Ich hab mich in der Schule immer drüber aufgeregt, wie wir Gedichte seziert (sic...) haben. Ob dem Autor wirklich ständig bewusst war, dass er hier ein Homoioteleuton oder einen Neologismus zweiter Klasse eingesetzt hat? Ich glaubte nicht!
Wenn Kunstwerke "seziert" (= untersucht, analysiert, interpretiert, kontextualisiert) werden, geht es selten darum, herauszufinden, was der Künstlerin oder dem Künstler "bewusst" war. Ist ja auch schwierig, es sei denn, wir haben Sekundärquellen (Briefe, Tagebücher, etc.), die das rekonstruieren lassen.
Nein, es geht um das Material, das als Werk vor uns liegt, erst mal unabhängig davon, wann wer es geschaffen hat (manchmal wissen wir das nicht). Die Kontexte für Interessenhorizonte können u.a. sein: das Werk innerhalb der ästhetischen Strukturen, in denen es verortet ist; das Werk soziologisch und historisch innerhalb seiner "Zeit" (Produktion und Rezeption).
Das Zurückführen auf Intentionen und Ideen der Künstlerin/des Künstlers ist ein eigenes, separates und schwieriges Verfahren, wenn es ernstgenommen werden möchte. Gerade in der Musik.
Der Unwille, ein Werk zu analysieren, ist selbstverständlich legitim (solange es nicht das bewusst gewählte Studienfach ist). Gerade, wenn Emotionen, Projektionen und Identifikationen mit dem Kunstgenuß, dem Kunstschaffen und/oder der Kunstaufführung verbunden sind. Aber häufig ist nicht die Analytik an sich mangelbehaftet, sondern das Motiv, sie abzulehnen.
Der Poststrukturalismus übrigens hat vorübergehend (und eher als Methode als unmittelbar gemeint) die Künstlerin/den Künstler komplett eliminiert, "ermordet"*: Wer nachgucken möchte:
Roland Barthes: Der Tode des Autors;
Michel Foucault: Was ist ein Autor?
* Wie Demian bereits erwähnt hat.