Klaviergedanken

Stilblüte

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21. Jan. 2007
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EDIT:
Die Links funktionieren jetzt wieder.
Sie führen nicht zum Blog, sondern zu Beiträgen von @HoeHue , der die Texte freundlicherweise wieder ausgegraben hat.


Ich möchte hiermit auf meinen Blog hinweisen und drei Beiträge, die ich auf einer Zugfahrt am Wochenende geschrieben habe. Es geht darin um drei Dinge, die ich in Bezug auf das Klavierspielen für essentiell halte, und die, so scheint mir, bei manchen Lehrern / Klavierspielern zu wenig Beachtung erhalten oder nicht gewusst werden oder die vielleicht nicht gut verstanden werden.

Falls es Diskussionsbedarf gibt, was ich durchaus begrüßen würde, fände ich es praktisch, den im Forum zu halten und nicht in den Blog zu legen, das ist übersichtlicher.
Ich sage vorsichtshalber dazu, dass es sich natürlich um meine persönliche Meinung handelt, die niemand teilen muss und die auch niemand wichtig finden muss.
Vielleicht nützt es aber jemandem, oder aber es ergeben sich weitere spannende Dinge daraus.

Kritik ist willkommen, auch negative. Für letztere gilt aber - bitte fachlich begründet, sachlich und fundiert. "So ein Quatsch" ist demnach keine Kritik, die ich mir hier wünsche.

Die (vorläufig) drei Texte, um die es geht:

Langsam spielen

Die gute Fingerposition

Immer einen Ton voraus - beim Klavierspielen muss man vorgreifen


Ich würde die Themen gerne unter einer Kategorie zusammenfassen, bin aber gescheitert. Wer weiß, wie das geht, möge es mir bitte erklären...

Und übrigens: Wer Tippfehler findet, darf sie behalten.
 
Zuletzt bearbeitet:
stimmt durchaus.

zwei kleine Anmerkungen:
- wenn beide Hände/Arme parallel (Tschaikowskis Konzert b-Moll, Einleitung) oder auseinander (Mussorgski, großes Tor von Kiew; Liszt Rhapsodie Nr.6) springen bzw. versetzt werden, so geschieht das durchaus gleichzeitig
- manche blitzschnellen "Sprünge" (Chopin, Coda Scherzo III; Skrjabin op.8 Nr.12) sind eine Bewegung
 
Hallo zusammen,
liebe Blüte,

alle drei Texte, die du geschrieben hast, sind in der Tat SEHR ESSENTIELL!!
Wenn man diese Dinge wirklich umsetzt und nicht nur halbherzig der Marke "langsam? vorbereitet? alles klar, hab ich ja...", dann bekommt man in der Tat ein ganz anderes Spielgefühl!
Ich lege Blütes Texte hiermit ALLEN!! hier ans Herz, die das nicht ohnehin schon wissen und praktizieren!

Diese Dinge habe ich teilweise auch erst im Studium erklärt bekommen und habe mich gefragt, wie ich denn vorher überhaupt je habe schwierigere Sachen spielen können, ohne das so zu üben...

Liebe Blüte, leider habe ich gerade nicht mehr Zeit, um deine Texte genauer zu kommentieren - v.a. im Text über das Hände versetzen habe ich dich entweder an einer Stelle nicht richtig verstanden oder ich sehe es anders. Es betrifft dieselbe Stelle, zu der Rolf sich gerade geäußert hat. Aber das frag ich dich ein anderes Mal, muss jetzt weitermachen hier...

Vielen Dank aber für die hervorragenden Erläuterungen, die man wirklich jedem empfehlen kann!!

Herzliche Grüße,
Partita
 
Liebe Stilblüte,

vielen Dank dafür. Du glaubst gar nicht, wie Du mit soetwas helfen kannst...........

Gruß Wespe
 
Hallo Blüte,

vielen Dank für Deine Ausführungen.

