Kultur und Krieg

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Alter Tastendrücker

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31. Aug. 2018
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Der grauenvolle Krieg in der Ukraine führt zu merkwürdigen Assoziationen und (Neu)-Bewertungen. Nur bei mir?
So sind für mich plötzlich drei der größten russischen Pianisten des XX. Jh. de facto von einem deutschstämmigen Pädagogen (Neuhaus) ausgebildete Ukrainer: Horowitz aus Kiev, Richter aus Shitomir und Gilels aus Odessa. Früher war mir das gleichgültig!

Obwohl ich es sinnfrei finde, russische und sowjetische Komponisten aus der Vor-Putinzeit zu boykottieren und aus den Programmen zu nehmen, bin ich gegen bestimmte Ausprägungen slawischer Larmoyanz und nationaler Erhebung, wie ich sie in vielen Werken Tschaikowskys (6. Symphonie) und anderer (emp-)finde deutlich unduldsamer geworden.
Überhaupt fühle ich, dass das aktuelle unerträgliche Verhalten der russischen Regierung nicht gänzlich abgekoppelt von Strömungen in der russischen Kultur ist.
So wie auch die Nazi-Barbarei durchaus auf Gedankengut deutscher Hochkultur zurückgreifen konnte.
Stehe ich mit diesen Empfindungen allein?
 
bin ich gegen bestimmte Ausprägungen slawischer Larmoyanz und nationaler Erhebung, wie ich sie in vielen Werken Tschaikowskys (6. Symphonie) und anderer (emp-)finde deutlich unduldsamer geworden.
wo in der 6. Sinfonie (pathetique h-Moll) entdeckst du "nationale Erhebung"? (oder meinst du den Missbrauch der 5. Sinfonie, mit deren Finale gerne Sputnik-Starts untermalt wurden?)
So wie auch die Nazi-Barbarei durchaus auf Gedankengut deutscher Hochkultur zurückgreifen konnte.
Was soll diese Bemerkung ausdrücken? Dass die "deutsche Hochkultur" quasi vereinzelte Keimzellen der Nazi-Barbarei enthielt? (welche sollen das sein?) Oder dass der Missbrauch mancher Musik (Liszt, Les Preludes) einem diese verleidet?
 
Vaterlandsliebe war immer schon verbunden mit modischen Erscheinungen. Das uns Menschen so wichtige Gemeinschaftsgefühl ist häufig davon bedroht, durch Nationalismus vereinnahmt zu werden. Seit der Zeit der Massenvernichtungswaffen und der Katastrophen u.a. von Auschwitz und Srebrenica sind Kriegsbegeisterung und Nationalismus in höchstem Maße fragwürdig geworden. Dass Tschaikowsky oder Beethoven nationalistische und/oder kriegverherrlichende Werke geschrieben haben, mag ich ihnen aber nicht übelnehmen. Es ist immer noch zu vermuten, dass die slawische Vaterlandsliebe auf der Identifikation mit unverdächtigen Gegebenheiten (z.B. der Liebe zur Natur Russlands) basiert und dass Beethovens Kriegsbegeisterung in der Idee von Freiheit begründet ist.

Wer allerdings heutzutage noch die Nation auch in der Kunst über alles andere stellt, handelt unreflektiert, ungebildet und armselig.
 
Was soll diese Bemerkung ausdrücken? Dass die "deutsche Hochkultur" quasi vereinzelte Keimzellen der Nazi-Barbarei enthielt? (welche sollen das sein?) Oder dass der Missbrauch mancher Musik (Liszt, Les Preludes) einem diese verleidet?
Vermutlich ist z.B. gemeint, dass der Nationalsozialismus direkt auf kulturelle Traditionen wie z.B. das zunächst unpolitische Gemeinschaftssingen (Jugendmusikbewegung, Fritz Jöde, ...) zurückgreifen und daran anknüpfen konnte.
 
Dass die "deutsche Hochkultur" quasi vereinzelte Keimzellen der Nazi-Barbarei enthielt?
Um eine solche Frage näher zu erläutern, wäre erstmal zu fragen, was unter "deutscher Hochkultur" verstanden wird.
Verknüpft man das "deutsch" mit einem einheitlich sich verstehenden Deutschland, so gab es das frühestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts (1848 und wo weiter).
Betrachtet man dann die Gründung des deutschen Reiches 1871, dann hat man da einen Aspekt der Kaiserzeit mit drin, der wohl auf die preußische Dominanz dieser Jahre zurückgeht ... Militarismus ... und ja, auf das, was davon nach 1918 noch übrig war, konnten auch die Nazis wunderbar aufbauen und es st auch nicht zu leugnen, dass Teile der Rassenlehre der Nazis vorher recht lange international als Wissenschaft betrachtet wurden. Denn diese Lehre entspringt nunmal eigentlich dem Sklavenhaltertum und der durch den christlich geprägten Humanismus notwendig gewordenen Legitimation einer Sonderbehandlung der einen gegenüber einer anderen "Rasse". Das ist der Samenkorn, aus dem "Herrenrasse" und "Untermensch" entspringen.

