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Safe Space Patrol
Der Streit um den IPM scheint abzuflauen, nachdem sich die Geschwister-Indices bewährt haben, wie aus Brüssel zu vernehmen ist. Man denke nur daran, wie rasch sich nach der (diesmal auf Betreiben der weltlichen Obrigkeit erfolgten) Einführung des Index prohibitorum librorum die Gemüter beruhigt hatten, als zu erkennen war, daß kaum eines der zuvor geäußerten Bedenken sich als sachlich begründet erwies: Gemeinfreie Texte in der sogenannten Urtextversion erscheinen als BoD bei russischen Anbieter:innen oder sind immer noch über VPN auf der Free Gutenberg Library einsehbar, und ältere Druckausgaben gelangen via Antiquar:in aus Amerika nach wie vor in die Hände jener „gebildeten Nazis:sen“, die auf ihre Lieblingslektüre menschenverachtender Formulierungen nicht zu verzichten bereit sind. Und das Spiel wiederholte sich, als der Index prohibitorum pictorum herauskam; der Markt wurde plötzlich überschwemmt von Kopien und Reproduktionen für Menschen mit Originalfixierung, und nur diese Ewiggestrigen schreien immer noch von Zensur – als wäre es nicht viel mehr ein Akt der Zensur, diskriminierungserfahrene Menschen (re-)traumatisierenden Inhalten auszusetzen und ihnen so das Recht auf maximale Gefahrenabwehr vorzuenthalten.
Wie auch immer, mit dem Index prohibitorum musicorum zündet Brüssel jetzt die letzte Stufe seines arianehaften Raketenprojekts zur Bereinigung abendländischer Kultur vom Bodensatz einer schon zwei Jahrtausende andauernden Praxis der Verhöhnung, Ausgrenzung und (symbolischen) Vernichtung stigmatisierter Menschengruppen. Jetzt trifft es also die Musik, und wie bei den Geschwisterkünsten gibt es auch hier wieder eindeutige Kriterien für die Indizierung: diskriminierender Inhalt, Elemente kultureller Aneignung, Darstellung potentiell (re-)traumatisierender Gewalterfahrung, Sittlichkeit des Lebenswandels (der Komponist:innen), und wie bei den Geschwister-Indices liegt auch hier wieder die Tücke im Detail der Umwandlung in nationales Recht, in Deutschland besonders komplex, weil hier die Kulturhoheit bei den Bundesländern liegt, deren Vertreter:innen sich per Minister:innenkonferenz zusammenschließen müssen, um eine „einheitliche Regelung zu erzielen“ (im Klartext: um das Entstehen von Oasen politischer Unkorrektheit zu verhindern). Was folgt, sind EU-weit leider ganz unterschiedliche Auswirkungen. In einigen Ländern haben die Indices nur empfehlenden Charakter; man vertraut dort auf eine Art freiwilliger Selbstkontrolle der Kunstschaffenden, schlimmstenfalls auf die Auswirkungen sozialer Ächtung (Shitstorm etc.). Andere Staaten haben ein festes Regelwerk ersonnen, vorallem das Verbot von Druck, Aufführung und akustischer Weitergabe indizierter Werke, sanktions- und strafbewehrt vom Bußgeld bis zum Freiheitsentzug. Das Extrem bilden Länder wie Schweden, die um der postulierten Seelenreinheit willen das chinesische Modell der Abkopplung vom www übernehmen und den Aufbau eines staatseigenen Intranets favorisieren. Da sind die Schwed:innen allerdings päpstlicher als die katholische Führungskraft, regelungswütiger als die EU-Komissare innen.
Denn es muß immer wieder gesagt werden – und es sei den rechten Kulturkämpfer:innen nochmal ins Stammbuch geschrieben: Die Indices sind gerade nicht entstanden, um den „reichen Kulturschatz Europas“ zu vernichten, sondern um ihn zu retten. Der Wunsch nach verbindlicher Indizierung kam auf, als der Wildwuchs anarchisch-willkürlicher Repertoire-Säuberungen, Produktportfolio-Bereinigungen und shitstorm-artiger Verfolgungskampagnen kaum mehr zu bremsen war. 2018 reichte in der Berliner Alice-Salomon-Hochschule das „Gefühl“ einiger menstruierender Menschen aus (die als Studierende noch nichtmal das Hausrecht hatten), um ein angeblich frauenverachtendes Gomringer-Gedicht von der Häuserwand entfernen zu lassen (nicht zu verachten: die erste Zerstörung eines Werkes aus der Hand eines Kulturschaffenden mit geradezu ahasverischem Migrationshintergrund seit 1933!). 2020 nahm das Berliner Staatsballett sein einziges Zugpferd aus dem Repertoire, den „Nußknackenden“, ohne Rücksicht auf das interessierte und zahlungswillige Publikum, aus schierer Angst vor einer linken Netzgemeinde, die weder Musik noch Inszenierung kennt, sich aber schon mal vorsorglich über rassistische Stereotypen im „Chinesischen“ und „Orientalischen Tanz“ empört... Die Indices schaffen dagegen Verbindlichkeit und Rechtssicherheit, und im Umgang mit den indizierten Werken soll der Schwerpunkt gerade nicht auf dem prohibitorum, sondern auf dem purgandorum liegen: Es geht um die Beseitigung anstößiger Stellen zugunsten einer Rettung des Gesamtwerks. Klassisches Beispiel: Astrid Lindgren – die Verwandlung des N-Wort-Königs in den Südseekönig.