Ich habe mir zunächst nur den ersten Text mit dem Plädoyer für Geduld und langsam Spielen neuer bzw. noch unsicherer Stücke gelesen und stimme voll und ganz mit Dir überein. Eine Frage hätte ich aber noch dazu, nicht nur an dich gerichtet:

Muss man tatsächlich immer das ganze Stück langsam Spielen, wenn einzelne Passagen noch unsicher sind oder reicht es aus, diese unsicheren Passagen separat in einem langsameren Tempo zu üben, während man das Tempo an den anderen Stellen schon anzieht? So halte ich es nämlich in der Regel, was mein KL weniger toll findet. Im Unterricht fällt so etwas natürlich in dem Moment auf, in dem ich das Stück als Ganzes vorspielen muss. Doch selbst dann sollte es doch nicht soo schwerwiegend sein, wenn ich doch weiß, dass diese eine Stelle natürlich noch extra geübt werden muss und später nicht in diesem Tempo dort eingepasst werden wird! Was meint ihr dazu?
 
Muss man tatsächlich immer das ganze Stück langsam Spielen, wenn einzelne Passagen noch unsicher sind oder reicht es aus, diese unsicheren Passagen separat in einem langsameren Tempo zu üben, während man das Tempo an den anderen Stellen schon anzieht?
es ist besser, wenn man sich nicht an verschiedene Tempi innerhalb eines Stückes nur wegen des unterschiedlichen Schwierigkeitsgrads einzelner Stellen gewöhnt - was schon schneller geht, kannst Du ja beiseite legen und nur die schwierigen Stellen üben. Wenn dann doch mal alles probiert wird, dann in dem Tempo, in welchem die schlimmste Stelle sicher klappt.
 
hallo Stilblüte,

vielen Dank für diese Beiträge!

Bei "die gute Fingerposition" geht es dir ja, wenn ich es richtig verstehe, hauptsächlich um eine hohe Griffsicherheit.

Du schreibst, um die Unsicherheiten abzulegen, hilft es, seine Finger zu beobachten.

Als Anfängerin habe ich eigentlich eine gegenteilige Erfahrung gemacht: es hilft mir ungemein, bei unsicheren Stellen die Augen zu schließen.
Dadurch bin ich gezwungen, langsam, in sich und seine Finger reinfühlend und sehr bewußt zu spielen, da ich sonst völlig danebenhänge.

Wenn ich die ensprechende Stelle hinterher wieder "sehend" spiele, bin ich deutlich sicherer.

Ob das jetzt so ein Anfängerding ist oder allgemeingültig, weiß ich nicht so recht.

Viele Grüße,
Manha
 
Liebe Stilblüte; ich bin begeistert! Du schaffst den Spagat zwischen knackiger Formulierung und langatmiger Begründung. Mach weiter damit! Und wenn genug zusammen ist an "Klaviergedanken" - dann mach ein Buch. Ich helf Dir gerne dabei! Schau mal, ob Du noch ein wenig Witz und Anschaulichkeit unterbringen kannst.

PS. "Klaviergedanken" ist doch ein wunderbarer Titel. DAS IST die "Kategorie".
 
@Klimperline:
Erstmal ergibt es immer Sinn, das komplette Stück sehr langsam durchzugehen - das Langsamspiel ist ja gerade zum einen die Probe, um herauszufinden, an welchen Stellen du technisch oder auch musikalisch noch nicht sicher bist und du wirst dich wundern (jeder wundert sich...), wie oft und an welchen Stellen auf einmal doch irgendetwas nicht klar ist, wenn du nur hinreichend langsam spielst! Außerdem, wie Rolf schon gesagt hat, musst du den Bogen um das ganze Stück spannen können - auch im Langsamen - und das ist gar nicht so einfach.

Es macht also Sinn, alles langsam zu spielen - manchmal mag es aus Zeitgründen aber auch mal nicht so recht gehen, gleich das komplette Stück zu bearbeiten. (Obwohl man hierbei festhalten muss, dass es sehr viel mehr bringt, einmal richtig langsam alles zu durchdenken und zu durchfühlen als 10mal schnell zu spielen!!)

Wenn du aber trotzdem mal nicht soviel Zeit hast, müssen wir erst genauer klären, was du meinst mit der Idee, andere Passagen schneller zu spielen, die schon besser klappen:

