Hallo Marlene,
meine Vorredner haben ja schon fleißig geantwortet und vieles davon ist richtig, trotzdem gehe ich auch noch einmal auf deine Fragen ein.
„Wahrlich: Die Kraftakte, die dieses Instrument seit seiner Erfindung durchzustehen hatte, sind nicht bloß zahllos, sie sind endlos. Lange brauchte die Ingenieurskunst, um fürs Pianoforte die endgültige Form zu finden und dann – es klang ja eigentlich schon richtig – wurde es noch extra verstimmt, auf dass es künftig wohlige Temperaturen erzeugt. Warum wurde es verstimmt? Was bedeutet das?“
Hier wird, wie bereits erwähnt, von der "gleichschwebenden Temperatur" gesprochen. Ein Ton auf dem Klavier entspricht ja einer bestimmten Frequenz, so z.B. das A in der Mittellage mit 440Hz. In der Entstehungsphase des Klaviers hat sich am Instrument natürlich ständig etwas verändert. Ständig erfand jemand eine verbesserte Technik, etc. Und genauso unterschiedlich war auch die Vorstellung des Klangs, eher der Stimmung. Bis ca. 1850 verwendete man z.B. das Mittelton-System, aber dann setzte sich die Gleichschwebende Temperatur durch, die 'lediglich' besagt, das jede Oktave in 12 aufeinanderfolgende gleiche Halbtonabstände eingeteilt wird. Das kann man sich auch alles komplett durchrechnen, aber sprengt hier wohl den Rahmen, wir wollen ja keine Klavierstimmer ausbilden.
Dann wird über einen Klavierstimmer geschrieben. In dem Bericht steht, dass Elisabeth Leonskaja auf den „Abnickdruck“ achten würde. Dazu habe ich „ergoogelt“, dass das Abnicken eine Bewegung des Flügelhammers ist, die aussieht, als würde der Hammer kurz nicken. Ist der denn nicht unbeweglich befestigt? Was bewirkt dieses Abnicken?
Der Hammerkopf befindet sich in seiner Ruhelage, wenn also niemand auf die Taste drückt, in einem Abstand zur Saite von ca. 45mm. Wenn man die Taste langsam durchdrückt kann man den Weg des Hammers bis an die Saite verfolgen. Kurz bevor der Hammer allerdings die Saite trifft, fällt er wieder zurück. Warum? Wenn man dies nicht einbauen würde, würde der Hammer bei ganz durchgedrückter Taste an der Saite festklemmen und als Dämpfer wirken, es gäbe keinen Ton mehr. Also muss man erreichen, dass der Ton auch noch bleibt, wenn jemand die Taste im durchgedrückten Zustand festhält. Deshalb wird der Hammer ca. 0,5-1,5mm vor der Saite 'abgenickt', also zurückgeholt. Das ist der Abnickpunkt. Diesen kann man in der Taste spüren. Wenn man sie ganz ganz langsam durchdrückt spürt man zum Schluß einen kleinen Widerstand in der Taste, das ist der Zeitpunkt, an dem der Hammer zurückfällt. Dieser Punkt muss ganz sauber eingestellt werden, denn viele Klavierspieler reagieren auf diesen Punkt, sie stellen sich auf diesen Punkt ein und können gerade das pianissimo sehr gut darüber steuern/bewerten/fühlen."
Weiter steht dort, dass der Klavierstimmer für Maurizio Pollini eine Modifikation vorgenommen habe: „...die durch das linke Pedal ausgelöste Tastaturverschiebung auf Wunsch des Künstlers vor dem Konzert änderte und in der Pause wieder rückgängig machte“. Was ist gemeint mit „Tastaturverschiebung“?
Ein Flügel unterscheidet sich in der Mechanik von einem Klavier. Beim Klavier gibt es ein Pedal, mit dem ich einen Filz zwischen Saite und Hammerkopf bewegen kann und damit den Ton abdämpfen kann. So eine 'Billiglösung' gibt es beim anspruchsvolleren Flügel nicht. Hier arbeitet man mit dem einfachsten Prinzip um leisere Töne zu erzeugen, ohne dabei den Klangcharacter zu verändern. Man verschiebt die gesamte Klaviatur, fertig. Aber was passiert hier genau? Die Besaitung besteht aus drei Zonen. 1. dem Bass mit den einseitigen Kupfer umsponnenen Saiten, hier trifft der Hammer immer nur die eine Saite, 2. der Bass mit zwei Kupfer umsponnenen Saiten, hier trifft der Hammer beim Anschlag zwei Saiten. Und 3. der Bereich der reinen Stahlsaiten, hier trifft der Hammer also drei Saiten gleichzeitig. Man stellt nun die Mechanik so ein, dass wenn ich das linke Pedal drücke, die Klaviatur ca. 2mm nach rechts rutscht. Dabei wird es so ausgerichtet, das der Hammer der Stahlsaiten die ganz linke Saite nur noch einen Hauch berührt, also quasi nur noch streichelt. Dadurch werden also nur noch zwei der drei Saiten voll angeschlagen und der Ton klingt gemäßigter. Im Bass schlagen die Hämmer weiterhin alle Saiten an, aber auch hier jetzt natürlich um gut 2mm versetzt. Damit man auch hier den Ton ein wenig mäßigt, werden die Hammerköpfe in diesem Anschlagsbereich anders intoniert, der Filz also weicher gemacht als im Hauptanschlagspunkt. Dadurch wirkt auch der Bass dann gemäßigt.
