Mit Gefühl spielen?

Das verstehe ich schon, nur ist das genau das Gegenteil von dem was mir immer gesagt worden ist. Mir wurde nämlich schon öfter gesagt, das sich der Komponist beim schreiben des Stücks was gedacht hat und man deshalb nicht ändern und genauso spielen soll wie es da steht. Bei vielen Liedern steht ja auch geschrieben wann man lauter/leiser oder schneller/langsamer spielen soll.
Meine Klavierlehrerin war z.B. auch nicht begeistert davon, also ich ein Lied etwas langsamer spielen wollte, weil ich das schöner fand und bei einem Lied wollte ich bei ein paar Stellen einen tick schneller spielen, auch weil ich das schöner fand. Aber da meinte sie, da steht wie man das spielen soll, also wird das auch so gespielt und nicht anders.

Naja, es geht hier um Nuancen. Also ja, man kann natürlich irgendwo an der Temposchraube drehen. Aber das muss subtil sein. Wenn es klingt, als könnte man das Tempo nicht halten, ist es nicht gut. Und so eine Entscheidung muss gut begründet sein. "Ich finde es schöner" oder "Das ist meine Interpretation" ist dann oft eine Ausrede von Leuten, die eine Stelle nicht vernünftig geübt haben. Man sollte erst einmal in der Lage sein, ein Stück korrekt zu spielen. Also, hör dir das gleiche Stück von guten Pianisten an und lies die Noten mit, dann bekommst du vermutlich eine Idee, was damit gemeint ist.
 
Wenn ich gerade Zahnschmerzen habe, spiele ich immer Webern. Wenn ich verliebt bin, nur Chopin. Wenn ich mich ärgere nur Beethoven (wen sonst?).

Okay, mal ohne Sarkasmus. @chiarina, ich finde es wunderbar, wie du es beschrieben hast und dass du gegenüber Schülern gar nicht von "mit Gefühl" sprichst - da ist mir aufgefallen, dass ich das auch nicht mache, sondern konkret eine bestimmte Stimmung anspreche, die ein Stück vermitteln könnte.

Gefühl entsteht irgendwann ganz am Ende, in dem glücklichen Moment, in dem etwas künstlerisch gelingt, und es bleibt doch ganz individuell. @Niko87, meinen Schülern sage ich immer, dass die Noten keine Musik sind. Die Musik müssen sie selbst machen, und für diesen langen Weg brauchen sie den Lehrer. Trotzdem sollen sie natürlich die Noten so spielen, wie sie da stehen, mit kleinen Ausnahmen, etwa wenn es um barocke Wiederholungen geht. Im Grunde geht es um Werktreue und Präzision und künstlerische Freiheit. Das ist alles.
 
Danke für Deine Frage nach der Erzeugung und Vermittlung von Gefühlen beim Klavier-Spielen. Hier ist ein Beispiel, wie man Gefühle auch über eigene Improvisationen ausdrücken kann:
 
Uff! Das erinnert mich an Ottos: English for runaways..... :008:

Nicht alles, was aus dem Netz kommt ist richtig. Hier ist ein theoretischer Fehler, den ich hier berichtigen möchte, sonst denken hier manche, das was Martin in dem Video sagt, sei korrekt.
Also: Die Root position ist nicht die erste Umkehrung - "inversion". Ein Dreiklang hat genau zwei Umkehrungen und nicht drei, wie in dem Video vermittelt.
Wir haben die Grundlage (root position), 1. Umkehrung (first inversion) und 2. Umkehrung (second inversion).
Das ist im Englischen nicht anders als im Deutschen.
Da hat es mich ja gerade mal wieder geschüttelt.
 