Falls du eine Stelle, die noch nicht klappt, explizit rausnimmst und isoliert vom Rest langsamer übst (z.B. aus Zeitmangel), ist das in Ordnung. Ganz, ganz wichtig ist aber das, was Rolf eben im Großen beschrieben hat, auch im Kleinen zu achten: Angenommen, du pickst dir 10 Takte raus, die du üben möchtest. Auch innerhalb dieser Stelle gibt es Teile, die man besser kann als andere und der Versuchung unterliegen könnte, dort schneller zu werden und nur das langsamer zu spielen, was man noch nicht kann. Angenommen von den 10 Takten sind 4 kritisch und du hast Lust, die restlichen 6 drumrum schneller zu spielen. Das darfst du auf keinen Fall tun, das ist sehr kontraproduktiv! Es ist also sehr wichtig, dass du ein gemeinsames Metrum behältst innerhalb deiner Übestelle. Nur so kannst du auch die Übergänge richtig lernen zwischen dem, was nicht klappt und dem, was klappt und nur so kann sich der Effekt einstellen, von dem Blüte schreibt: Dein Kopf muss lernen, dass es ja doch kein Problem ist und zwar nicht nur die 4 Takte, sondern die 4 Takte innerhalb der 10 Takte!

Falls du, sagen wir mal, in einem längeren Stück einen ganzen Teil nicht so sicher spielst, den Rest aber schon, gilt hier natürlich dasselbe: Du darfst nicht vorher und hinterher schneller spielen und nur den Teil langsamer. Gleiches Prinzip wie eben. Sonst wird sich das von Blüte sehr schön beschriebene Gefühl nicht einstellen, dass du die Stelle nun kannst - sondern du wirst die Diskrepanz zwischen den Teilen spüren, wenn du versuchst, alle schnell zu spielen. Dann lieber wie eben beschrieben, einen Teil ganz rausnehmen und isoliert langsam üben!

Liebe Grüße,
Partita
 
Ich muß leider entscheidenden Passagen in dem Artikel über die "gute Fingerposition" widersprechen.

Bewegungschoreographie ist schlecht. Du bist da auf einem Holzweg, Stilblüte, vermutlich aus einem (für Studenten typischen) Bedürfnis nach "Absicherung gegen Scheitern" heraus.

Weil man nämlich, wenn man Derartiges einübt, die Bewegung vom Klang abkoppelt - und dies kann nur allerhöchstens zu einer zwar "richtigen", "sauberen", aber nicht zu einer wirklich musikalischen, beseelten Interpretation führen!

Der Klang muß die Bewegung bestimmen. Jede nächste Bewegungsaktion muß aus dem tatsächlich hier und jetzt im Raum wahrgenommenen Klang heraus erfolgen. Nur dann schließt sich ein Klang wirklich schlüssig an den vorigen an.

Außerdem ist es eminent wichtig für das wirkliche Gefühl der Freiheit beim Spielen, daß man merkt, daß man beim Klavier ruhig immer ein wenig verschieden auf der Taste aufkommen kann. (Wichtig ist nur der Tastenkontakt, der "Touch", daß man nicht von oben aus der Luft draufhämmert, und daß man zweckmäßige, lockere Bewegungen macht.) Was ist das für eine schreckliche Spielsituation, in der man nicht von einer festgelegten Choreographie abweichen darf, weil es sonst gleich "anders klingt als geplant"? Wirklich gute Pianisten können es so klingen lassen wie sie es in dem Moment wollen, auch wenn die Bewegung ungeplant und anders als sonst ist.

LG,
Hasenbein
 

Was ist das für eine schreckliche Spielsituation, in der man nicht von einer festgelegten Choreographie abweichen darf, weil es sonst gleich "anders klingt als geplant"?
sowas kommt schon vor, z.B. bei arg fiesen Stellen, wo man weder Zeit noch verschiedene Möglichkeiten hat - und da kanns passieren, dass man besagte Stelle gar nicht durchspielen kann, wenn man motorisch falsch ansetzt (da wäre anders klingen noch das geringere Übel)
bei als richtig und zweckdienlich erkannten Bewegungsmustern zu bleiben, ist schon ok.
 
bei als richtig und zweckdienlich erkannten Bewegungsmustern zu bleiben, ist schon ok.

Selbstverständlich! Natürlich kommt jeder, der auf vernünftigem Niveau Klavier spielen lernt, bei sich stets ähnelnden (oft sehr ähnelnden) zweckmäßigen Bewegungsabläufen an! Es wäre ja idiotisch, dies zu verneinen.

Aber das ist doch was anderes als die von Stilblüte propagierte haarklein eingepaukte Bewegungschoreographie!

Und auch bei einer sehr virtuosen Stelle muß, damit sie überzeugend klingt, der Klang führen und die Bewegung sich dem anpassen.

