Ich nehme auf Grund meiner Erfahrungen an, dass es in Schach und Go Kreativität und Schönheit gibt. Da ist mehr als nur Spielregeln.
Solange der Gewinn einer Seite, das Gegeneinander im Vordergrund steht, Schönheit und Kreativität der eigenen Spielentscheidungen keine höhere Punktzahl bedeuten, gar nicht bedeuten können, da es sich um qualitative Kategorien handelt, entspringt diese Annahme einer gewissen romantisch-humanistischen Verklärung. Ich möchte nichts dagegen sagen, aber Humanisten haben die Rechnung leider ohne die profane Welt gemacht.
Tja, was ist künftig noch echt? Wohl das, was du selber machst, ohne nach Bewunderung von anderen zu gieren.
Traue keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast, das ist ja ein bekannter Spruch. Dasselbe betrifft auch Kunstvorführungen in digitaler Form. Alles Digitale ist potentiell gelogen, denn es schaltet Wahrheit und Lüge gleich, erstere ist nur noch erkennbar, wo die Lüge imperfekt ist. Zumindest alles, was du selber nicht kontrollierst. Lern programmieren, sonst wirst du programmiert. Ähnlich wie bei den Morlocken und den Eloi, H. G. Wells'
Zeitmaschine lässt grüßen.
Es offenbart sich geradezu ein ethisches Dilemma, wenn man zu tief darüber reflektiert. Diesem Dilemma ist die ganze Zunft der Programmierer ausgesetzt, solange nicht alle programmieren (gelernt haben, so selbstverständlich wie Schreiben und Lesen).
Ich möchte das näher ausführen, für alle, die es interessieren mag. Es folgt eine Kritik an unserem eigenen Berufsstand und am leichtgläubigen Umgang der Gesellschaft mit Technik. Auf der einen Seite Digitalisierung der Schule fordern, dann aber Auswüchse wie softwarekorrigiertes Klavierspiel abzulehnen ... also, keine Ahnung, das ist irgendwo ja ein ganz toller Widerspruch.
Sobald es um Vorführung vor einem anonymen Publikum geht, bist du einer gewissen Erwartung ausgesetzt. Die Versuchung, technische Hilfsmittel zu verwenden (also das, was im Sport unter »Doping« firmiert, wiewohl es dort eher biochemisch zugeht), ist größer, je motivierter du eine gute »Leistung« abliefern willst, und auch je leichter schummeln ist und nicht zuletzt je schwerer die Kontrolle durch Dritte ist. Mit Dritte sind nicht unbedingt Profis gemeint, eher Musiklaien. Man vergleiche die Aufnahme eines Youtubers mit dem Vorspiel vor der Jury einer Musikhochschule an einem gestellten akustischen Flügel. Und wo eine Nachfrage, da ist auch ein Markt.
Seit ich ein Yamaha-E-Piano habe, hab ich – oh Wunder – auch weniger Ambitionen, mich auf synthetischem Wege dem Klavierklang anzunähern. Denn wozu sollte ich was einholen, was sich schon in gewisser Weise in meinem Besitz befindet?
Genauso wird sich auch ein Musiker fragen, wozu gut spielen, wenn der Computer das für mich alles ausbessert? So hat er bald gar keine Motivation mehr, seine eigenen Fähigkeiten zu fördern, das heißt, er wird seine Aufmerksamkeit verlagern weg von musizierpraktischen Übungen hin zur Bedienung einer Schummelsoftware, und die Schulkinder von morgen werden staunen, wenn sie [strike]lesen[/strike] auf Youtube gucken, dass »alte Musik« aus dem Stand raus von Musikern ganz ohne Computer dargeboten wurde. Das hat etwas von: »Früher sind Schüler zur Schule gegangen, statt in klimaverpestenden 2t-Kollossen von ihren Eltern hinkutschiert zu werden«. Der technische Fortschritt verdammt zur Passivität. Er wurde verherrlicht, es wurde gesagt, dass wir durch die ganzen ungeliebten, ineffizienten händischen Routinen, die er uns abnimmt, wir doch mehr Zeit hätten, angenehmere Dinge zu tun. Technischer Fortschritt ist gut nur solange der Mensch – du – ihr Herr bist. Wo das nicht der Fall ist, erodiert unter anderem: die Wahrheit.
Von der Klavierklangsynthese bin ich also weg, sie ist für mich uninteressant geworden, eben durch die Anschaffung eines halbwegs anständigen Pianos. Was ich bis dahin selbst geschaffen habe, reicht mir dennoch aus (euch nicht), experimentiere nun lieber mehr frei oder bestelle andere Felder wie etwa eine Funktion, durch die mir mein Programm falsch notierte Töne unter die Nase reibt. Denn wenn ich nicht Ton für Ton notiere, sondern melodische Intervalle in Halbtonschritten, Stimme für Stimme, ist es durchaus wichtig, den aktuellen Tonvorrat bzw. die Harmonie im Blick zu behalten. Dass diese Software hierbei aber bewusst nicht korrigierend eingreift, sondern ggf. eine Fehlermeldung ausgibt und abbricht, ist – so ehrlich bin ich – von meinem Klavierlehrer abgeschaut, der funktioniert auch so.
(Diese Funktion tut natürlich erst dann gut, wenn ich z.B. nicht anderer Stelle zufällig harmonisch und melodisch Moll verwechsele, aber Problem erkannt, Problem gebannt, auch das gehört zum Programmieren dazu – Grummel und Frust und Facepalms an sich selber.)
Der Computer und seine Software fungiert hier weniger als Prothese für etwas, was ich bereitwillig verlernen will, sondern als autodidaktisches Werkzeug, das dann Erfolg zeitigt, wenn ich es dereinst nicht mehr brauche und idealerweise auch an reiner Mechanik davon profitiere. So könnte man Nerds in weiß und schwarz unterscheiden, nicht auf die Hautfarbe bezogen, sondern in Hinblick darauf, ob sie
für den Menschen oder
für die Technik programmieren. Natürlich sollte man das nicht, Nerds sind auch nur Menschen, bloß teilweise welche, die sich mit ihren giftigen Errungenschaften bei allen »DAUs« – leider nicht nur bei ehemaligen Schulhofhänslern – »bedanken«.
Aber wann immer sie ihre Apps bewerben, die euer Leben bereichern, einfacher zu machen versprechen – Holzauge sei wachsam, mach im Zweifelsfall einen Bogen darum. Nicht umsonst weigere ich mich, meinem Programm ein MIDI-Interface, geschweige eine grafische Oberfläche zu spendieren, ich will nicht, dass es Musiker verwenden (können und wollen). Allein sie nicht zu umwerben, befreit mich auch von der Last, evtl. ihre Zeit zu verschwenden, gar sie destruktiverweise glauben zu machen, wie stark der Computer, der technische Fortschritt ihre in jahrelanger Arbeit erworbenen Fähigkeiten mal eben mit ein paar Watt Leistungsumsatz entwertet.