Hallo Michael, nochmals Dank für dein
vorletztes Posting, es hat die Sache vorangebracht. Denn dein Verweis auf Blüthner liefert ein Erklärungsmodell dafür, weshalb Hirschtalg auch heute noch, und sogar auch im Umfeld renommierter Herstellerfirmen, als Gleitmittel an den Tastenstiften verwendet wird.
Was dein
letztes Posting betrifft:
Mir ist danach, dich zunächst, wenn auch off-topic, an eine andere Äußerung von dir erinnern. Eine, die erstens wirklich sachdienlich war, sowie darüber hinaus ausgesprochen ermutigend und eindeutig kollegial.
Guckst du:
https://www.clavio.de/forum/156472-post17.html
Doch nun zu deinem letzten Posting zur Gleitmittel-Thematik. Ich erkenne mehrere Inhaltsebenen (sachlich / appellativ / persönlich über dich bzw. über mich), die in Andeutungen oder zwischen den Zeilen miteinander verschachtelt sind.
Eben heute hatte ich ein Klavier, wo das Quietschen nur von den Vorderstiften kam - und die Garnierungen waren aus Leder...
Du musst zugeben, dass Blüthner nicht irgendein provinzieller Klavierbauer war, so dass dessen Wort auch heute noch mächtig Einfluss hat. Also was zum Teufel hat der gute Mann an diesem Tage getrunken.:D Wollte er Generationen von Klavierbauern beschäftigen? oder in die Irre führen.? Nein, das glaube ich nicht. Es kommt immer darauf an, WIE man etwas macht und bei welchem Klavier für welchen Zweck. Es gibt ja heutzutage nichtmal mehr das Leder, von dem Blüthner sprach. Vielleicht war sogar die Zusammensetzung von Hirschtalg früher anders. Heute kommt das Zeug sicher aus der Chemiefabrik und früher vom Hirschen
Im Folgenden beantworte ich deine Äußerung auf der Sachebene, da diese letztlich auch das Thema voranbringt, wie ich meine.
a) In der Tat, es kommt vor, dass Tasten an den Vorderstiften Geräusche machen. Sehr viel häufiger ist nach meiner Erfahrung aber, wahrgenommene Tastengeräusche an den Vorderstiften zu vermuten und dort vermeintlich zu beheben, und dann festzustellen dass sie immer noch nicht weg sind. Die Logik des zweiten Blicks, derethalben Geräusche an den Waagebalkenstiften und -bäckchen viel wahrscheinlicher sind, ist diese: Je kleiner und/oder langsamer eine gleitende Bewegung ist, umso leichter ist es, sie zu hörbaren Vibrationen zu zerhacken. Das ist ähnlich wie bei knarrenden Türen. Bei letzteren sind die Geräusche üblicherweise nervtötend, wenn man sie ganz langsam bewegt. Wirft man die Tür dagegen mit Schmackes ins Schloss, dann hört man häufig gar nichts oder nur ein leises heiseres Piepen.
b) Ledergarnierungen verhalten sich nicht immer genau so wie Kasimir-Garnierungen, wenn auch beide ursprungsmäßig verwandt sind (Tierhaut, Tierhaare). Zwecks zuverlässiger Aussagen diesbezüglich bin ich noch am Recherchieren.
c) Die Tastenführungen haben im wesentlichen drei Eigenschaften: Erstens gleitet in diesen Lagern Metall gegen Textil/Leder, zweitens sollen diese Lager führen (Berührung ist also erwünscht), drittens sollen sie maximal flinke Beweglichkeit ermöglichen (Reibung ist also unerwünscht). Solche Lager funktionieren optimal, wenn die Metallseite hart und porenfrei spiegelglatt ist, und wenn die Textil/Leder-Seite duftig-locker ist mit dauerelastischen Mikro-Faser-Überständen, die die Berühr-Intensität am Metall-Gegenlager so gering wie möglich halten. In diesem Optimalfall ist jedes Gleitmittel überflüssig und mit Chance nachteilig. Ist der Idealzustand nicht mehr gegeben, helfen am ehesten mikro-rollend wirkende Mittel, wie von mir oben beschreiben, sofern es die tatsächlich gibt. Zweitbestens sind mikro-zerreibende Mittel, wie z. B. Talkum. Visköse Mittel wie Hirschtalg sind dagegen eindeutig kontraproduktiv: Zwar mindern sie die Reibung, sofern die Tastenlager vom erwähnten Idealzustand weit entfernt sind. Aber in erster Linie erzeugen sie selbst Reibung, und zwar zum einen durch die Zähigkeit ihrer Viskosität, und zum anderen dadurch dass sie das Ausmaß der Berührungen zwischen den Lagerseiten vergrößern. Ganz abgesehen von der Zusatzreibung, die entsteht, sobald sich das visköse Mittel mit Staub und Abrieb vermischt. Demgemäß sind visköse Mittel im Falle schlechter Reibungsverhältnisse wohl geeignet, eine vorübergehende Besserung zum Mittelmaß zu erzielen. Für das anzustrebende Wiedererreichen eines idealen Zustands stellen sie aber von vornherein ein erheblich störendes Hindernis dar.
Dies alles war übrigens auch vor 130 Jahren schon so. Gleich ob der Talg (ggf. nebst Gebrauchsanweisung) vom berühmten Hirschen, vom provinziellen Chemiewerk oder von irgendeinem Brontosaurus kam. :cool:
Gruß
Martin
PianoCandle
... und aus Krach wird Klang