Lieber Gefallener,
ich freue mich sehr über deine Idee eines Übezirkels! Ich glaube auch, dass der Rahmen des Forums, sei es per PN, sei es in einem besonders geschützten Rahmen für jeden Einzelnen die Möglichkeiten bietet, die er dazu braucht. Ich finde es toll, sich über Musik auszutauschen - das ist doch ein wesentlicher Grund, warum es dieses Forum gibt!
Ich möchte aber auf einige deiner Gedanken eingehen, die sowohl in deinen wie auch anderen Beiträgen immer wieder auftauchen. Ich habe das Bedürfnis, bestimmte Ansichten über ein vermeintliches "Profitum" richtig zu stellen - ich sehe das nämlich ganz anders.
Ich sehe es als große Herausforderung generell in der Musik, fachliche Hierarchie der menschlichen "" hintanzustellen.
Für mich ist das keine Herausforderung! Denn es gibt für mich keine Hierarchie! Wenn ich einen Schüler unterrichte, nehme ich ihn, egal ob 5 oder 85, in allen Belangen ernst. Genauso ernst wie mich. In fachlicher Hinsicht habe ich einen klaren Wissensvorsprung, deshalb kommt der Schüler ja zu mir. Der Unterricht ist aber nicht dazu da, diesen Wissensvorsprung zu demonstrieren, sondern ich LEHRE! Das bedeutet, dass ich den Schüler darin unterrichte, selbst den Dingen auf den Grund zu gehen, selbst nach und nach immer selbstständiger zu werden, selbst hören und musizieren zu können. Kein Lehrer, der etwas auf sich hält, unterrichtet zur Selbstdemonstration a la "schau, wie toll ich bin."! Hilfe zur Selbsthilfe, aufmerksame Beobachtung, empathische Reflexion, Aufforderung, Frage, gemeinsames Musizieren .... sind Elemente des Unterrichts. Kein Gockel, sondern Partner!
Als "nicht Profi" ist man in der luxuriösen Lage die Dinge unscholastisch zu sehen. Man kann vor dem Weihnachtsbaum stehen mit dem glauben an das Christkind. Ein so unfassbar unterschätzter Wert von Amateuren, die sich immer tendenziell entzaubern lassen wollen.
Glaubst du wirklich, Profis würden nicht mit glänzenden Augen, eher Ohren, stehen vor dem Wunder der Musik? Ich habe genau deshalb Musik studiert. Weil mich Musik schon immer tief berührt hat, so dass ich mehr über dieses Wunder lernen wollte.
Ich war mal bei einem wunderbaren Klavierabend von Alfred Brendel. Er hat so wunderschön Schubert gespielt, dass es mich umgehauen hat. Es war mir aber ein Rätsel, warum es so besonders klang, was er genau machte, um diese Stücke so klingen zu lassen. Ich wollte das gern lernen, merkte aber, dass mein Gehör nicht ausreichte, um das realisieren zu können.
Ich bin sehr dankbar, dass ich heute weiß, was er machte, dass ich es heute hören und realisieren kann. Das habe ich meinem Studium zu verdanken und meiner intensiven Beschäftigung mit Musik und dem Klavierspiel.
Dazu gehört IMMER, dass Hören, Fühlen, Spielen, Ratio, Emotion und Spiel zusammenwirken! Eine Trennung gibt es nicht bzw. sollte es nicht geben. Eine Analyse dient keinem Selbstzweck, sondern dem Eintauchen in die Tiefe und dem Erleben dessen, was dort zu finden ist. Wenn ein Anfänger staunend vor dem Weihnachtsbaum steht, sieht der Profi jede Kugel, jedes kleinste Wunderwerk, jeden noch so filigranen Schmuck. Er staunt immer noch, aber gleichzeitig erlebt er eine große Differenziertheit von - wieder bezogen auf die Musik - Klängen und Gefühlen.
Das ist das, was ich Schülern beibringen möchte. Jeder, der kommt, ist fasziniert von Musik. Er staunt bereits - deshalb möchte er mehr über Musik lernen. Meine Aufgabe ist es, ihn die Vielfalt von Musik erleben zu lassen. Meine Aufgabe ist es, musikalisch sowohl in die Breite als in die Tiefe zu gehen, den Schüler die pianistische Umsetzung zu lehren, mit allen Sinnen, mit Herz und Hirn Musik zu hören, zu fühlen, zu spielen.
Es mag sein, dass es Lehrer gibt, die Analyse zum Selbstzweck lehren. Ich habe jedenfalls stark den Eindruck, dass du schlechte Erfahrungen gemacht hast. Sie sind aber nicht zu verallgemeinern! Sonst würden Profis wie Brendel, Perahia, Sokolov, Trifonov und viele andere nicht so leidenschaftlich und mitreißend spielen! Und im Unterricht säßen Schüler und Lehrer wie Trauerklöße und zerfurchter Stirn ohne Leidenschaft, Lachen und dem was Musik ausmacht!
Klar kann es spannend sein wissenschaftlich basal die Herkunft des Christkinds zu verstehen, aber das finde ich weniger magisch. Magie ist kostbar.
Ja, Magie ist kostbar! Musik zu verstehen und zu erleben, verstärkt die Magie.
Deswegen auch hier: Lieber rede ich mit jemandem über "überraschende Wendungen" und "hattest du an der Stelle auch diese Gefühl", statt dass ich eine Fuge komplett durchseziere und totanalysiere.
Das schließt sich eben in keinster Weise aus!
Liebe Grüße
chiarina