Nicht alles, was aus dem Netz kommt ist richtig. Hier ist ein theoretischer Fehler, den ich hier berichtigen möchte, sonst denken hier manche, das was Martin in dem Video sagt, sei korrekt.
Also: Die Root position ist nicht die erste Umkehrung - "inversion". Ein Dreiklang hat genau zwei Umkehrungen und nicht drei, wie in dem Video vermittelt.
Wir haben die Grundlage (root position), 1. Umkehrung (first inversion) und 2. Umkehrung (second inversion).
Tastatula - danke für den Hinweis, Du hast vollkommen recht!
 
Für mich ist sehr wichtig dass ich ein kleines Repertoire pflege. Dadurch bin ich 100% sicher was die Noten angeht und dann erst fällt es mir leichter mich auf die Klanggestaltung und Ausdruck zu achten. Meine allererste KL sagte immer erst wenn man die Musik versteht kann man sie spielen. Und dazu gehört dass man den Notentext vorwärts und rückwärts spielen kan. Also erst große Sicherheit an den Tasten und dann kommt die musikalische Gestaltung von ganz alleine.
Und heute stelle ich fest, dass ich jeden Tag das Repertoire mit anderem Gefühl oder Ausdruck gestalte , weil ich ja nie in der gleichen Stimmung bin.
 
Und heute stelle ich fest, dass ich jeden Tag das Repertoire mit anderem Gefühl oder Ausdruck gestalte , weil ich ja nie in der gleichen Stimmung bin.
Wie kommst du damit klar? Irritiert dich das? Ist das eine spannende Reise in dein Inneres?

Sicherlich geschieht das, was du beschreibst, bei jedem. Allerdings sollte es einen Rahmen geben, innerhalb dessen diese tagesformabhängigen Schwankungen entstehen. Ein Schauspieler wird ja auch nicht seine Rolle mal so und mal so spielen, sondern immer eine gewisse Distanz dazu bewahren. Auch wird er sich nicht so stark mit der Rolle identifizieren, dass z.B. Tränen beim Spielen echt sind. Dies kann sogar hinderlich sein, wenn die eigene Kunst das Publikum erreichen soll, weil dadurch die Emotionen des Publikums vorweggenommen werden, es also keinen Raum mehr für die Emotionen des Publikums gibt.
 
Nun , jeder fühlt sich an einem oder anderen Tag etwas mehr oder weniger gestresst und eben an den stressigeren Tagen stelle ich fest, dass es dann kraftvoller und lauter evtl. auch etwas schneller von mir gespielt wird als an Tagen die sehr entspannt sind.
Natürlich bleibe ich im Rahmen der Vorgaben des Komponisten.
 
Vergleich es mit einem Beziehung/ Akt mit einem Partner. Da ist oft alles was in Richtung Gefühl, Hingabe, Einfühlungsvermögen, Wahrnehmung und Empfindung geht (im Idealfall) immanent. Wenn du mal eine Verbindung hattest die ohne das alles auskommen musste, weißt du vielleicht was da alles fehlt. Das eigentlich wesentliche und essentielle.
Imho solltest du dich mit den Stücken / beim Klavierspielen in Summe häufiger hin zu "juchu ich bin verliebt", "woah, Gänsehaut" , "da geht mir einer ab" dich orientieren. Alles andere ist oftmals keine "gute Beziehung", nur Zweck, oder einfach nur 0815.
Und zu fast jedem Stück findet man einen Zugang / "Schlüssel zum Glück".

Aber es gilt auch: Wenn ihr´s nicht fühlt, ihr werdet´s nicht erjagen.

Btw. Lang, Lang ist auch nur Profi- Jäger und ewiger Jagd Grund.
 
Es gibt diese zwei Pianistentypen. Die einen haben einen mehr improvisierenden Ansatz, der die Tagesform und -stimmung mit einfließen lässt. Die anderen haben einen mehr oder weniger ausgeprägten reproduktiven Ansatz. ABM konnte seine Stücke bis auf die 10tel Sekunde Dauer exakt reproduzieren. Trotz der außergewöhnlichen und perfektionierten Art des Spiels von ABM habe ich nie nachvollziehen können, wozu das eigentlich gut sein soll. Eine exakt identische Reproduktion bekomme ich auch von einer CD. Jedes mal genauso wie vorher.
 