In puncto Musik ist den Brüsseler Funktionär:rinnen durchaus bewußt, daß sie es hier mit einer komplexeren Materie zu tun haben. Während der Literatur oder auch Malerei und Photographie innewohnende Grad an Menschenverachtung rasch erkennbar wird, ist die indizierenswerte Grenzüberschreitung hin zum moralisch Unerträglichen im Notentext oft nur schwer nachweisbar, vorallem im Bereich der absoluten Musik. Das berührt eine alte Frage, die schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts unbeantwortet blieb, als über die Gefährlichkeit von Tonleiter:innen diskutiert wurde (von Platons selbst schon wieder diskriminierenden Bewertungen in der „Politeia“ ganz zu schweigen): Ist C-Dur faschistisch oder antifaschistisch...?
Am schnellsten gelingt das Aufspüren inhaltlicher Anstößigkeit bei Textvertonungen, Programmusik, Bühnenwerken. Leider ist hier vieles nicht zu retten. Von Meyerbeers „Afrikanerin“ und Verdis „Otello“ (nach Shakespeares „M-Word of Venice“), von „Thais“ über „Carmen“ bis zu Křeneks „Johnny spielt auf“ kicken sich die Opern wie von selbst aus dem Repertoire, auch für das kopflastige, die Rezeption kritisch hinterfragende Regietheater nicht zu retten, weil die woken Aktivist:innen keine Doppelbödigkeit verstehen. Mit den Türk:innenopern der Wiener Klassik verschwindet übrigens auch das Mozart’sche Janitascharengeklingel (bekannt aus Oper und Klavierunterricht) im Orkus.
Was den Bereich der klassischen Tanzkunst betrifft, so ist z. B. „Petruschka“ unrettbar verloren, zumindest das xenophobe und misogyne dritte Bild, worin das M-Wort und die Ballerina auch musikalisch durch einen derb-reduktionistischen Tonsatz als dumm und plump denunziert werden – eine wahrhaft bösartige Karikatur im übelsten „Stürmer:innen“-Stil.
Übrigens: Ein unlösbares, rein aufführungspraktisches Problem ist das der Repräsentanz. In der heutigen minderheitensensiblen Zeit ist es eminent wichtig, daß Vertreter:innen sogenannter Minderheiten sich selbst darstellen. Das führt aber zu Besetzungsproblemen. So mußte jetzt die für Salzburg geplante "Rusalka" abgesagt werden, weil sich in der ganzen Tschechei keine Wassernixe fand, die mit der anspruchsvollen Gesangspartie zurechtkam.
Wie auch immer, mit dem Index prohibitorum musicorum zündet Brüssel jetzt die letzte Stufe seines arianehaften Raketenprojekts zur Bereinigung abendländischer Kultur vom Bodensatz einer schon zwei Jahrtausende andauernden Praxis der Verhöhnung, Ausgrenzung und (symbolischen) Vernichtung stigmatisierter Menschengruppen. Jetzt trifft es also die Musik, und wie bei den Geschwisterkünsten gibt es auch hier wieder eindeutige Kriterien für die Indizierung: diskriminierender Inhalt, Elemente kultureller Aneignung, Darstellung potentiell (re-)traumatisierender Gewalterfahrung, Sittlichkeit des Lebenswandels (der Komponist:innen), und wie bei den Geschwister-Indices liegt auch hier wieder die Tücke im Detail der Umwandlung in nationales Recht, in Deutschland besonders komplex, weil hier die Kulturhoheit bei den Bundesländern liegt, deren Vertreter:innen sich per Minister:innenkonferenz zusammenschließen müssen, um eine „einheitliche Regelung zu erzielen“ (im Klartext: um das Entstehen von Oasen politischer Unkorrektheit zu verhindern). Was folgt, sind EU-weit leider ganz unterschiedliche Auswirkungen. In einigen Ländern haben die Indices nur empfehlenden Charakter; man vertraut dort auf eine Art freiwilliger Selbstkontrolle der Kunstschaffenden, schlimmstenfalls auf die Auswirkungen sozialer Ächtung (Shitstorm etc.). Andere Staaten haben ein festes Regelwerk ersonnen, vorallem das Verbot von Druck, Aufführung und akustischer Weitergabe indizierter Werke, sanktions- und strafbewehrt vom Bußgeld bis zum Freiheitsentzug. Das Extrem bilden Länder wie Schweden, die um der postulierten Seelenreinheit willen das chinesische Modell der Abkopplung vom www übernehmen und den Aufbau eines staatseigenen Intranets favorisieren. Da sind die Schwed:innen allerdings päpstlicher als die katholische Führungskraft, regelungswütiger als die EU-Komissare innen.
