Verwurstet - Joja Wendt

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28. Apr. 2011
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Gestern habe ich mir für gute 50 Piepen in der Kölner Philharmonie JojaWendt angesehen. Der ist mir mal im Fernsehen aufgefallen als jemand, der prima Klavier spielt.

Zunächst das Positive: Der Mann kam gut 'rüber. Er hatte eine ganz geschickte Art der Moderation, war witzig und intelligent. Wenn man ein Publikum für sich gewinnen will, muss man zuallererst einmal nett zu ihm sein. Das konnte der Profi wie aus dem Effeff. Natürlich versuchte er, das Kölner Publikum einzuwickeln und er machte das ganz geschickt, u. a. mit dem hier immer funktionierenden Mittel des – gutmütigen – Düsseldorf-Bashing. Vielleicht war er eine Spur zu sehr von sich eingenommen. Aber mir ist ein selbstbewusster und offensiver Künstler lieber als ein allzu sehr zurückhaltender.

Was wurde gegeben? Blues- und Boogienummern, eigene Kompositionen und Klassik, Joja Wendt macht vor nix halt. Darin erinnert er mich an den Lieblingsfiddler der Deutschen, David Garrett. Ich finde, das sind irgendwie Brüder im Geiste. Beide haben erkannt, dass man so richtig Kohle anscheinend erst auf dem kombinierten Klassik- plus Unterhaltungsmarkt verdient – Zielgruppenvergrößerung.

Die Boogienummern waren schon ganz okay, aber: Boogie ist ein Stil am Klavier, der schnell langweilt. Kennste eine Nummer, kennste auch die nächste – die geht im Zweifelsfall genauso wie die erste, nur schneller. Und zweitens gibt es hier bei uns in Deutschland ein paar Namen, die machen Herrn Wendt im Boogie allerdings noch etwas vor. Die rechte Hand von ihm fand ich teilweise wenig kreativ.

„Rhapsody In Blue“ (arr. JW), „Asturias“ (arr. JW), „Halle des Bergkönig“ (arr. JW), “Vier Jahreszeiten - Sommer“ (arr. JW); das waren vier Klassikstücke, ausgesucht natürlich nach ihrer Kompatibilität mit dem Normaloklassikfan.

Eigentlich sind diese vier Stücke eine todsichere Bank. Die kennt jeder und die mag auch jeder. Warum aber musste Herr Wendt seine eigenen Arrangements verwenden? Diese Stücke sind Megahits und das sind sie, weil sie ordentlich abgehen – etwas, wovon Wendts schon fast unbeholfene Versionen weit entfernt waren. Von den Quattro Stagioni gibt es mittlerweile erstklassige Arrangements zu kaufen, deutlich bessere als das, was er da spielte. Der Gershwin klang einfach nur matschig und Asturias und den Bergkönig kann auch der Herr Wendt mit seinem gusseisernen Selbstbewusstsein nicht besser arrangieren als die Komponisten - aber durchaus schlechter.

Außerdem gab es zu bewundern einen Sänger/Posaunisten – nun ja – und eine Cellistin/Sängerin, der eine Modeberatung sehr gut getan hätte – nun ja. Ach ja, der Künstler benutzte einen Flügel mit Hydraulikstempel, der auf Knopfdruck hochsprang und den Deckel auf- und zuklappen konnte, superaufregend - nun ja. Vielleicht war das Teil deshalb klanglich gehandicapt.

Muss ich da noch einmal hin? Nee, glaube ich nicht.

CW
 
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Ich glaube, hier ist alles gesagt! Schade um die 50 Piepen.
Die hätte man vermutlich besser im nächsten Restaurant „ verbraten“ können 😉.
 
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Dass der nicht auf dem Niveau von Andras Schiff oder auch nur von Zwingenberger spielt, ist nicht sonderlich überraschend. Aber 'n bisschen mehr hatte ich mir schon erwartet. Diese kastrierten Arrangements hätte auch ein geschickter Amateur hingekriegt. Die Piepen für den Eintritt war der halt nicht wert. Übrigens auch nicht die für Herrn Garrett, vor ein paar Wochen.

