Lowell Liebermann: Gargoyles

Stilblüte

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Hier kommen "Wasserspeier" in vier Sätzen:



Lowell Liebermann: Gargoyles, Anne Riegler - YouTube

Gestern aufgenommen! Das Stück war ein gutes Stück Arbeit, bei dem jeder Satz so seine Herausforderungen hat (abgesehen vom zweiten, der nicht sehr schwer ist). Glücklicherweise ist es vor allem technisch eine Herausforderung und nicht so sehr für den Kopf, da es kaum Polyphonie gibt. Rachmaninovs Préludes sind da beispielsweise strukturell (und auch harmonisch) viel komplizierter in den Kopf zu kriegen. Hier hat man dafür viele ungewöhnliche Stellen, was den Klaviersatz betrifft, einiges davon hatte ich in dieser Form noch nie in den Fingern. Auch wenn es nicht so scheinen mag, ist keines der Stücke atonal, auch der letzte Satz nicht.

Ich finde die Komposition richtig gut, mich erinnert sie teilweise an "Im Freien" von Bartók und an "Gaspard de la nuit" von Ravel. Die Finalsätze sind jeweils ähnlich perkussiv, stürmisch und bisweilen diabolisch, wenn auch ganz verschieden gebaut.
Ich hoffe und erwarte, dass man Liebermann mehr und mehr kennenlernen wird. Sowas komponiert man nicht aus Versehen, das verlangt schon großes Können.

Das Stück wird meine Abschlussprüfung am 17. Februar beenden. Nach dem letzten Satz braucht man tatsächlich auch ein Momentchen Zeit, um die Arme wieder zu entspannen, hier ist echtes Durchhaltevermögen gefragt. Aber man kann bestens daran üben, nur das absolute Mindestmaß an (An-)Spannung, Kraft, Bewegung und Lautstärke (!) anzuwenden, sonst kommt man nicht mal bis Seite zwei... Auch mal wieder sehr lehrreich für mich! Tatsächlich war ich mir zwischendurch nicht sicher, ob ich diesen Satz bewältigen könnte. Aber glücklicherweise wird er mit zunehmender Übezeit tatsächlich leichter, was man bei weitem nicht von aller Musik behaupten kann.
 
Oh wow. Habe mir gerade das gesamte Video angesehen/-gehört, nach der Beschreibung war ich echt neugierig. Zuerst mal freue ich mich, wie schon im Fall von Dutilleux, wieder einen tollen, mir bis dato unbekannten Komponisten kennengelernt zu haben. Und ich hätte nicht gedacht, dass das zeitgenössische Musik ist, was wohl mehr über mich aussagt als über die Musik :-D

Das Stück gefällt mir ebenfalls sehr, die beiden schnellen Sätze sind ja wahnsinnig cool. Bei den beiden mittleren (das zweite werde ich mir mal näher anschauen, toll sind beide) dachte ich, wie wunderschön zart Du sie spielst, finde es immer wahnsinnig schwer, so "hauchig" zu spielen. Bei den anderen beiden kann ich mir nur so ungefähr vorstellen, wieviel Arbeit das wohl verlangt hat, da ich sowas niemals spielen (können) werde. Echt meinen Respekt. Und als Abschluss für einen Prüfung finde ich das Stück genial. Man hört es sicher nicht oft, oder?
 
Tolle Musik, toll gespielt. :011:
Viel Glück für deine Abschlussprüfung.
Ist die Heizung voll aufgedreht, oder warum sitzt du wie im Hochsommer da? :-)
LG,
NaMu
 
Die Musik ist nichts, was ich unbedingt würde spielen wollen. Aber was du daraus machst, wirkt sehr souverän und ist in jeder Hinsicht überzeugend! :pokal::super::love:
 
Sehr gute Musik, sehr gut gespielt! Den Liebermann kannte ich noch gar nicht, sehr geil, danke!
Wenn es mir erlaubt ist, vorzuschlagen: Etwas mehr Attacke ab ca. 9:53, speziell die Steigerung bis zu 10:10, und gegen Schluss so ein gerade-noch-guter-Geschmack fff :003:
 
Mir gefällt Deine Interpretation sehr gut, man merkt, dass Dir der "Stil" liegt! Ich kannte den Komponisten noch nicht, den werde ich mir auf jeden Fall mal genauer zu Gemüte führen.