Geht man weiter in die Geschichte zurück, landet man in einer Zeit, in der von etwas "deutschem" nicht wirklich die Rede sein kann ... natürlich hat man sich zwecks der eigenen Machlegitimation als deutscher Fürst gerne auf das "hl. röm. Reich" bezogen, den Zusatz "deutscher Nation" bekam allerdings auch dieses Gebilde erst recht spät (denn dazu muss ja erstmal der Gedanke der Nation irgendwie politische Bedeutsamkeit erlangen).
Mit der Eigenständigkeit der deutschen Fürstentümer und Kleinkönigreiche hatte auch Bismarck vor 1871 noch arg zu kämpfen.

Also zunächst die Frage, von welcher Zeitperiode man spricht, wenn man "deutsche Hochkultur" sagt.

Nichtsdestotrotz haben die Nazis selbst ihr Reich das "dritte Reich" genannt ... die beiden Vorgänger dürften klar sein ... es sind das Frankenreich Karls des Großen, welches wir heute verklärend als "heiliges römisches Reich deutscher Nation" kennen, und das deutsche Kaiserreich ab 1871.
Ausserdem war den Nazis definitiv ein Bezug zur "germanischen Geschichte" wichtig ... und genau diesen Bezug hatte man schon vor 1848 genutzt, um eine Einheit aller Deutschen zu proklamieren.

Ich fürchte, wenn man die Nazis da komplett raus haben möchte, müsste man die "deutsche Hochkultur" in einer sehr frühen Periode suchen ... oder man wird sich wohl oder übel in Diskussionen um den Missbrauch von Kultur verstricken MÜSSEN.

Bei aller Ablehnung gegenüber Nationalismus sollte man auch nicht vergessen, dass das im 19. Jahrhundert eine revolutionäre Ideologie war ... und zwar nicht nur in Deutschland. Nicht wenige Nationalisten dieser zeit wurden als Staatsfeinde verurteilt und hingerichtet.
 
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Als ich damals von den ungeheuren Zerstörungen in und rund um Aleppo gehört habe, hat mich das sehr berührt, denn ich lese gerne Rafik Schami. Und seine Geschichten drehen sich auch um diese Stadt, die er in den schillerndsten Farben beschrieb.

Jede Kultur wird geprägt, durch Krieg, Frieden, soziale Strömungen, Entwicklungen, und so weiter und so fort. Kultur steht nie still. Sie ist immer ein Spiegel ihrer Zeit, ein Spiegel der Menschen dieser Zeit.
Deswegen werde ich weiterhin natürlich auch russische/ukrainische Musik spielen, und die vielen Bücher russischer Autoren lesen.

Im zweiten Weltkrieg wurde unter anderem Beethovens Musik mißbraucht, da könnte man auch sagen: darf man nicht hören, denn Sternchensternchen?? (der Adddolf) mochte ihn.

(Nicht nur) Musik wurde leider auch immer mißbraucht, und man sollte schon noch unterscheiden, ob das mit dem Einverständnis des Künstlers geschah oder nicht (weil er nicht mehr am Leben war oder kein Mitspracherecht hatte).
 
Betrachtet man dann die Gründung des deutschen Reiches 1871, dann hat man da einen Aspekt der Kaiserzeit mit drin, der wohl auf die preußische Dominanz dieser Jahre zurückgeht ... Militarismus ... und ja, auf das, was davon nach 1918 noch übrig war, konnten auch die Nazis wunderbar aufbauen und es st auch nicht zu leugnen, dass Teile der Rassenlehre der Nazis vorher recht lange international als Wissenschaft betrachtet wurden.
@DerOlf sind Militarismus und "Rassenkunde" Erfindungen der "deutschen Hochkultur"? du bist doch historisch gebildet und kennst das grundlegende Opus Essai sur l’inégalité des races humaines sicherlich, sodass ich das samt seinem Ursprung und den Folgen nicht auseinanderdröseln muss.
 