Das sah das Publikum alles offensichtlich ganz anders - drei oder vier Zugaben plus Standing Ovations.



CW
 
Das sah das Publikum alles offensichtlich ganz anders - drei oder vier Zugaben plus Standing Ovations.
Also macht er alles richtig, und das seit vielen Jahren. Unterhaltung am und mit Klavier, die vielen Menschen gefällt. Wenn man in ein Konzert von Sokolov geht, dann erwartet man ja auch keinen Helge Schneider, und umgekehrt. Beides hat seine Berechtigung und wenn sein Publikum die obigen Reaktionen zeigt, dann ist es auch für sie kein "Schade um die 50 Piepen" oder "Der ist nix":016:.
 
Also macht er alles richtig, und das seit vielen Jahren. Unterhaltung am und mit Klavier, die vielen Menschen gefällt.
Zweifellos aus seiner Sicht. Er beabsichtigt sicher nicht, mit einem der Topnames zu konkurrieren. Das ist ausschließlich seine Entscheidung und seine Berufswahl. Mich braucht er ganz bestimmt nicht dafür.

Und es ist meine Entscheidung, daran herumzunörgeln oder nicht.

CW
 
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Joja Wendt ist ein Star in der Manege, ein Tastenakrobat. Technisch beeindruckend, als Musiker berührt er mich aber nicht. Er hat ja auch langsame Titel im Repertoire, aber auch da sind keine Vibes, die mich ansprechen.
 
Schwarz natürlich. Bemerkenswert fand ich, dass kein Herstellername zu sehen war, obwohl die Tastatur riesig groß auf einem Monitor über der Bühne eingeblendet war - damit man die Künstlerhände sehen konnte. Üblicherweise sorgt der Flügelhersteller dafür, dass sein Name in deutlichen goldenen, schwungvollen Lettern auf der Tastenklappe und auf den Flanken unübersehbar prangt. Das war nicht der Fall - warum? Vielleicht wegen der eingebauten Low-Rider-Muscle-Car-Hydraulik?

Keine Videowalls, keine Pyrotechnik und leider keine gutgewachsenen Tänzerinnen - alles ganz schlicht.

CW
 

Joja W kann den schnellsten Honky Tonk Train Blues.
140 mph.
Meinjanur.
 
"glauben" = "nicht wissen" ...

Es geht (mir) nicht um irgendwelche x-beliebige schnellen Anschläge.
Unsere Sekretärinnen habe ich auch immer verblüffen können mit speed 210-220 Anschlägen in der Minute. Simple Frage des Trainings.
Aber void, pillepalle, es geht nicht per se um ir-gend-ei-ne Schnelligkeit.

Es geht um DEN Boogie, den HONKY TONK TRAIN BLUES.
Ich weiß nicht, ob Liberace sich jemals an den ... heranwagte. Ich suchte, und fand da nichts. Scheint, dass der alte Grinsekatzmeister dadrum einen Bogen schlug.

(Ein anderes episches Ding ist der Root Beer Rag. Den sich die Kölner Wise Guys sogar eine zeitlang zu singen trauten, dann aber die Arbeit daran einstellten.)
 
Ich rate mal: Bekloppte Sprünge links und rechts.
 
falsch geraten. Ich weiß auch nicht, was daran besonders schwer sein soll. Das ist doch nichts, bei dem sich ein erfahrener Pianist erst "trauen" muss.
Natürlich kann man auch Klavierspiel auf den sportlichen Aspekt reduzieren, beim wer kann schneller gegen die Uhr spielen geht es aber dann nicht mehr um Musik.
Hier finde ich es geradezu komisch wie Emerson um das Tempo kämpft, während Peterson souverän mit dem Tempo spielt.
 

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