Erinnert mich in Teilen an die zu Unrecht unbekannte "Sonatine in Es" von Heinrich Sutermeister.
 
Toll gespielt und interessantes Stück, ich hätte die Entstehung der Komposition allerdings mindestens 50 Jahre früher eingeschätzt.
Du schaust am Ende etwas so aus, als hättest Du gerade die Zielinie eines 5000m Laufs überquert :-).
Bist Du Deine eigene Kamerafrau? Falls die Kamera das kann, wäre es gut Weißabgleich (Helligkeit/Fokus) vor der Aufnahme manuell fix einzustellen.
 
Ich mag die Gargoyles, bin sowieso ein großer Fan von ihm.... vor einigen Jahren habe ich mal sein 1. Nocturno im Konzert gespielt, aber an die gargoyles traue ich mich nicht ran.... aber wenigstens meine ich mich zu erinnern Stilblüte den Tipp gegeben zu haben :012:
 
Nein, leider nicht :005: Den Komponisten kannte ich schon vorher von der Mannes School, und das Stück habe ich mal live im Konzert gehört. Aber in der Tat hast du mir immer wieder von Liebermann vorgeschwärmt!
 
Du schaust am Ende etwas so aus, als hättest Du gerade die Zielinie eines 5000m Laufs überquert :-).
Bist Du Deine eigene Kamerafrau? Falls die Kamera das kann, wäre es gut Weißabgleich (Helligkeit/Fokus) vor der Aufnahme manuell fix einzustellen.
Tatsächlich ist der letzte Satz körperlich wirklich richtig anstrengend. Ich vermute, diese Anstrengung wird mit der Zeit und Gewöhnung noch etwas abnehmen, aber manche Stücke bleiben einfach immer anstrengend, ganz egal, wie gut man ist oder wie lange sie übt.
Was hier anstrengend ist, sind v.a. zwei Dinge:
1. Mit wenigen Ausnahmen durchgehend Doppelgriffe, Akkorde und Oktaven in der rechten Hand, d.h. die Hand ist fast dauerhaft offen und in Spannung. Je kleiner die Hände, desto anstrengender wird das, bei mir geht's noch.
2. Kaum Pausen - es läuft von vorne bis hinten pulsierend durch.
Dies in Kombination mit den teilweise hohen Lautstärken ist einfach anstrengend.

Kamerafrau bin ich, ja, habe mit meinem Tablet gefilmt. Ich weiß nicht, ob man da irgendetwas einstellen kann, könnte ich mal versuchen. Allerdings weiß ich nicht, wie ich da genau vorgehen sollte, kannst du mir einen Tipp geben?
 

dafür war das mindestens...habe ich wohl zu vorsichtig geschätzt
Bei der Aufnahme gab es Lichtquellen mit unterschiedlicher Farbtemperatur (Leuchtstoffröhren und Licht durchs Fenster?). Das tablet kann sich nicht entscheiden, ob es sich auf das Kunstlicht oder das Licht durch die Fenster einstellen soll, daher wechseln die Farben so komisch. Falls die Aufnahmeapp einen "Expertenmodus" hat (bei meinem Handy muß ich auf "Pro" tippen), kannst Du den Weißabgleich (white balance) fest einstellen, Du siehst dann eh, wie sich das Bild verändert. Ob es nun etwas rötlicher oder bläulicher wird ist eigentlich nicht soo wichtig. Entsprechend kann man auch festlegen, wo es scharf ist und wie hell die Aufnahme ist. Das Handy stellt aber sowieso fast alles scharf und die Helligkeit passt auch.
 
Eines meiner liebsten Werke ist ja das 1. Klavierkonzert, es gibt eine Aufnahme mit Stephen Hough bei Hyperion. So lernte ich LL auch kennen. Bei Youtube gibt es einen Verrückten, der den dritten Satz eingestellt hat....

 
Ich finde die Komposition richtig gut, mich erinnert sie teilweise an "Im Freien" von Bartók und an "Gaspard de la nuit" von Ravel.
Ich höre eher den Bartók der Suite op. 14, da seine Werke der 1920er-Jahre noch mehr scharfe Sekundreibungen in Serie enthalten und die tonalen Bindungen noch lockerer werden. Die harmonischen Schärfen und Spannungen in Ravels Musik werden durch Liebermann auch Jahrzehnte später keineswegs übertroffen. Stilistisch würde ich dieses Opus eher bei amerikanischen Komponisten-Kollegen des mittleren 20. Jahrhunderts wie Roy Harris oder Samuel Barber lokalisieren, obwohl man Liebermann seinen sehr ansprechenden Personalstil nicht in Abrede stellen wird. Eine sehr gute und sehr wirkungsvolle Satzfolge, die hier ebenso gut und wirkungsvoll interpretiert wird.

