Schwierigkeiten mit Mozarts Stil

Weder textlich noch musikalisch kann auf eine Passage verzichtet werden, ohne dass die Dramaturgie des Stückes empfindlich leidet.

Textlich gibt es im Tristan schon eine Passage, bei der sich mir diese Frage stellt, nämlich Markes Nänie in 2 / 3. Strukturell ist das eine nachgelieferte Exposition zum besonderen Treueerhältnis König - Lehensmann. Sie reicht dennoch nicht hin, die Kenntnis von Gottfried bzw. der Volksbuchtradition zu ersetzen und ist strukturell auch funktionslos, weil seit dem 1. Aufzug ohnehin klar ist, dass die Kraft der Fides durch die Macht des Eros eben entkräftet ist. Ethisch kommt dazu der - stoffremde - Versuch, das mal. Konzept des »guoten königs« ins romantisch- individuelle zu wenden. Die Kombination aus beiden gerät doch recht lang, und man kann sich durchaus fragen, ob nicht die Übernahme von Gottfrieds Version, Marke zum stummen Zeugen des Verrats werden zu lassen, das größere tragische Potential gehabt hätte. Jedenfalls konterkariert Markes ellenlanger Klagemonolog auch das grundlegende dramatische Konzept, jeden Akt zu einem Katastrophenschluß zu führen, der die Spannung des quälenden Wartens aufhebt (und am Ende zur Erlösung im gemeinsamen Tod führt).
 
@Ambros_Langleb ...dass der Mediaevist in dir lieber den originalen Gottfried als das Wagnersche Libretto hätte, kann ich nachvollziehen - trotzdem ist dort kein Takt und keine Note zu viel (im Zweifelsfall hält der Text halt nicht durch, was die Musik kann) :drink: und danach freuen wir beide uns, dass beim Mozart nirgends der König Marke auftaucht ;-)
 
Textlich gibt es im Tristan schon eine Passage, bei der sich mir diese Frage stellt, nämlich Markes Nänie in 2 / 3. Strukturell ist das eine nachgelieferte Exposition zum besonderen Treueerhältnis König - Lehensmann. Sie reicht dennoch nicht hin, die Kenntnis von Gottfried bzw. der Volksbuchtradition zu ersetzen und ist strukturell auch funktionslos, weil seit dem 1. Aufzug ohnehin klar ist, dass die Kraft der Fides durch die Macht des Eros eben entkräftet ist.
Das ist sachlich zweifellos richtig, aber offenbar war es Wagner wichtig, Marke nicht als einen mehr oder weniger abgehobenen König darzustellen, sondern als einen tief betroffenen Mitmenschen, der unser Mitleid verdient. Nicht umsonst hat Wagner für Markes Monolog die traurigste Musik komponiert, die man sich denken kann: Mehr Einsamkeit und Verlassenheit kann man musikalisch sicher nicht zum Ausdruck bringen, als es Wagner mit den kommentierenden Motiv-Fetzen der Bassklarinette getan hat - einfach genial!

Dadurch, dass man quasi gezwungen wird, mit dem alten König zu leiden, bekommt das Stück auch eine größere Tiefe: Ohne diesen Monolog würde der Zuschauer für das Paar Tristan/Isolde uneingeschränkte Sympathie empfinden und die moralische Komponente ihres Ehebruchs mehr oder weniger ausblenden. Erst Markes fassungslos trauriger Monolog lenkt die Aufmerksamkeit auf genau diesen Aspekt - beim Ehebruch gibt es neben den Verliebten schließlich auch den Betrogenen *). Die Szene hat zur Folge, dass der Zuschauer ein wenig Distanz zum Paar Tristan/Isolde aufbaut - ein toller dramaturgischer Kniff, denn dadurch kann Wagner den dritten Akt dazu nutzen, nach und nach wieder eine emotionale Nähe zu Tristan herzustellen, was dem Spannungsverlauf sehr zugute kommt. Die lange Warterei wäre musikalisch ohne diese "Nebenaufgabe" nur schwer zu sinnvoll füllen. Ich möchte jedenfalls auf diese Viertelstunde im Tristan nicht verzichten.

