ;)

an die Musiker unter euch:"Je eher man beginnt, ein Instrument zu spielen, desto deutlicher sind die strukturellen Veränderungen im Gehirn – die anscheinend bis ins hohe Alter erhalten bleiben. Jäncke berichtet, dass Musiker im fortgeschrittenen Alter ein weit überdurchschnittlich gutes Arbeitsgedächtnis haben: „Ihre Gehirne zeigen viel weniger alterungsbedingten Abbau als die von Nichtmusikern. Offensichtlich ist Musizieren ein hervorragendes Gehirnjogging.“ "
=> toll, oder? ;)

an die Spätanfänger:"Fängt man erst mit 40 Jahren an, Klavier oder Cello zu spielen, wird sich das Gehirn zwar anatomisch nicht mehr groß verändern. Trotzdem kann man immer noch das Instrument spielen lernen. Dies gelingt, weil das Gehirn außerordentlich plastisch ist und stimulierende Impulse es reizen, neue Nervenverbindungen zu knüpfen. Tests haben gezeigt, dass das Denkorgan damit schon während der ersten Übungsstunde beginnt."
=> auch toll, oder? ;)

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Nochmal kurz zum im Artikel erwähnten engen neurologischen Zusammenhang Sprache/Musik: ich denke daher, die Musik war zuerst da (Analyse melodischer Umgebungsgeräusche, evolutorisch wichtig). Die Anfänge der Sprache könnten gewesen sein, solche Geräusche per Mund zu imitieren, und mit intuitiven Bedeutungen zu versehen - "verstehen" konnte es das Gehirn ja schon. Dieses wurde dann vielleicht immer komplexer weiterentwickelt...

Ich hoffe dieser Monsterbeitrag nervt nicht allzu sehr

Schönen Gruß, Dreiklang
 
(1) positive thinking :D
"ich kann nicht" gibt's nicht, nur "ich kann noch nicht"!
)2) böse demotivierendes auf den Teppich holen:
...heikle Sache... sowas nährt die Hoffnung, dass man könnte - aber oft genug bleibt´s beim Konjunktiv, der Indikativ will sich nicht einstellen.......
Erklärungsmodell für (1)
Schon Heinrich Jacoby hat von den 20er bis in die 60er Jahre gezeigt, daß "Unmusikalität", von seltenen Ausnahmen abgesehen, lediglich die Folge von Blockaden des Lernenden und unzweckmäßigem Verhalten seitens Lernendem und Lehrer ist.

Statt zu fragen: "Was führt dazu, daß sich jemand 'unmusikalisch' verhält?", wird allzuoft gleich eine Zuschreibung vorgenommen: "Dieser Mensch IST unmusikalisch".

...trotzdem bleiben mir Zweifel an der Annahme einer allseits vorhandenen prinzipiell günstigen Praedisposition.

Hierbei geht es mir gar nicht um Spitzenleistungen, sondern um folgendes:
-- einigen gelingt es, ein einfaches Klavierstück sehr "musikalisch" (ausgewogene Klangbalance, Kantabilität usw.) auf durchaus professionellem Niveau zu spielen
-- vielen gelingt es, dasselbe Klavierstück weniger angemessen vorzutragen

liegt das nur an Ungeschicklichkeiten?
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Schon Heinrich Jacoby hat von den 20er bis in die 60er Jahre gezeigt, daß "Unmusikalität", von seltenen Ausnahmen abgesehen, lediglich die Folge von Blockaden des Lernenden und unzweckmäßigem Verhalten seitens Lernendem und Lehrer ist.

Danke. Diese Erkenntnisse sind also alles andere als neu - aber wohl relativ unbekannt..

...Ist ganz ähnlich wie beim "Böse"-Sein: Verhält sich jemand unerwünscht, wird tendenziell gesagt: "Du BIST böse", anstatt zu erkennen: Jeder trägt das Potential zu "gutem" und "bösem" Verhalten in sich, und man muß sich fragen, was "gutes" Verhalten ermöglichen könnte und "böses" Verhalten abklingen lassen könnte.