Nun , jeder fühlt sich an einem oder anderen Tag etwas mehr oder weniger gestresst und eben an den stressigeren Tagen stelle ich fest, dass es dann kraftvoller und lauter evtl. auch etwas schneller von mir gespielt wird als an Tagen die sehr entspannt sind.
Ja, das ist bei mir ähnlich umstände- und tagesformbedingt. Wenn ich viel um die Ohren habe, fällt mir allerdings auch leider die Konzentration manchmal entsprechend schwer - "mit Gefühl" zu spielen erfordert schon auch, den Kopf dafür überhaupt frei zu haben, sich auf das betreffende Stück einlassen zu können, statt mehr oder weniger 'automatisch' zu spielen ...
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Anstatt mich gleich so anzufahren, hättest du mir ja auch einfach mal Beispiele nennen oder Videos zeigen können, wo man diese Unterschiede z.B. gut erkennen kann. So ist dein Beitrag leider keine große Hilfe und den hättest du dir auch sparen können.
Da hätte ich einen Vorschlag; es ist aber Arbeit, sich das wirklich mal anzuhören und sich klarzumachen

Schubert hat ein sehr schönes Lied mit Klavierbegleitung geschrieben, das berühmte "Ständchen" "Leise flehen meine Lieder". Liszt hat es dann später zum reinen Klavierstück transkribiert, das ebenfalls sehr schön ist und in diesem Stück kannst Du gigantische Unterschiede hören.

Mein Vorschlag:

Höre dir erstmal das Lied selber an. Den Text findest Du hier: https://www.a2schools.org/cms/lib/MI01907933/Centricity/domain/2403/deutsch-pdf/LIEDER.pdf

Und eine wundervolle Aufnahme des auch bald 60 Jahre nach seinem Tod unvergessenen Fritz Wunderlich:


Verstehe worum es im Lied geht, höre es 2 oder 3 Mal, so lang ist es ja nicht, achte darauf, was der Sänger mit der Stimme macht, um die Emotion des schmachtenden Mannes, der auf seine Geliebte wartet, zu übertragen.

Und dann höre dir die Klavierversion an.

Als erstes höre dir mal die Einspielung von Paul Barton an.
Paul Barton ist ein YouTuber und spielt sicher nicht auf Konzertniveau (soll heißen: ich wäre froh, seinen Fähigkeiten auch nur nahe zu kommen, aber ich würde nie Geld dafür bezahlen, ihn spielen zu hören). Hier kannst du auch die Noten mitlesen und von allen Einspielungen, die man finden kann spielt er am nächsten an der reinen Notation. Deine Klavierlehrerin würde dieses Spiel wahrscheinlich loben.


Barton

Und jetzt kommen die Profis, höre dir folgende, sehr unterschiedliche Einspielungen an:


Valentina Lisitsa


Bhatia Buniatishvili


Vladimir Horowitz


Du musst sie nicht alle komplett durchhören, wenn du nicht willst. Aber höre wenigstens mal 2 Minuten weit in alle drei rein. Dann höre dir die drei Profis mal parallel zu Barton an, stell also das Bartonvideo und das Video eines der drei Profis auf die gleiche Stelle und höre nur zwei, drei Phrasen von Barton, dann vom Profi. Mach das vor allem mit allen drei Profis.

Achte beispielsweise mal darauf, was sie bei dem A-Dur-Akkord in Takt 9 machen (im Barton-Video bei 0:35, Horowitz 0:20, Buniatishvili 0:28, Lisitza 0:40)

Was ich persönlich höre:

Barton hat spielt für meinen Geschmack viel zu mechanisch; viel zu präzise das, was notiert ist. Langweilig. Wenig Emotion, mit dem Lied Schuberts kann ich das gehörte überhaupt nicht verbinden.