Noch etwas: Einem Künstler aus einem rein subjektiven Gefühl "slawische Larmoyanz und nationale Erhebung" vorzuwerfen finde ich ehrlich gesagt sportlich.
Er war nun mal Russe, und seiner "Epoche", der Romantik - Nomen est Omen - verhaftet. Und durch was zeichnet sich die Romantik unter anderem aus? Ich kopiere Wiki:
"Die wichtigsten Eigenschaften der romantischen Musik sind die Betonung des gefühlvollen Ausdrucks, die Auflösung der klassischen Formen, die Erweiterung und schließlich Überschreitung der traditionellen Harmonik ...."
Das also, was Du also als Larmoyanz und Erhebung deutest...
 
Ehrlich gesagt ist mir das heute auch gleichgültig. Vielleicht bin ich naiv, aber diese ganze politisch korrekte Sprache und Denkweise geht mir gehörig auf die Nerven. Gute Musik ist und bleibt gute Musik, egal welcher Nationalität der Künstler ist oder sogar welcher politischen Gesinnung er war.

Und Nationalstolz ist weder anormal noch verwerflich, höchstens nervig. Schau nur mal die Italiener oder unsere "Grande Nation" an, die tiefen nur davon. Nur führen die halt keinen Krieg.
 
bin ich gegen bestimmte Ausprägungen slawischer Larmoyanz und nationaler Erhebung, wie ich sie in vielen Werken Tschaikowskys (6. Symphonie) und anderer (emp-)finde deutlich unduldsamer geworden.
wo in der 6. Sinfonie (pathetique h-Moll) entdeckst du "nationale Erhebung"? (oder meinst du den Missbrauch der 5. Sinfonie, mit deren Finale gerne Sputnik-Starts untermalt wurden?)
@Alter Tastendrücker wie ist das mit der 6. Sinfonie?
 
So sind für mich plötzlich drei der größten russischen Pianisten des XX. Jh. de facto von einem deutschstämmigen Pädagogen (Neuhaus) ausgebildete Ukrainer: Horowitz aus Kiev, Richter aus Shitomir und Gilels aus Odessa.
Die vier berühmtesten sog. Volkskünstler der Sowjetunion kamen fast alle aus der Ukraine. Neben Richter und Gilels war das der Violinvirtuose David Oistrach aus Odessa. Lediglich der Cellist Rostropovich stammt nicht aus der Ukraine (aus Baku, Aserbaidschan). Übrigens stammt auch die Bernstein-Familie aus der Ukraine, aus Riwne (West-Ukraine).
 

Wie andernthreads schon geschrieben, hab ich mir mal mehrmals die ukrainische Nationalhymne reingezogen (d.h. gehört, gelesen und, ich gebs zu, auch synthetisch umgesetzt, so als Alternative zum Klavierüben), in der Fassung unter dem Wikipedia-Lemma "Schtsche ne wmerla Ukrajina" und sie gefiel mir von mal zu mal besser. Mich treibt ehrlich gesagt die Frage um, ob mir die Hymne auch gefallen würde, hätte Putin keinen Überfall auf dieses Land befohlen.

Aber irgendwie hab ich da auch nen ziemlichen Moralischen dabei: Da sterben Ukrainer (und russische Soldaten) auf dem Schlachtfeld, wo einst Städte und Vororte waren, und ich bemächtige mich ihres Kulturguts. Vermutlich - neutral betrachtet - aus recht egoistischen Befindlichkeiten heraus, die den eigentlichen Opfern faktisch nichts nützt. Wie ja auch Pflegekräfte uns sagen, dass wir uns unseren Balkonapplaus sonstwohin schieben können, mehr Geld kriegen sie davon nicht. Schlechtes Gewissen, Mitleid, all das hilft ihnen nicht, sondern damit werten wir uns nur selber moralisch auf, sammeln Karma.

Man kann ein Kulturgut gar nicht absolut losgelöst betrachten von der Gruppe von Menschen, die sich damit besonders stark identifizieren - selbst dann, wenn das grundlos geschieht, rein auf Sympathie beruht. Da geht es gar nicht so sehr um Gefallen an der Musik, sondern um Identifikation mit den Menschen, die damit assoziiert sind. Das ist unserem sozialen Wesen geschuldet. Wenn hier im Board über schlechte Eigenkompositionen hergezogen wird, liegt das zu einem Gutteil am Mangel künstlerischer Fertigkeiten. Aber der Mangel an kultureller Patina des Werks spielt auch mit rein, weshalb auch die beste Eigenkomposition gar nicht besser sein kann als die Werke der Lieblingskomponisten derer, deren Meinung man einholt.

Wäre ich heute Schüler, wenig selbstbewusst und ein/e Klassenkamerad/-in würde besonders Eindruck auf mich machen, und der/diejenige hört irgend einen Gangster-Rapper am liebsten, würde meine Sympathie mit oder Antipathie gegen ihn/sie sicher auch auf meine Haltung zu Rap oder diesen bestimmten Künstler dieses Genres abfärben.