Das ist ein soziologisch für mich hochinteressanter Gedankenansatz

... Und "unmusikalische" Schüler erwecken in den meisten Lehrern Unlustgefühle, weswegen sie ganz froh sind, sich mit denen nicht auch noch Mühe geben zu müssen...

Ich kann das (leider) auch nachempfinden... ich bin ja kein KL, aber ich habe mal längere Zeit nebenberuflich in meinem Fachgebiet unterrichtet (klassenweise). Und dann letztlich wegen der Unlust aufgehört, daß man nie allen alles beibringen konnte. Und selbst die guten waren oft nur wegen der guten Noten dran, und weniger aus Leidenschaft für die Sache....

Gruß, Dreiklang
 
(...)
"Jäncke stützt seine These auf zwei Studien, die mit Studenten der Konservatorien in Berlin und London durchgeführt wurden. Dabei zeigte sich erstens, dass die Abschlussbenotung der Studenten direkt mit der Zahl ihrer Übungsstunden korrelierte. Und zweitens wurden nur aus denjenigen Studenten später Solisten, die im Schnitt 7500 Stunden an ihren Instrumenten geübt hatten. Ihre fauleren Kollegen, die nur 3500 Übungsstunden aufweisen konnten, hatten es allesamt lediglich zum Musiklehrer gebracht. „Ohne intensives Üben wäre auch aus Mozart kein Genie geworden“, sagt Jäncke."
(...)

Lieber Dreiklang,
...ich fürchte, da hast Du ein Tabu gebrochen, auch wenn es ein Zitat ist... mal sehen, was sich da entwickeln wird...
herzliche Grüße,
Rolf
 
Zitat von rolf;186182...:
trotzdem bleiben mir Zweifel an der Annahme einer allseits vorhandenen prinzipiell günstigen Praedisposition.

Hierbei geht es mir gar nicht um Spitzenleistungen, sondern um folgendes: einigen gelingt es, ein einfaches Klavierstück sehr "musikalisch" (ausgewogene Klangbalance, Kantabilität usw.) auf durchaus professionellem Niveau zu spielen
vielen gelingt es, dasselbe Klavierstück weniger angemessen vorzutragen

liegt das nur an Ungeschicklichkeiten?

Selbstverständlich ist die "Prädisposition" (man müßte erstmal klären, was mit diesem schlau klingenden Wort GENAU gemeint ist!) bei jedem unterschiedlich!

Zu bezweifeln ist lediglich, ob bei normalen, nicht eindeutig körperlich behinderten Menschen eine ungünstige Prädisposition eine genetische, "fest verdrahtete" Ursache hat!

Meist stellt man fest, daß durch ungünstige Lebensereignisse eine Blockade, Unlust, Verkrampfung, Verwirrung, zu starke Anstrengung (auch zu starkes Gut-Machen-Wollen führt zur Ergebnisverschlechterung!!) etc. entstanden ist, und dies kann man durch zweckmäßiges Verhalten auch wieder abklingen lassen, da das Nervensystem bis ins hohe Alter Plastizität besitzt.

Wie gesagt, daß Leute daherkommen und sagen: "Bei dem ist das halt so, er ist halt nicht in der Lage dazu", kommt daher, daß man es zu schwierig findet, die Ursachen herauszufinden und Behebungsmöglichkeiten zu finden - sei es aus Unlust, Zeitmangel, mangelnder eigener Ausbildung der Beobachtungsgabe und des Schlüsseziehens etc. pp.

Daß einer ein Stück nur hinlänglich, aber nicht wirklich gut spielen kann? Kommt daher, daß er sich in seinem Leben nicht wirklich genug Zeit genommen hat bzw. auch nicht ausreichend intensiv und lange angeleitet wurde, feine Unterschiede wahrzunehmen. Die Basis von "Begabung" ist feine Wahrnehmung. Und die kann man stets schulen und verbessern.

