Wer sich für ein Genie hält oder tatsächlich eines ist,
wird das Studium wahrlich nicht zwangsläufig brauchen.
Debussy z.B. ist zu seiner Zeit ja sogar aus dem musique conservatoire "ausgetreten"
mit der Begründung: "ich bin doch keine Modulationsmaschine"
Moin, Raskolnikow!
Meines Wissens hat Debussy die Improvisationsklasse nicht verlassen -
das hätte des strenge Règlement des Conservatoire nicht zugelassen.
Debussy wäre relegiert worden - wie es jedem erging, der innerhalb
eines bestimmten Pflichtzeitraums ein bestimmtes Pensum nicht absolviert hatte
(wie es seinem Freund Satie erging).
Die Anekdote besagt: Debussy saß in César Francks Improvisationsklasse
am Instrument (Klavier?, Orgel?) und sollte # und quer herummodulieren.
Wie man sich's bei Debussy vorstellen kann, betrieb er zu lange Zeit eine Art
prä-minimalistisches Spiel mit einem einzigen tonalen (oder modalen?) Zentrum,
worauf Franck ihm enerviert zurief: "Modulieren Sie! Modulieren Sie!".
Und daraufhin soll Debussy hinterher zu einem Kommilitonen gesagt haben:
"César Franck ist eine Modulationsmaschine".
Obwohl er Komposition studiert hat, ist aus Debussy ist ein guter Komponist geworden.
So hat er es zumindest selber dargestellt. Dem Conservatoire war er so zugetan
wie ein Nordkoreaner, der sich vor einer Kim-Il-Sung-Statue verbeugt.
Es gibt Quereinsteiger wie Satie oder Mussorgsky, die wenig oder gar keinen
geregelten Unterricht hatten, Außenseiter wie Ives, Varèse, Cage, Hauer und Scelsi,
über die die akademische Zunft bis heute gern das Näslein rümpft, weil die Genannten
sich dem Règlement nicht unterworfen haben. Die Zunft verzeiht das nicht
(bis sie irgendwann, nach 30, 40 Jahren, anfängt, die Werke der Verfemten
in den Lehrstoff aufzunehmen - auch eine nette Pointe).
Das ist kein Appell, das Kompositionsstudium zu verachten, und auch kein Hohn,
den ich über Kompositionslehrer auszugieße. Objektiv bestehen aber Zunftmauern,
deren Existenz immer fragwürdiger wird.
Beispiel Nr.1: Im Non-Klassik-Milieu ist geradezu selbstverständlich, daß sich
eine musikalische Begabung ohne jede Vorbedingung entfaltet. Sie braucht nichts
als ein Instrument (eventuell noch 'n Verstärker), die eigene Stimme, ein paar Kumpel,
einen Übungsraum und ein paar Kneipen als erstem Auftrittsort.
Den Rest lernt der Betreffende - so er begabt ist - durch die Praxis.
Man stelle sich vor: Blixa Bargeld, der Frontmann der "Einstürzenden Neubauten",
einst Brüllaffe, tourt heute fürs Goethe-Institut durch die Welt.
Beispiel Nr.2: der sichtbare Kenntnismangel bei ausgebildeten Komponisten.
Viele scheinen gar nicht zu wissen, wie das klingt, was sie da schreiben -
schlimmer noch: Es scheint sie gar nicht zu interessieren. Sie verlangen
Triller für ein Blasinstrument, die unausführbar sind, notieren Flageolett-Töne,
die es nicht gibt, instrumentieren dergestalt, daß man einen Teil der Musiker
zwar hingebungsvoll spielen sieht, aber nicht hört. Dieser Komponisten
sollte sich dann bitte das hier kürzlich entdeckte 'Goehte-Institut' annehmen.
Gruß, Gomez
.