boah... Strabon - der hat auch ganz ganz viele Noten überliefert ;);););) und deshalb wissen wir ja auch ganz ganz ganz viel über antike Musik...
vom hörensagen hat man heuer nicht viel - evtl. hat der Neandertaler in mehrstimmigen Chören gejodelt - aber davon haben wir nichts. ...und so kommt es, dass wir keinerlei Vorstellungen davon haben, wie Mehrstimmigkeit vor den ersten Aufzeichnungen klang bzw. wie sie gemacht war
...sooo schwierig ist das doch nicht
Wissenschaftliches Arbeiten macht es nun mal erforderlich, präsentierte Erkenntnisse und Folgerungen greifbar zu dokumentieren - und das ist bei ungünstiger Quellenlage (kaum schriftliche Überlieferungen) eben nicht so ohne weiteres möglich. Wenn keine schriftlichen Dokumente zu einer mehrstimmigen Musizierpraxis überliefert sind, heißt das selbstverständlich nicht, dass es im Umkehrschluss eine solche nicht gegeben haben kann. Aber Mutmaßungen zum Thema finden irgendwo im luftleeren Raum statt, wenn einfach keine Belege greifbar sind. Da mag ein Anicius Manlius Severinus Boethius an der Schwelle zum 6. nachchristlichen Jahrhundert in seiner Schrift "De institutione musica" eine philosophische Annäherung an spätantike Musizierpraktiken vollzogen haben - ohne die Existenz einer heute nachvollziehbaren Notationsform, wie sie sich ab dem 11. Jahrhundert (Guido von Arezzo) allmählich entwickelte, kann niemand mit Bestimmtheit sagen, wie diese ausgesehen haben mag. Daran ändern auch Dokumente wie dieses nichts:
Seikilos-Stele
Aus heutiger Sichtweise würde ich folgende Vermutung anstellen: Mehrstimmigkeit in einer gewissermaßen kontrapunktischen Beziehung der Stimmen zueinander macht die schriftliche Fixierung letztlich unverzichtbar, da ein gewisser Grad an Komplexität nicht mehr durch schlichtes Vorspielen/Vorsingen und Nachspielen/Nachsingen vermittelbar sein dürfte. Eine reine "mündliche" Überlieferung wird sich auf bestimmte musikalische Grundmuster beschränken müssen; einen umso größeren Raum nehmen improvisatorische Praktiken ein. Die Komplexität der Bach'schen "Kunst der Fuge" ohne Existenz einer Notenschrift mündlich entwickeln und weiterverbreiten zu können - das dürfte wahrlich nicht realistisch sein. Es erscheint plausibel, dass elementare Formen von Heterophonie, Hoquetus-Technik, responsoriale Praktiken mitunter über liegenden Tönen (der Ison-Praxis in der traditionellen byzantinischen Musik vergleichbar) zum Einsatz gelangt sein mögen. Was für das äußerst reichhaltig gehandhabte Melos im vorderasiatischen Raum gelten mag, ist mit der enormen Vielfalt und Komplexität (poly-)rhythmischer Abläufe in afrikanischen Musiktraditionen vergleichbar, die eine respektvolle Betrachtung aus europäischer Sicht verdient. Ich möchte vor diesem Hintergrund die schäbige Unterstellung, aufgrund eines eurozentrischen Weltbildes andere großen Musikkulturen nicht mit Achtung und Respekt behandeln zu können, hier nicht noch weitere Male vernehmen müssen - egal, ob sich entsprechende Vorwürfe an meine Adresse, oder an wen auch immer richten.
Ich gebe zu, dass ich eine Reihe von Fachbegriffen verwendet habe - die dazugehörigen Wikipedia-Artikel gehören zu den besser recherchierten Dokumenten im Netz, falls noch Unklarheiten ausgeräumt werden müssen.
Zur unlängst gestellten Frage nach musikethnologischen Forschungsbestrebungen liefere ich noch folgenden Link nach:
Phonogramm Archiv Berlin - YouTube
Erich Moritz von Hornbostel, Curt Sachs und Jaap Kunst haben durch die wissenschaftliche Auswertung von Audiodokumenten ab 1889/90 die musikethnologische Forschung in maßgeblicher Weise vorangebracht - und zwar, indem sie nicht im Notenbild fixierte (respektive fixierbare) Dokumente präzisen Betrachtungen unterzogen haben, deren Ergebnisse über wissenschaftliche Sphären hinaus Spuren hinterlassen haben. Viele Komponisten hatten Kenntnis entsprechender Aufnahmen und entsprechende Anregungsmomente für ihr künstlerisches Schaffen (selbst vor der Wende zum 20. Jahrhundert) dankbar angenommen. Debussy, Puccini, Ravel u.v.a. kannten solche Aufnahmen in Form von Wachszylindern und Grammophonplatten.