*) Vielleicht steckt hinter dem Marke-Monolog ja auch eine musikalische Abbitte an Otto Wesendonck - wer weiß das schon?
 
Mehr Einsamkeit und Verlassenheit kann man musikalisch sicher nicht zum Ausdruck bringen, als es Wagner mit den kommentierenden Motiv-Fetzen der Bassklarinette getan hat - einfach genial!
Könntest du mal einen Link mit Zeitangabe einstellen, wo ich das anhören kann? Einsamkeit und Verlassenheit hätte ich eher anderen Komponisten / Kompositionen nachgesagt. z.B. 2. Satz KV 488 oder Beethoven G-Dur Konzert, manches von Schubert...
 
@Stilblüte zum Einstieg die Klaviereinleitung des Wesendoncklieds im Treibhaus, danach den Beginn des 3. Akts von Tristan und Isolde (du wirst das erste vom Blatt spielen und beides unschwer ergoogeln können und ebenso unschwer wirst du entdecken, dass Wagner nicht grundlos zwei seiner Lieder als Tristanstudien bezeichnet hatte) - sollte es dir peu a peu gefallen, kannst du in der Mitte des 2. Akts (nach dem gigantischen Duett) dann auch Markes Monolog finden.
...natürlich hängt das Verständnis für Mozarts Musik davon ab, dass man Wagners Tristan bis ins letzte Detail kennt...;-);-);-):drink:
 
Mozart und Wagner zu vergleichen, ist eigentlich unmöglich. Aber gleichwohl elektrisierend.

Denn beide sind Urheber einiger der genialischsten Opern ever.

Mozart gelingt eine glaubwürdige "Wendung ins Versöhnliche". Er hätte, wie Wagner, die Mittel "musikalischer Vernichtung" gehabt. Die Handlungen seiner Opern sind oft bitterböse und offenbaren schwere menschliche Verfehlungen. Doch selbst nach Le Nozze (unvergleichlich: "Contessa perdono" und die nachfolgende musikalische Auflösung der tiefen Beklemmung), Don Giovanni oder La clemenza di Tito (Gänsehaut beim bloßen Gedanken daran: "sia noto a Roma, ch'io son lo stesso, e ch'io tutto so, tutti assolvo, e tutto oblio"
ohnmacht.gif
) schlägt Mozart den Bogen zurück zur Zuversicht.

Vergleichbar: Rosenkavalier. Der kleine Diener, der auf die Bühne kommt, um das Taschentuch zu holen.

Versöhnung, zumindest eine Vorahnung davon.

Wagner hingegen bremst sich kein bisschen. Er nutzt die Musik in einer unvergleichlichen Weise, um das Gefühl Wotans auszulösen "Nur eines will ich noch: Das Ende".

Man höre den "schönen" Schluss von Rheingold, den Einzug in Walhall, und die Musik, die in all ihrer Erhabenheit diese winzigen Störelemente hat (nicht zuletzt Loge, der es sogar verbalisiert). Erst in der Vernichtung, der Verneinung der Weiterexistenz, am Schluss von Götterdämmerung, erst da schwebt die Zusicherung von "Erlösung" über dem Weltenbrand. *waaah...grusel...*

Reißt es danach die Zuschauer applaudierend von den Sitzen? Nein, die müssen erst mal schlucken. Jedesmal wieder. - - - Dann erst Applaus, sehr gern frenetisch, befreiend, um sich aus der überwältigenden Umklammerung der Musik (und ihres transportierten Inhalts) zu lösen.

Dieses Momentum der Auflösung/Befreiung nimmt Mozart vorweg IN der Oper, durch seine Schlussszenen. :herz:
 
Danke Dir für diese Erläuterung:super:.