Es wurde in einem Beitrag das 4. Pedal von Fazioli angesprochen, dazu noch ein Wort. Viele Klavierbauer haben natürlich auch heute noch Ideen, ihre Flügel zu optimieren oder ihm ein besseres Verkaufsargument zu verpassen. So hat Blüthner z.B. die 4. Saite, die nur mitschwingt oder Steingräber hatte auf dem großen Konzertflügel das Hammerröllchen beweglich angebracht. Faziloi will mit dem 4. Pedal das pianissimo verbessern und bringt über das Pedal die Hammerköpfe näher an die Saite. So kann man mit weniger Aufwand und leichtem Anschlag einen sanften Ton erreichen. Ob sich das durchsetzt bleibt abzuwarten.
Gestern habe ich ein Konzert auf einem Bechstein Flügel (vermutlich ein B 212) gehört, ich saß vier Meter entfernt von dem Instrument. Der Ton hat sich himmlisch angehört, auch in den forte-Passagen. Vor einigen Monaten, bei Beethovens 5. Klavierkonzert – ich saß etwa 6 Meter entfernt - hörten sich auf dem Steinway D 274 nur die leisen Passagen schön an, das forte gespielten Stellen waren höllisch erschreckend im Klang. Wie kommen solche Unterschiede zustanden? Klingt ein Bechstein weicher oder liegt es am härteren Anschlag des Pianisten (den Bechstein hat einer Frau gespielt – aber sehr virtuos). Wenn ich es richtig beobachtet habe, dann hebt das rechte Pedal das gesamte Spielwerk an. Gibt es da eine Art „Übersetzung? Denn ansonsten stelle ich mir vor, dass das Pedal einen enormen Widerstand hat und mit einiger Kraft im Fuß bedient werden muss. Denn das Spielwerk ist doch sicherlich recht schwer.
Hier sind zwei Punkte zu unterscheiden. Die Flügel der unterschiedlichen Hersteller haben auch einen unterschiedlichen Klang, das ist auch so gewollt. Es gibt Instrumente, die allein auf einer Bühne wunderbar klingen, zusammen mit einem Orchester aber untergehen und andere, die für Klavierkonzerte wunderbar geeignet sind, weil sie einfach domierend sind. Zusätzlich wird natürlich viel von den Hammerköpfen beeinflusst. Der Hammerkopf ist mit Filz bespannt. Wenn man einen nagelneuen Hammerkopf mal anfasst, dann ist der knallhart. Wird der so in ein Instrument eingebaut, ist das ungefähr so, als wenn ich mit einem Hammer aus der Werkzeugkiste auf einen Amboss schlage, laut und grell, keineswegs angenehm. So ein Hammer kann durch den geübten Anschlag eines Pianisten die Saite zum Reißen bringen. Um einen angenehmen Klang zu erzeugen werden die Köpfe daher intoniert. Dabei werden die Filze an ganz bestimmten Stellen mit Nadeln eingestochen und der Filz so weicher. Man merkt die Veränderung der Dynamik, wenn man dann auf den Hammer drückt. D.h. so ein Hammer verformt sich beim Anschlag an der Saite und springt wie ein Gummiball zurück. Dieses Spielgefühl empfindet jeder Pianist anders und er lässt sich das Instrument entspr. einstellen. Dieser Wert, zusammen mit der Bauart, dem Hersteller und dem Umfeld (Saal) bewirken die unterschiedlichen Klangeindrücke. Wäre sonst ja auch langweilig.
Punkt zwei, das rechte Pedal hebt sämtliche Dämpfer an, so dass der Klang einer Saite bestehen bleibt, wenn der Pianist die Taste längst losgelassen hat. Hierfür wird die Dämpfung mittels einer Leiste hochgehoben und zwischen dieser Leiste und dem Pedal befindet sich eine einfache Metallstange, die für den Hub sorgt. Die Stange ist am Ende des Pedals angebracht, wobei ein Peadl ca. 20cm lang ist und wie eine Wippe ca. in der Mitte drehend gelagert ist. Bei manchen Flügeln hat man das Gefühl, man müsse erst noch mal kurz im Kraftstudio vorbei schauen um es betätigen zu können. Das liegt aber ganz allein an einer Feder, die unter dem Flügel angebracht ist und dafür sorgt, dass die Leiste wieder zurückgedrückt wird, wenn man das Pedal loslässt. Diese Feder kann man nach belieben einstellen.
So, ich hoffe damit konnte ich noch etwas mehr Licht ins Dunkel bringen und du erkennst, dass so ein Klavier/Flügel einfach nur eine zusammengeleimte Kiste aus Holz, Filz und Metall ist, die den simplen Regeln der Physik folgt. ;)
Zum besser Verständnis habe ich mal die Mechanik aus meinem Flügel ausgebaut und ein paar Fotos gemacht. Du siehst im 1. Bild einen aus dem Stuhlboden ragenden Keil, dieser hakt sich unten in die Mechanik ein und verschiebt sie nach rechts. Bild 2 zeigt die Dämpfungsleiste und die darunter angebrachte Stange zum Anheben. Bild 3 zeigt die Stangen an der Lyra und ihre Aufhängung und auf Bild 4 habe ich die Blattfeder mal markiert, die das rechte Pedal zurück drückt.
Wenns noch Fragen gibt, einfach melden.
VG