LG,
Hasenbein
 
Und auch bei einer sehr virtuosen Stelle muß, damit sie überzeugend klingt, der Klang führen und die Bewegung sich dem anpassen.
ja, indem sie zweckdienlich ist und den Klang tatsächlich produziert - - und wie gesagt, man kommt gar nicht so selten an Stellen, an denen es dann keine Alternativen gibt.

differenziertes Anschlagen können ist relevant, egal in welchem Tempo - das sollte man schon hinkriegen, und wenn man´s hingekriegt hat, sollte es automatisch geschehen und nicht mehr hinterfragt werden

...ich hab bisher erst das mit dem vorausgreifen gelesen - jetzt zieh ich mir die Bewegungschoreographie rein :)
 
Wozu sollte man sich Gedanken über "gute Fingerposition" machen? Will man irgendwelche Tastenfolgen spielen, dann fasst die Tasten so bequem wie möglich an, damit man so beweglich wie möglich ist - und da ist auch schon das Zauberwort: beweglich, also immer in Bewegung. Und wenn man immer in Bewegung ist, dann braucht man keinen statischen Begriff wie Position.
z.B. eine Tonleiter ist keine Folge von 3- und 4-Fingerpositionen, sondern eine gleichmäßige Armbewegung (und die Finger machen nicht mehr, als bequem und locker laufen) - dafür braucht man keine Position.
irgendwelche Tastengruppen sicher und bequem spielen zu können, dazu ist das Erfühlen/Ertasten des jeweils leichtesten und bequemsten Berührens völlig ausreichend
 
Liebe Stilblüte,

erst mal vielen Dank!!! Ich finde deinen Blog ganz klasse und es gibt so jede Menge Gesprächsstoff auch hier im Forum!!!

"Langsam spielen" kann ich nur unterstützen - ich habe ja selbst mal einen Faden dazu gestartet und stelle immer wieder fest, dass Schüler, wenn man sie nicht immer wieder dazu anhält, gerade bei Repertoirestücken dies vergessen oder vergessen wollen :p .

Beim langsamen Spiel muss man eben auch anders hören: nicht so sehr wie gewohnt nach vorn hören, sondern auf die Zusammenklänge, die gerade klingen. Also alles sehr bewusst wahrnehmen, hören und fühlen. Hört sich gut an, wenn ich das hier so schreibe :p , ist aber anscheinend wahnsinnig schwierig.

Man spielt also nicht nur in Zeitlupe, sondern man hört auch in Zeitlupe!

Dein Text zum Vorausgreifen finde ich auch sehr gut!

Was die "Fingerposition" angeht, ist es vielleicht nur ein bisschen schlecht formuliert. Dadurch könnte der Leser wirklich einen Eindruck von Starrheit bekommen, was du sicherlich nicht meintest.

Fließende Bewegungen, wie Rolf auch schon schrieb, sind ja ungemein wichtig beim Klavierspielen. Und ich würde auch nicht von Fingerposition reden, sondern von Arm- und Handposition. Denn wie die Fingerkuppe die Taste berührt, hängt hauptsächlich von dieser (Arm- und Handposition) ab. Es geschieht so oft, dass bei Problemen nur etwas daran geändert werden muss und die Sache flutscht. :D

Und da gibt es dann schon eine Bewegungschoreografie, indem z.B. bei Arpeggien oder Skalen der Arm führt und so gleitende Bewegungen gemacht werden, die mit dem Klangbild übereinstimmen (s. hasenbein).

Bei fließenden Bewegungen macht man auch weniger Fehler, Fehler entstehen oft durch Blockaden (oder schlechtes Üben :D).

Aber toll, Stilblüte! Ich hoffe, es kommt noch mehr *grins*!

Liebe Grüße

chiarina
 
Vielen Dank für eure Rückmeldungen. Ich bin grad leider unter Zeitdruck und kann jetzt nicht differenziert darauf antworten, ich werde das heut abend tun.

@ Hasenbein: Findest du, dass meine Interpretationen unmusikalisch klingen?
Ich schätze mal, du hast mich falsch verstanden und/oder ich habe mich missverständlich und ungünstig ausgedrückt bzw. falsch erklärt. Ich bemühe mich, das nochmal anders darzustellen, sobald ich Zeit habe.

