...dass er sich auffallend oft fremden Materials bedient - ob es wirklich kompositorische Schwäche ist,
das vermag ich nicht zu beurteilen, dazu habe ich noch zu wenige Stücke von ihm gehört
und nicht genügend Ahnung von Komposition. Ich empfinde es ein bisschen so,
wie ich vorhin schon geschrieben hatte: Man kann seine Etüden nicht nur als Klavieretüden,
sondern auch als Kompositionsetüden sehen, gerade weil sie sich so ausgiebig damit beschäftigen,
vorhandenes Material in seinen Bewegungsabläufen zu analysieren und weiterzuverarbeiten.
Aber das finde ich eher eine sehr beachtliche Leistung. Ich finde es äußerst schwierig,
sich ein bekanntes Stück oder einen bekannten Komponisten herzunehmen und daraus etwas "Neues" zu schaffen,
das sich nicht völlig hilflos anhört. Das verdient meiner Meinung nach großen Respekt.
Guten Tag, Partita!
Mein Respekt vor Hamelins kompositorischer Leistung hält sich in Grenzen,
wobei der Gebrauch fremden Materials ganz unverdächtig ist - das, was im vorneuzeitlichen Sinne "Parodie" heißt:
das Aufgreifen und Weiterführen von Tonsatzideen eines anderen Komponisten (manchmal auch eigener Werke),
was als Hommage an den betreffenden Kollegen verstanden werden kann - oder als kollegiale Kritik
à la "So, mein Junge, jetzt zeig ich Dir 'mal, was man aus so einem Material 'rausholt...",
ein in der Musik der Renaissance und des Generalbaßzeitalters typisches Verfahren.
Mit dem Beginn des Historismus in der Musik beginnt das Schreiben von "Musik über Musik"
(der t.t. stammt von Rudolf Kolisch), mit Beethoven einsetzend, über Schumann, Berlioz, Wagner bis zu Reger führend:
die auskomponierte Vergegenwärtigung eines älteren musikalischen Bewußtseins im Kontrast zum gegenwärtigen.
Das ist eine Vorstufe zu dem, was im 20.Jahrhundert bei Strawinsky und Artverwandten geschieht -
mit einem großen Unterschied: Die Beispiele von der Spätklassik bis zur Spätromantik lassen ältere Stilelemente
mit neueren friedlich koexistieren. Diese Neigung zur Integration kennt die Moderne nicht mehr.
In den verfremdenden Stilkopien der sogenannten neoklassizistischen Musik wird eine historische Distanz auskomponiert,
die sich im dissonanten Tonsatz wie im Vermengen unterschiedlicher Stilebenen ausdrückt,
Ausdruck einer Fremdheit, die aber ihrerseits wieder zum Ausdrucksträger wird,
eine ziemlich verwirrende Sache, einer näheren Betrachtung wert -
nur hier würde es den Rahmen sprengen.
Der historische Exkurs dient mir dazu, in aller Ausführlichkeit zu zeigen, was Hamelins Etüden-Paraphrasen fehlt:
die kompositorische
Eigenständigkeit, die für alle vorher genannten Beispiele selbstverständlich ist.
Hamelins Eingriffe sind vorallem satztechnischer Art und dienen der Verkomplizierung der musikalischen Textur,
um den Grad an Virtuosität zu steigern.
Das ist so, als ob jemand den Zungenbrecher
Fischers Fritz fischt frische Fische
abwandelt und erweitert:
Frischauf! Fischer Fritzens Witz erfrischt frischgefischte frische Fische
Das kann man als nette Abwandlung durchgehen lassen, aber wohl kaum als eigenständige literarische Arbeit.
Gruß, Gomez
.