Mit 15 hätte hier jeder über mich gesagt: Der hat echt kein Rhythmustalent! Ich konnte echt nicht den Takt halten.
In meiner Umgebung gab es keinen, der mir hätte sagen können, woran es liegt und was man machen kann.
Ich wollte aber, da ich wahrnahm, wie guter Jazz swingt & groovt, unbedingt guten Rhythmus können, da das für mich zu Jazz unverzichtbar dazugehörte. Daher mühte ich mich viele Jahre ab, mal mit mehr und mal mit weniger Erfolg. (Die Körpermethoden wie Feldenkrais etc. brachten den Durchbruch.) Heute gehöre ich zu den groovigeren professionellen Jazzpianisten und kann Studenten viel über Mikrotiming etc. sagen und zeigen.

LG,
Hasenbein
 
Daß einer ein Stück nur hinlänglich, aber nicht wirklich gut spielen kann? Kommt daher, daß er sich in seinem Leben nicht wirklich genug Zeit genommen hat bzw. auch nicht ausreichend intensiv und lange angeleitet wurde, feine Unterschiede wahrzunehmen. Die Basis von "Begabung" ist feine Wahrnehmung. Und die kann man stets schulen und verbessern.

dazu muss aber auch das Interesse und die Bereitschaft da sein - und das ist nicht bei allen gleichmäßig intensiv so.

natürlich hast Du mit der Wahrnehmung recht - aber wahrscheinlich ist auch diese oft genug unterschiedlich, und wenn jemand "an die Leine genommen wird", wird das auch nur was bringen, sofern daran echtes Interesse von beiden Enden der Leine vorhanden ist - - oft aber stellt sich so ein Interesse erst nach der Schulzeit und Ausbildungszeit ein

mir scheint: auch in dieser Argumentation ist "je früher, umso besser" nicht ganz falsch - und versäumtes nachzuholen kann schwierig bis unmöglich werden
 

)2) böse demotivierendes auf den Teppich holen:

Ne, gar nicht. Nur sehr scharf gelesen, beobachtet und berechtigt auf eine Gefahr hingewiesen

-- einigen gelingt es, ein einfaches Klavierstück sehr "musikalisch" (ausgewogene Klangbalance, Kantabilität usw.) auf durchaus professionellem Niveau zu spielen
-- vielen gelingt es, dasselbe Klavierstück weniger angemessen vorzutragen

Bin auf einmal sehr nachdenklich geworden. ich neige dazu, solche Fragen zuerst aus dem "inneren Gefühl" heraus zu beantworten, und dann erst Begründungen zu suchen. Mein Gefühl sagt mir aber dazu: dieser eine hat was, was der andere nicht hat. Und das scheint so tief verankert sein, daß es fast genetisch sein muß.
Und damit: ein Fragezeichen hinter meine letzten Beiträge. Verd... - ich möchte so gern glauben, daß keiner von uns "geneto-gehirnmäßig" wirklich bevorzugt ist - denn da steckt eine nicht behebbare Ungerechtigkeit dahinter... Nun gut, bis auf weiteres kann ichs ja erstmal noch weiter glauben
--
Lieber Dreiklang,
...ich fürchte, da hast Du ein Tabu gebrochen, auch wenn es ein Zitat ist... mal sehen, was sich da entwickeln wird...
herzliche Grüße,
Rolf

Au weia. Hoffentlich nicht... ich muß mir Aussagen über die "Musikalische Welt" generell abgewöhnen. Ich stehe ja nicht in ihr, und stand nie in ihr (ich meine damit: ich habe keine musikalische Schul-Ausbildung oder Hochschulausbildung irgendeiner Art genossen, und ich bin auch kein Berufsmusiker). Allzu sorgloses Fabulieren darüber kann auch leicht als herablassende Arroganz (!) ausgelegt werden

Schönen Gruß
Dreiklang
 
ich möchte so gern glauben, daß keiner von uns "geneto-gehirnmäßig" wirklich bevorzugt ist - denn da steckt eine nicht behebbare Ungerechtigkeit dahinter.