Auch wenn es Hollywood ist, diese Szene ist auch im Amadeus-Film von Milos Forman enthalten, fällt mir gerade ein:dizzy:.
wobei Forman ja gerade als Pointe die Hölle der Rache Arie mit Schnitt auf die geifernde Schwiegermutter verbindet

1:00ff


View: https://youtu.be/5wfp8EB179g


und ich bin mir eben nicht sicher, ob die Interpretation der Rolle, meistens nicht viel zu brav ist @mick meistens völlig langweilig...und Mozart war alles andere als langweilig und bloß weil seine Bekannte es nicht drauf hatte...
 
und ich bin mir eben nicht sicher, ob die Interpretation der Rolle, meistens nicht viel zu brav ist @mick meistens völlig langweilig
Soso. Wie viele Interpretinnen bzw. Inszenierungen hast du denn schon auf der Bühne erlebt, dass du dir so ein quantitatives Urteil erlauben kannst?

Davon ganz abgesehen soll es Hörer geben, die sich ein Gespür für subtilere Affekte bewahrt haben und keine auftrumpfende Brachialgewalt benötigen, um überhaupt noch irgendwas zu empfinden.
 

Ich wollte dazu noch was schreiben, aber genau in die Richtung geht mein Problem mit Wagner. Zu vordergründig beeindruckend.

Das verstehe ich nicht. Wo ist Wagner denn vordergründig beeindruckend? Natürlich steht ihm 100 Jahre nach Mozart ein ganz anderer Apparat zur Verfügung - aber wo setzt er seine Mittel effekthaschend oder gar missbräuchlich ein? Ich würde verstehen, wenn du das einigen späten Opern von Richard Strauss ankreiden würdest, meinethalben auch einigen Werken des italienischen Verismo - aber Wagner? Kannst du mal ein Beispiel bringen?
 
Das verstehe ich nicht. Wo ist Wagner denn vordergründig beeindruckend? Natürlich steht ihm 100 Jahre nach Mozart ein ganz anderer Apparat zur Verfügung - aber wo setzt er seine Mittel effekthaschend oder gar missbräuchlich ein? Ich würde verstehen, wenn du das einigen späten Opern von Richard Strauss ankreiden würdest, meinethalben auch einigen Werken des italienischen Verismo - aber Wagner? Kannst du mal ein Beispiel bringen?

Ich habe den (mangels Interesse) überhaupt nicht analytisch durchdrungen. Mir hat letztens eine Musikwissenschaftlerin wenigstens mal erzählt, was und warum Wagner das so wollte, so dass ich das jetzt wenigstens verstehe.

Auf mich als Hörer und wenn ich mir ansehe, wie andere das Aufnehmen, steht Wagner irgendwie für Mächtigkeit, und die Musik strahlt oft eine Größe aus, die alleine von ihrer Wirkung (wenn ich sie höre) gut zu dieser ganzen Nazi-Zuschreibung passt.
Mir gefällt das absolut nicht.

Ich habe eine Aversion gegen jede Form von Hype. Je mehr irgendwas von einer breiten masse "gefeiert" wird, wie man heute sagt, umso uninteressanter und sogar abstoßender finde ich das.

Pomp, Prunk oder diese Wucht (mir fällt der treffsichere Begriff für die Wagnersche Musik nicht ein), ist absolut nichts für mich.

Mir gefällt Pari Intervallo deutlich besser als der Ritt der Wallküren.

Und was den Apparat angeht: Wie platt ist es mit einem 500PS-Auto immer mit Vollgas zu fahren?

Vielleicht ist es auch einfach Geschmackssache, aber Wagner ist nun wirklich das, was mir am fernsten liegt.
 
...und wen interessiert das? Schau mal: in deinen privaten Geschmack redet dir sicher keiner rein, so lange du diesen nicht wie eine sichere Wahrheit verkündest. Für dich mag Wagner wie bombastischer leerer Pomp wirken, aber deswegen ist es noch lange keiner. Für mich ist Bach überwiegend Langeweile, aber deswegen behaupte ich nicht, dass Bach Langeweile seie - man kann die Qualität von Barockmusik erkennen, aber man muss sie nicht mögen. Kapiert @Sven ?