An der Stelle nochmal der Hinweis, dass es wirklich nicht einfach ist, solche "Gedanken" oder wie auch immer man es nennen will allein verbal auszudrücken, dazu noch möglichst kurz und prägnant und in einer Sprache, die verständlich ist. Ich gebe mir alle Mühe dabei, aber vieles bleibt schwammig, solange man es nicht demonstrieren kann. Und zwar am besten individuell am Stück für eine bestimmte Person.
Ich vermute auch, dass verschiedene Pianisten für das gleiche Ergebnis unterschiedliche Erklärungen und Wege haben, die dann möglicherweise sogar scheinbar widersprüchliche Anweisung und Formulierung beinhalten.

Also, später mehr dazu.
 
Bei fließenden Bewegungen macht man auch weniger Fehler, Fehler entstehen oft durch Blockaden (oder schlechtes Üben :D).

Das geht mir nicht weit genug.

Fließende Bewegungen sind nicht nur "ganz sinnvoll", sondern absolute Grundvoraussetzung.

Stocken in der Bewegung -> automatisch Stocken / Unverbundenheit im Klang.

LG,
Hasenbein
 
Liebe Und ich würde auch nicht von Fingerposition reden, sondern von Arm- und Handposition. Denn wie die Fingerkuppe die Taste berührt, hängt hauptsächlich von dieser (Arm- und Handposition) ab.
eigentlich sind auch aus dem Bewegungsverlauf isolierte, quasi zum stehen gebrachte Arm- und/oder Handpositionen irreführend - wie gesagt: schon der Begriff Position ist statisch, meint etwas eher regloses.
gedanklich gibt es sowas natürlich, z.B. die zerlegten Dezimakkorde der ersten Chopinetüde - aber praktisch wird da die Hand kaum für so eine Akkordposition gespreizt.
natürlich gibt es Griffe, also wie fasst sich dieser oder jener Akkord an - aber das ist doch wirklich nicht der Rede wert: so anfassen, dass er für die eigene Hand am bequemsten ist und jede Tonstärke erlaubt (also da muss man wirklich nichts choreographieren)
 
Lieber Hasenbein, lieber Rolf,

ich verstehe eurer beider Kritikpunkte - genau das, was ihr und was Blüte beschreibt, bin ich gerade selbst sehr stark am Ausloten für mich selbst, wieviel Bewegungskontrolle gegen wieviel Loslassen und nur aus einer Klangvorstellung heraus spielen. Ich weiß genau, was Hasenbein meint, wenn er von der unfreien Spielart spricht, die man wohl empfinden muss, wenn man sich zu sehr an seiner "Choreographie" festhält - es ist mir gerade mit einem Stück passiert, für das ich mir sehr genau die Position überlegt hatte, damit ich die Stelle überhaupt treffe, und nun achte ich so peinlich genau darauf, dass es schon wieder zu sehr ist und ich mich damit unfrei gemacht habe an der Stelle. Der Punkt liegt aber nicht in der Idee selbst, sondern in meiner Ausführung.

Ich denke, so komplett unterschiedlich ist das alles nicht, was wir hier meinen - man muss nur sehr genau klären, was gemeint ist und ich möchte gerne versuchen, auszudrücken, inwiefern sich Blütes Ausführungen (meiner bescheidenen Meinung nach) mit euren kombinieren können bzw. müssen.

Hasenbein, du hast so recht, wenn du sagst, dass man letztlich nur sinnvoll an den sich gerade entwickelnden Klang anschließen kann, wenn man flexibel genau darauf reagiert, wie sich dieser gerade entwickelt. Hat man alle Bewegungen als sine qua non einstudiert, kann daraus entweder ein Klang entstehen, der nicht an den vorherigen passt oder aber man scheitert gerade deshalb, wenn etwas dieser Choreographie einfach gerade nicht gelingen möchte.
Das logische Anschließen von einem Klang an den nächsten verlangt aber erstmal ein Hören "zwischen den Tönen" (zwischen den Anschlägen, während ein bereits angeschlagener Ton klingt und man den nächsten logisch daran anschließen möchte) und auch ein Fühlen zwischen ihnen. Viele Amateurspieler und auch einige Studenten schauen und hören dort nicht genau genug hin, teils, weil sie nicht wissen, wie wichtig dies ist, teils, weil es erstmal wirklich Übung und Konzentration erfordert. Insofern finde ich Blütes Texte schon alleine daher sehr hilfreich für alle hier, da sie dazu aufrufen, die Aufmerksamkeit wirklich einmal auf das zu lenken, was "zwischen den Tönen" passiert.