Ich gehe davon aus, dass es tatsächliche Unterschiede gibt "geneto-gehirnmäßig" und auch sonst. Warum soll es bezogen auf die Musik anders sein als in anderen Bereichen auch? Die Intelligenz spielt bestimmt auch eine Rolle und auch die hat eine hohe genetische Ursache. Nicht jeder kann in allen Bereichen alles erlernen. Vielleicht auf ganz niedrigem Niveau, aber dann differenziert es sich und das hängt sicher nicht allein von den Übe-/Trainingszeiten ab.

Mit einem starken Willen und viel Disziplin kann man sicher einiges ausgleichen. Aber es kann doch sein, dass einem das eine Instrument mehr liegt als das andere oder die eine Musikrichtung mehr als die andere.

Ich finde das nicht schlimm, sondern nehme es als gegeben hin. Wichtig ist nur, herauszubekommen, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen und dann entsprechend zu reagieren.

Viele Grüße
philomela
 
Ich finde das nicht schlimm, sondern nehme es als gegeben hin. Wichtig ist nur, herauszubekommen, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen und dann entsprechend zu reagieren.
und sich an den selbst ausgesuchten Interessen freuen, diese pflegen und keine utopischen Selbstansprüche stellen - ist wie beim Schach: kann im Verein großen Spaß machen, man kann ständig lernen und verbessern, die ganze Chose bleibt spannend und interessant, aber trotzdem nimmt man nicht an Meisterturnieren teil (von GMs ganz zu schweigen)

und wenn dieses Interesse Klavierspielen ist:
erst mal über lange Zeit hin mit viel hinhören ein kleines einfaches Stück wirklich gut spielen, nach und nach klappt´s vielleicht auch mit Chopinnocturnes oder Brahmsintermezzi, vielleicht aber auch nicht - und trotzdem bleibt die Beschäftigung damit spannend. lehrreich, interessant. Und warum sollte man sich von kontroversen Hirnforschungen, Begabungsdebatten etc. ablenken lassen?
 
Muß eigentlich jeder Mensch auf dieser Welt musikalisch aktiv sein?

Das ist doch ein glatter Überanspruch. Nach meinem Dafürhalten
wäre viel gewonnen, wenn man jemanden dazu brächte,
seine Präokkupationen über Bord zu werfen, seine Scheuklappen zu verlieren
und sich ernsthaft, angst- und vorurteilsfrei mit Musik zu beschäftigen.
Und das heißt: sie mit wachen Sinnen aufzunehmen, sich von ihrem Gedankenreichtum
beschenken zu lassen, sie zu lieben und dadurch verstehen zu lernen.

Diese Gabe fehlt nämlich sogar vielen professionellen Musikern.

Gruß, Gomez
 
... und trotzdem bleibt die Beschäftigung damit spannend. lehrreich, interessant. Und warum sollte man sich von kontroversen Hirnforschungen, Begabungsdebatten etc. ablenken lassen?

Das finde ich eigentlich ein schönes Schlußwort für die Begabungs-Debatte. Ich klinke mich damit aus dieser aus.

Die Intelligenz spielt bestimmt auch eine Rolle und auch die hat eine hohe genetische Ursache.

=> dieser Meinung ist man heute aber nicht mehr unbedingt - hängt sehr stark vom Umfeld ab.

Ansonsten, teile ich Hasenbeins Meinung - "Unmusikalität" (was für ein Unwort) läßt sich in hohem Maße wohl durch geeignete Trainingsmethoden beseitigen - bis zu einem gewissen Grad, der aber sicher recht ansehnlich sein wird. Diese Übungen beseitigen dann Blockaden und Defizite, bzw. führen dann in Bereiche der Musik ein, die man bewußt vielleicht gar nicht (er)kannt und wahrgenommen hat: Rhythmus, Tonfolgen... aber von heute auf morgen geht das nicht, und es braucht meiner Meinung nach auch Zeit, wo man in Ruhe mit sich allein mit diesen Übungen ist und am Hören und Spüren des eigenen "musikalischen Feingefühls" arbeitet, das tief in uns sitzt

Schönen Gruß
Dreiklang
 
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