Denn es muß immer wieder gesagt werden – und es sei den rechten Kulturkämpfer:innen nochmal ins Stammbuch geschrieben: Die Indices sind gerade nicht entstanden, um den „reichen Kulturschatz Europas“ zu vernichten, sondern um ihn zu retten. Der Wunsch nach verbindlicher Indizierung kam auf, als der Wildwuchs anarchisch-willkürlicher Repertoire-Säuberungen, Produktportfolio-Bereinigungen und shitstorm-artiger Verfolgungskampagnen kaum mehr zu bremsen war. 2018 reichte in der Berliner Alice-Salomon-Hochschule das „Gefühl“ einiger menstruierender Menschen aus (die als Studierende noch nichtmal das Hausrecht hatten), um ein angeblich frauenverachtendes Gomringer-Gedicht von der Häuserwand entfernen zu lassen (nicht zu verachten: die erste Zerstörung eines Werkes aus der Hand eines Kulturschaffenden mit geradezu ahasverischem Migrationshintergrund seit 1933!). 2020 nahm das Berliner Staatsballett sein einziges Zugpferd aus dem Repertoire, den „Nußknackenden“, ohne Rücksicht auf das interessierte und zahlungswillige Publikum, aus schierer Angst vor einer linken Netzgemeinde, die weder Musik noch Inszenierung kennt, sich aber schon mal vorsorglich über rassistische Stereotypen im „Chinesischen“ und „Orientalischen Tanz“ empört... Die Indices schaffen dagegen Verbindlichkeit und Rechtssicherheit, und im Umgang mit den indizierten Werken soll der Schwerpunkt gerade nicht auf dem prohibitorum, sondern auf dem purgandorum liegen: Es geht um die Beseitigung anstößiger Stellen zugunsten einer Rettung des Gesamtwerks. Klassisches Beispiel: Astrid Lindgren – die Verwandlung des N-Wort-Königs in den Südseekönig.
In puncto Musik ist den Brüsseler Funktionär:rinnen durchaus bewußt, daß sie es hier mit einer komplexeren Materie zu tun haben. Während der Literatur oder auch Malerei und Photographie innewohnende Grad an Menschenverachtung rasch erkennbar wird, ist die indizierenswerte Grenzüberschreitung hin zum moralisch Unerträglichen im Notentext oft nur schwer nachweisbar, vorallem im Bereich der absoluten Musik. Das berührt eine alte Frage, die schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts unbeantwortet blieb, als über die Gefährlichkeit von Tonleiter:innen diskutiert wurde (von Platons selbst schon wieder diskriminierenden Bewertungen in der „Politeia“ ganz zu schweigen): Ist C-Dur faschistisch oder antifaschistisch...?
Am schnellsten gelingt das Aufspüren inhaltlicher Anstößigkeit bei Textvertonungen, Programmusik, Bühnenwerken. Leider ist hier vieles nicht zu retten. Von Meyerbeers „Afrikanerin“ und Verdis „Otello“ (nach Shakespeares „M-Word of Venice“), von „Thais“ über „Carmen“ bis zu Křeneks „Johnny spielt auf“ kicken sich die Opern wie von selbst aus dem Repertoire, auch für das kopflastige, die Rezeption kritisch hinterfragende Regietheater nicht zu retten, weil die woken Aktivist:innen keine Doppelbödigkeit verstehen. Mit den Türk:innenopern der Wiener Klassik verschwindet übrigens auch das Mozart’sche Janitascharengeklingel (bekannt aus Oper und Klavierunterricht) im Orkus.
Was den Bereich der klassischen Tanzkunst betrifft, so ist z. B. „Petruschka“ unrettbar verloren, zumindest das xenophobe und misogyne dritte Bild, worin das M-Wort und die Ballerina auch musikalisch durch einen derb-reduktionistischen Tonsatz als dumm und plump denunziert werden – eine wahrhaft bösartige Karikatur im übelsten „Stürmer:innen“-Stil.
Übrigens: Ein unlösbares, rein aufführungspraktisches Problem ist das der Repräsentanz. In der heutigen minderheitensensiblen Zeit ist es eminent wichtig, daß Vertreter:innen sogenannter Minderheiten sich selbst darstellen. Das führt aber zu Besetzungsproblemen. So mußte jetzt die für Salzburg geplante "Rusalka" abgesagt werden, weil sich in der ganzen Tschechei keine Wassernixe fand, die mit der anspruchsvollen Gesangspartie zurechtkam.
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