Und als Abschluss für einen Prüfung finde ich das Stück genial. Man hört es sicher nicht oft, oder?
In Nordamerika finden sich Liebermanns Stücke viel häufiger als hierzulande in Konzertprogrammen und als Prüfungsbestandteil. Möglicherweise orientiert man sich in Europa bei der Zusammenstellung von Programmen und Repertoirefolgen eher an den progressiveren Komponisten jener Zeit - nicht nur, wenn Musik amerikanischer Komponisten gewählt wird. Das erklärt auch, weshalb der von @Coda erwähnte Dutilleux nicht häufiger aufgeführt wird: entweder orientiert man sich traditioneller und wählt Stücke von Debussy und Ravel oder progressiver und spielt dann Messiaen, Jolivet oder gleich Boulez - bei dieser Unterscheidung landet Dutilleux naturgemäß "zwischen den Stühlen". Für den von @antje2410 erwähnten Heinrich Sutermeister gilt das sinngemäß: entweder II. Wiener Schule und Hindemith oder eben gleich die Generation von Bernd-Alois Zimmermann, Klebe und Stockhausen - da bleiben die in erweiterter oder freier Tonalität komponierenden Fachkollegen der Zwischengeneration zumeist in der zweiten und dritten Reihe hängen und treten entsprechend seltener in Erscheinung. Weitere Überlegungen zu diesem Phänomen könnte man gut in diesem aktuellen Faden anstellen: https://www.clavio.de/threads/die-zweite-und-dritte-reihe.28493/

Wenn es mir erlaubt ist, vorzuschlagen: Etwas mehr Attacke ab ca. 9:53, speziell die Steigerung bis zu 10:10, und gegen Schluss so ein gerade-noch-guter-Geschmack fff :003:
Das für diese Aufnahme genutzte B-Instrument wird im Ernstfall durch einen Steinway D ersetzt, was die Bandbreite an dynamischen Abstufungsmöglichkeiten entscheidend vergrößert. Einen Aspekt, der mich an @Stilblütes Interpretation besonders überzeugt, würde ich eine Form von Spielintelligenz bei der Klanggestaltung nennen: es gelingt ihr, bei Steigerungen und dynamischen Extremen niemals die Grenze zum Plakativen, Flachem oder gar Vulgärem zu überschreiten, was beim Schlusssatz der Gargoyles dringend geboten sein dürfte. Dann wirkt das Stück lärmig und geschmacklos und ich könnte @micks Entscheidung jederzeit nachvollziehen, so etwas wirklich nicht mehr spielen zu wollen. Diese Qualität kam auch schon den Rachmaninov-Einspielungen zugute. @Stilblüte wird im Ernstfall mit Sicherheit die angesprochenen Prozente an dynamischer Gestaltungskraft drauflegen und hat gute Aussichten, in vierzehn Tagen eine sensationelle und grandiose Prüfungsleistung abzuliefern.

Toll gespielt und interessantes Stück, ich hätte die Entstehung der Komposition allerdings mindestens 50 Jahre früher eingeschätzt.
Ich habe als Klavierpartner bei verschiedenen Prüfungen immer wieder die Saxophon-Sonate op. 19 von Paul Creston aufs Pult gelegt bekommen, an die mich das Liebermann-Stück stark erinnert - diese wird im Gegensatz dazu hierzulande recht häufig gespielt und ist tatsächlich mit ihrem Entstehungsjahr 1939 genau fünfzig Jahre älter.

LG von Rheinkultur
 
Klasse! Solche Musik kann man nur gut hören, wenn sie so gespielt wird: Immer durchlässig! Nie fest. Dann wäre die Freude auf allen Seiten schnell vorbei! Chapeau!
 
Hallo Stilblüte,

Respekt! Wie findest du denn, jetzt wo du das Stück selbst erlernt hast, die Live-Aufnahme von Yuja Wang, die in dem Zusammenhang hier mal verlinkt war?

lg marcus
 

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