Natürlich sollte sich die Anschlagsart aus der gewünschten Klangvorstellung ergeben und nicht umgekehrt erst eine Choreographie einstudiert werden, die dann etwas produziert, das 100 % festgelegt immer dasselbe sein soll. Wie Hasenbein sagt: Klang und Bewegung/Anspielen der Tasten dürfen nicht voneinander abgekoppelt werden oder wie Rolf sagt: Alles kommt aus einer (organischen!) Bewegung heraus, die Finger sollen das jeweils Leichteste und Bequemste erfühlen/ertasten und dann einfach nur das wohldosierte Armgewicht parieren.

Ich glaube nicht, dass Blüte den Klang abgekoppelt von der Bewegung denken möchte (oder, Blüte, hab ich dich da falsch verstanden?). Ich verstehe ihren Text so, dass sie mit ihrer Fingerposition sehr stark ein Rumprobieren in puncto Klanggestaltung propagiert, so, dass man sich hinsetzt, ganz langsam ausprobiert, wie man den Klang, den man an der Stelle haben möchte, hinbekommt - wie man da die Taste anspielen muss, ob man eher aus dem Grundgelenk spielen muss oder eher sehr aktive Fingerspitzen braucht, eher rein, eher raus etc... Gegen dieses Herumprobieren mit der Klanggestaltung ist absolut nichts einzuwenden, im Gegenteil. Es ist ganz besonders wichtig, dass die Bewegungen auch im sehr langsamen Spiel fließend, organisch und nicht unterbrochen oder künstlich sind, ebenso wie dass gleich die musikalische Gestaltung richtig dabei herauskommt, so wie man sie sich wünscht. Diese beiden Punkte sind beim sehr langsamen Spiel teilweise ziemlich schwierig, wenn man das noch nicht gut beherrscht. Lässt man sich aber auf diesen Prozess konzentriert ein, so lernt man eine Menge über natürliche Klanggestaltung, die dann früher oder später selbstverständlich wird.

Hasenbein und Rolf, ihr habt auch recht, dass dies bei einem guten Pianisten automatisch gehen sollte. Vielleicht sind Blüte und ich aber noch nicht so weit und ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass ihre Überlegungen dazu helfen, das Bewusstsein dafür zu stärken und es durch ganz bewusstes Ausprobieren damit immer selbstverständlicher werden zu lassen. Sie schreibt ja auch: "(...) Je häufiger man das Augenmerk auf die gute Positionierung der Finger auf den Tasten lenkt, desto mehr gewöhnen sich die Finger daran – bis sie sich die optimale Bewegen über die Klaviatur irgendwann ganz von selbst suchen. (...)"

Ich möchte aber nochmal festhalten, wie wichtig ich das finde, was Hasenbein angesprochen hat: Diese Idee mit der guten Fingerposition darf auf keinen Fall abgekoppelt von der Klangerzeugung und der musikalischen Gestaltung gesehen werden und in der Tat ist es kontraproduktiv, wenn man sich total die Flexibilität herausnimmt, indem man an seiner "Choreographie" klebt. Dann hat man neben dem Notentext und seiner eigenen Interpretation auch noch eine dritte "Fehlerquelle"... ;) Vielmehr soll die "Choreographie" zur Bewusstseins-Schärfung genutzt werden, um daraus das Gefühl zu erhalten, dass man seine Klangerzeugung und das Treffen der Töne unter Kontrolle hat, sehr wohl aber sich durch Hören zwischen den Noten auf die jeweilige Spielsituation einstellen kann. Das ist ja schon je nach Flügel unterschiedlich und es wäre sehr schade, wenn man nur auf einem Flügel gut spielen kann, weil man für den anderen erst die Choreo ändern müsste... ;)

Meine Lehrerin meinte auch: Wirklich gute Pianisten können auf jedem Instrument spielen, da sie sich spontan anpassen können.

Um sich aber spontan anpassen zu können, muss man erstmal mit trial and error unzählige Möglichkeiten ausprobiert haben, wie man Klang so erzeugen kann, wie man es gerne möchte - und dazu können Blütes Übungen glaube ich sehr gut helfen, auch die zur Fingerposition. Ich sehe es wie gesagt eher als Bewusstseinsübung dafür, wie ich am besten Tastenkontakt herstelle gepaart mit Entspannung, wo sie nötig ist.

Liebe Grüße,
Partita
 
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