...und so nebenbei: ob irgendwem spätromantische Opern gefallen oder nicht, das hilft wenig dabei, Mozarts Musik zu verstehen...
 
...und wen interessiert das? Schau mal: in deinen privaten Geschmack redet dir sicher keiner rein, so lange du diesen nicht wie eine sichere Wahrheit verkündest. Für dich mag Wagner wie bombastischer leerer Pomp wirken, aber deswegen ist es noch lange keiner. Für mich ist Bach überwiegend Langeweile, aber deswegen behaupte ich nicht, dass Bach Langeweile seie - man kann die Qualität von Barockmusik erkennen, aber man muss sie nicht mögen. Kapiert @Sven ?

...und so nebenbei: ob irgendwem spätromantische Opern gefallen oder nicht, das hilft wenig dabei, Mozarts Musik zu verstehen...

Also bei Bach ist mir auch schon aufgefallen, dass es mehr Spaß macht ihn zu spielen, als ihn anzuhören ;-)
 
Kurze Rückmeldung zu meinen im Fadentitel erwähnten Schwierigkeiten: Sie sind deutlich geringer geworden. Entscheidende Verständnishilfen habe ich den Beiträgen von @Barratt, @rolf und @mick entnommen. Es war sehr wichtig, Mozart stärker im Kontext seiner Zeit zu sehen, den Grad der Stilisierung zu sehen, die er vornimmt, und dass seine (nie oberflächliche) Heiterkeit in der Zeit des Spätabsolutismus eine Utopie darstellte.
Ich habe heute mal wieder seine 40. Symphonie (die in g-Moll) gehört und sie tiefer verstanden als je zuvor. Als das zweite Thema des ersten Satzes nach der Reprise in Moll gespielt wurde, hat es mir fast das Herz zerrissen und mir kamen die Tränen. Ich glaube, meine Schwierigkeiten mit seinen Opern werden auch geringer und meiner Liebe zu ihnen noch größer werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Soso. Wie viele Interpretinnen bzw. Inszenierungen hast du denn schon auf der Bühne erlebt, dass du dir so ein quantitatives Urteil erlauben kannst?

Davon ganz abgesehen soll es Hörer geben, die sich ein Gespür für subtilere Affekte bewahrt haben und keine auftrumpfende Brachialgewalt benötigen, um überhaupt noch irgendwas zu empfinden.
naja,zwischen subtilen Affekten und an der Intention vorbeisingen ist aber schon ein Unterschied...oft merkt man einfach, dass da Stimme einfach nicht reicht...
Da wird der Ersatz jetzt in Salzburg als die Entdeckung gefeiert, an manchen Stellen schleift sie aber schon ganz schön. Aber auf BR Klassik führte sie ja selber an, mit 23 zu jung für die Rolle zu sein.
Vielleicht sollte man einfach die Rolle der Königin der Nacht weglassen, bis alle Jubeljahre jemand mit genug Stimme da ist.

Vor Jahren trat mal die Nichte von Viktoria Lukyanets bei ner Casting Show auf, als ich Tante auf youtube suchte, war ich erstaunt, wie man Primadonna in Wien wird.

Da wird ja die Milch sauer.


View: https://youtu.be/wCkBiKmp--I


Ich habe diese Arie so oft schon gehört, meistens ist das zahnlose Kost.
 
Ich habe heute mal wieder seine 40. Symphonie (die in g-Moll) gehört und sie tiefer verstanden als je zuvor. Als das zweite Thema des ersten Satzes nach der Reprise in Moll gespielt wurde, hat es mir fast das Herz zerrissen und mir kamen die Tränen.

......... K A T A P L E X I E ...........

Die beiden letzten Sinfonien – und überhaupt, Mozarts "Spät"werk – ... nicht von dieser Welt.

Eine mystische Reise zum Kern des Besten, was man mit dem Begriff "Menschheit" verbinden möchte.


@Charis Ich möchte Dir das Klarinettenkonzert KV 622 ans Herz legen. :herz:
 

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