Wer das anzweifelt, den frage ich nur: Angenommen, ich sagte, dass ich auf die russische Nationalhymne abführe (Abführen :-D, eine Hymne als Abführmittel), wie viel Gegenwind würde mir hier entgegenwehen?

Würde mich gar nicht trauen, das kundzutun. Wer mehr Selbstbewusstsein hat - ja, ich denke, Selbstbewusstsein gibt den Ausschlag - der kann Kulturgüter losgelöster von diesem Hintergrund als Kunst betrachten. Gut, Nationalhymnen nicht unbedingt, welchen Landes sie auch seien.
 
Keine Antwort auf die vorangegangenen Antworten in diesem Thread, aber dennoch vielleicht passend in diesem Faden. Als ich gestern den Wikipediaartikel über Béla Bartók gelesen habe, stieß ich auf den folgenden schönen Absatz:

Bartók, wie auch viele andere Künstler in ganz Europa, war hinsichtlich der Musik auf der Suche nach einem nationalen Stil. Dieser sollte aus dem Alten, was es noch zu entdecken galt, schöpfen und gleichermaßen etwas Neues schaffen. Während der junge Bartók um 1900 „Nieder mit den Habsburgern!“ auf seine Briefe schrieb, demonstrativ ungarisch gekleidet in der deutschfreundlichen Budapester Musikakademie erschien und mit seinem Schaffen zeitlebens „der ungarischen Nation, der ungarischen Heimat dienen“ wollte (so in einem Brief von 1903),[4] war ihm später an bloßer „Ungar-Tümelei“ nicht mehr gelegen. Vor allem durch seine intensiv betriebenen musik-ethnologischen Forschungen vor allem in Osteuropa, aber auch in der Türkei und nordafrikanischen Ländern, erkannte er, wie wenig regionale Kulturen auf Nationalität zu beschränken sind und in welcher gegenseitigen Einflussnahme sie schon immer standen. In einem Brief an seinen rumänischen Freund Octavian Beu aus dem Jahr 1931 heißt es: „Meine eigentliche Idee […] ist die Verbrüderung der Völker […] Dieser Idee versuche ich […] in meiner Musik zu dienen“.[5]

P.S. Ich hab die Quellen nun nicht gecheckt.
 
@DerOlf sind Militarismus und "Rassenkunde" Erfindungen der "deutschen Hochkultur"?
Ich wüsste nicht, dass ich irgendwo auf die Erfindung durch eine andere, als eine "Sklavenhalterkultur" bezug nahm ... und dieser Begriff umfasst einen ganzen Haufen Kulturen und Nationen, ganze Jahrtausende und eigentlich jeden Landstrich auf der Welt.

Das, was ich am ehesten als "deutsche Hochkultur" begreifen kann, ist das Völkergemisch in Zentraleuropa, welches z.B. das Fahrrad erfand (bzw. die Idee in Form der Draisine ... eher eine Laufhilfe, als ein Fahrrad, aber mit den heutigen Laufrädern für Kinder nahezu identisch).
Ein im grunde ziemlich buntes und spätestens nach dem 30-jährigen Krieg durch Migration geprägtes Volk (ja, Deutschland IST ein Einwanderungsland ... seit Jahrhunderten ... das ist normal für Länder "mittendrin"), welches großartige Literatur, Kunst und Musik hervorgebracht hat und in der Wissenschaft großartiges leistete (auch und gerade im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jhdt.).

Allerdings hat diese Kultur auch Züge, die ich durchaus abschreckend finde.
Die Schattenseite, die wohl zu jeder Kultur auch irgendwie dazugehört.
 
Zuletzt bearbeitet:
Irgendwann fängt Musik an, als Kulturausdruck politisch zu werden, politisch "aufgeladen" zu sein.

Für mich ist die Scheide 1789. Französische Revolution, ein Gewaltakt, und der Beginn des Siegeszugs des europäischen Bürgertums mit seinem Bemühen um Freiheit und Repräsentation. Beethoven: "Freiheit!".

Dann die Usurpation dieser Energie durch Nationalismus, Kolonialismus, Imperialismus, Faschismus usw. Irgendwann sind wir im Laufe dieser Entwicklungen mitten in der Romantik und ihren unterschiedlichen Nationalmusiken.