Lisitsa spielt deutlich feiner dosiert als Barton - klar, sie ist technisch um Welten besser. Aber sie spielt eher zurückhaltend. Nicht übermäßig romantisierend, keine extreme Leidenschaft - kann man sich gut anhören, wenn man aber den Gesang von Wunderlich im Ohr hat, fehlt da was.

Buniatishvilis Version gefällt mir sehr gut, beim ersten Hören hätte ich sogar gesagt am Besten. Sie spielt extrem emotional, hat eine ausgeprägtere Agogik und größere Dynamikunterschiede als Lisitsa. Ihr Spiel ist sehr romantisch, verträumt, man könnte fast kitschig sagen, aber das passt doch eigentlich, oder? Ich geb's zu, manchmal mag ich halt Kitsch und Buniatishvili schafft es hier, den ganzen Kitsch und Schmelz, der in einem Konzertflügel steckt rauszukitzeln. Buniatishvili spielt einfach schöner als Barton (und auch als Lisitsa), oder? Was sollte darüber schon noch kommen?

Und dann haut Horowitz rein. Er spielt schneller als die anderen, lauter, stellt die Melodie fast ein bisschen brutal in den Vordergrund. Ich hab die Aufzeichnungen in der oben verlinkten Reihenfolge selber gehört und war - als Horowitz anfing - fast schon ein bisschen erschrocken, wie forsch er nach der verträumten Buniatishvili herangeht. Geht ja gar nicht!

Aber achte auf die Betonungen die er spielt, lies mal parallel zu seinem Spiel den Text des Liedes mit und du erkennst, wie perfekt dieses Solospiel von H. mit dem Lied zusammengeht. So wie H. spielt, kann man es singen, genau mit dem Text, den Schubert gewählt hatte. Es passt - stimmlich wie inhaltlich. Das gerade gehörte und geschätzte Spiel Buniatishvilis bricht auf einmal teilweise zusammen. Wenn ich zu ihrem Spiel über die ersten zwei Zeilen "Leise flehen meine Lieder Durch die Nacht zu dir" hätte singen müssen, hätte ich Atemnot bekommen.

Dennoch ist ihr Spiel emotionsvoll, nur halt komplett anders, sie versucht das Klavier selber singen zu lassen, Horowitz versucht das Klavier einen singenden Menschen imitieren zu lassen (Ergibt das irgendeinen Sinn? Ich weiß einfach nicht, wie ich es besser formulieren soll). Beides ist richtig. Ich hoffe, du hörst gerade bei diesen beiden Versionen, wie unterschiedlich man gefühlvoll spielen kann. Und glaube mir: Beide haben ziemlich sicher jede Ton, der in den Noten spielt zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Lautstärke gedrückt.

Wenn deine Klavierlehrerin verlangt, dass du präzise spielst, was da steht, dürftest Du aber beides nicht machen, wahrscheinlich wäre selbst Barton dann schon raus, denn auch der spielt ja nicht komplett stupide vom Blatt was geschrieben ist.


Verdammt, das ist nun länger geworden als geplant, aber was soll man machen; Freitag Abend, auf Dienstreise Hotelzimmer, nix zu tun, da komm ich dann auch schonmal ins Schwafeln :)
 
Ein wesentlicher Unterschied ist auch, dass Paul Barton im Vergleich zu den anderen auf einem sehr durchschnittlichen Flügel spielt, und die Aufnahmequalität nur mäßig ist.
 
Ein ganz wesentlicher Unterschied ist auch, dass Barton nicht die Liszt-Transkription spielt, sondern eine sehr viel simplere Bearbeitung. Und das gar nicht mal so gut...
 
Liebe/r (?) @Kref,
Es macht wirklich Spass die Aufnahmen mit deinen Kommentaren dazu zu hören! Und sich dazu Gedanken zu machen! Vielen Dank, dass du dir so viel Arbeit gemacht hast!
 

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