Wenn du mit leuten über musik sprichst, benutzt du dann keine epochen oder musikstile um eingrenzen...
Guten Tag, Eusestan!
Natürlich gibt es unterschiedliche Stilepochen,
die sich durch charakteristische Wesensmerkmale voneinander unterscheiden.
Grob eingeteilt: Die Musik vor 1600 - später die "prima pratica" genannt -
hatte als Ideal die Gleichberechtigung der (Vokal-)Stimmen,
war entsprechend kontrapunktisch angelegt und hatte kein Interesse
an Textverständlichkeit - vulgo: Renaissancemusik.
Unter anderem aus dem Interesse an Textverständlichkeit heraus kam um 1600
in Italien die Idee der rein akkordisch und instrumentalbegleiteten Monodie auf,
aus der sich der generalbaß-gestütze Tonsatz entwickelte, eine Stilwende,
die (Achtung, Hasenbein!) schon von ihren Vertretern selbst als "seconda pratica"
bezeichnet wurde - heute nennt sich's Barockmusik.
Um 1750 herum experimentierten Komponisten in Mannheim und - ganz auf sich gestellt -
Haydn in Österreich mit einem nicht mehr generalbaßgestützten Tonsatz.
Das daraus resultierende Exportprodukt nennt sich "Klassik".
Hinter Hasenbeins deutlich artikuliertem Groll gegenüber dem "Schubladendenken"
steckt eine Erfahrung, die vielen Musikliebenden verhaßt sein dürfte:
Die Frage nach der Epochenzugehörigkeit eines Musikstücks dient als Ersatz
für die Beschäftigung mit der Musik selbst. Die Eigentümlichkeiten einer Musik
werden nicht aber dadurch erfaßt, daß man sie einer Stilepoche zuordnen kann.
Als kleine Korrektur zu Hasenbein muß allerdings gesagt werden,
daß viele Künstler schon zu Lebzeiten das Neuartige ihres musikalischen Denkens
benannt haben - die Vertreter der "seconda pratica" sind da nur
ein Beispiel.
Leider haben sie sich terminologisch nur selten durchsetzen können.
Oft entstand die künftige Stilbezeichnung aus einem abwertenden oder gehässigen Kritikerwort
("Impressionismus", "Atonalität", mit "barocco" wurde eine seltsam geformte Perle bezeichnet).
Deswegen ist Deine Eingangsfrage trotzdem nicht unberechtigt - sie ist nur kaum beantwortbar.
Auch hier grob vereinfacht: Die abendländische Kunstmusik unserer Tage,
Avantgarde genannt, ist hermetisch: schwer auszuführen, schwer aufzunehmen -
stellt höchste Ansprüche - und hat keinerlei Publikum.
Oder vielmehr: Sie hat einen kleinen Kreis sektiererischer Liebhaber,
der sich einmal pro Jahr in Witten, Darmstadt und Donaueschingen trifft,
die eine Hälfte als Mitwirkende, die andere als Publikum.
Die Popularmusik hat dagegen ihr weltumspannendes Publikum,
was damit zusammenhängen könnte, daß sie - sowohl an die Aufführenden
als auch ans Publikum - vorsätzlich weniger hohe Ansprüche stellt,
dafür aber auch mit schnelleren Abnutzungserscheinungen zu kämpfen hat.
Ich träume von einer "terza pratica", in der der hohe Anspruch guter Musik
ihrer unmittelbaren Faßlichkeit nicht widerspricht.
Gruß, Gomez