Es ist kein Zufall, dass die Musik der Deutschen Einheit Beethovens Neunte war. Ein Versuch, an die naiv und unschuldig daherkommende bürgerliche Freiheitsidee anzuknüpfen, bevor sie national und imperialistisch wurde. Gerade wir als Deutsche müssen halt ziemlich weit zurückgehen. Aber nicht zu weit! Mozart oder Bach hätten das notwendige populäre Pathos nicht gebracht. Zu religiös, zu höfisch.

Früher habe ich gesagt, mir ist Mozart lieber, weil man mit seiner Musik nicht in die Schlacht ziehen kann. Da war mir der fundamentale soziale und kulturelle Wandel in der Zeit zwischen Mozart und Beethoven noch nicht klar. Wobei, Mozart war bereits der Prototyp des freischaffenden bürgerlichen Komponisten, und sein Leben reibte sich deutlich mehr an der höfischen Gesellschaft, als es seine Musik uns verrät. Zugleich trägt sie einen Keim, den Beethoven zu voller Blüte bringt.

Dass ein SS-Scherge am Abend eines Tages, an dem er im Vernichtungslager Menschheitsverbrechen begangen hat, sich Beethoven auflegt und daselbe hört wie ich, daselbe empfindet wie ich? Eine furchtbare, unmögliche Vorstellung!
 
Dass ein SS-Scherge am Abend eines Tages, an dem er im Vernichtungslager Menschheitsverbrechen begangen hat, sich Beethoven auflegt und daselbe hört wie ich, daselbe empfindet wie ich? Eine furchtbare, unmögliche Vorstellung!
Aber leider wohl unvermeidbar ... schlechter Charakter schließt ja einen guten Geschmack nicht aus ... bzw. wieso sollten böse Menschen nach ihrer Arbeit nicht das gleiche zum entspannen tun, wie du?

Bei Bach wissen wir nicht so recht, wie er politisch eingestellt war ... sicher war er religiöser als die meisten Menschen heute, und sicher hat er über soziale Verhältnisse ganz anders nachgedacht, als wir das heute tun würden.

Aber spielt das überhaupt eine Rolle? Ich meine langfristig.
Was wissen wir über historische Komponisten und deren Verstrickungen in die verschiedenen Meinungsbilder oder die Konflikte der Zeit, also über das, was aktuell z.B. 1769 in der Welt los war, und was sie darüber en detail dachten?
Kaum etwas im Vergleich zu einem zeitgenössischen Künstler unserer Tage, von dem je nach Bekanntheistgrad ja geradezu erwartet wird, zu jedem Aufreger Stellung zu beziehen.

Am ende ist es Musik, die einem entweder gefällt, oder halt nicht.
 
Dass ein SS-Scherge am Abend eines Tages, an dem er im Vernichtungslager Menschheitsverbrechen begangen hat, sich Beethoven auflegt
Das hat Max Frisch in seinem Tagebüchern fassungslos kommentiert: der KZ Scherge, der abends - nach getaner (Tötungs-)Arbeit - mit Kollegen Streichquartette von Mozart und Beethoven spielt und sich als guter deutscher Bildungsbürger geriert!
Darauf gibt es keine angemessene Reaktion mehr! Die Besserung des Menschen durch Kultur (und Religion!?) ist vermutlich sowieso ein frommer Wunsch!
 
@Martin49 @Alter Tastendrücker
bei eisigen Temperaturen hatten SS-Schergen wie auch KZ Schergen einen warmen Mantel getragen - ist es euch nicht unerträglich gewesen, beim Schneefall vor drei/vier Tagen ebenfalls einen warmen Mantel zu tragen?
man könnte noch das Wohlgefallen an Kaffee & Kuchen anführen, auch die leichte Muse wie ich wollt´ ich wär´ ein Huhn (Meistersextett, vormals Comedian Harmonists) - aber nein, es müssen partout Mozartsche Streichquartette aus dem späten 18. Jh. sein.
Wenn Mozarts Quartette diskreditiert sein sollten, weil einige Nazis sie gerne gehört haben, dann sollten auch warme Wintermäntel, Kaffee & Kuchen und vieles andere mehr diskreditiert sein.
 
Ich verstehe das Problem nicht. Zum einen ist die Welt nicht in gut und böse unterteilt. Zum anderen ist die Kultur eben für jeden da. Warum soll ein Massenmörder nicht die feinsinnige Schönheit von Mozart erkennen? Oder hat er dieses Recht verwirkt? Und selbst wenn jemand durch Musik seine Absolution erlangen will oder einen patriotischen Aufruf zum Kampf darin sehen will, dann ist das halt so. Niemandem ist es doch verboten zu empfinden!

Wir lassen uns doch auch nicht unsere Assoziationen oder Interpretationen vorschreiben.
 

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