Fingersätze bei Bach

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Wiedereinsteiger123

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Nach welchen Grundüberlegungen werden Fingersätze üblicherweise entworfen? Das ist eine Frage, die mich immer wieder umtreibt, wenn ich Bach* übe.

Eindruck 1 ist, dass die Autoren immer versuchen, ein pedalfreies Spiel zu ermöglichen, indem sie zumindest der melodisch "dominanten" Stimme einen Fingersatz verpassen, der ein Fingerlegato ermöglicht. Das hat dann nach meinem Eindruck manchmal zur Folge, dass der Fingersatz im Rahmen des Pedalspiels wiederum unnötig kompliziert ist.

Ein Beispiel: Schiffs Fingersatz für das Präludium b-moll aus dem WTK 1. Unter der Prämisse, dass man davon ausgeht, dass die Akkorde generell mit Pedal zu binden sind, weil das Stück sonst für heutige Ohren dünn klingt**, wäre ich davon ausgegangen, dass der Fin gersatz dies widerspiegelt und dementsprechend beispielsweise stille Fingerwechsel vermieden werden, die durch das Pedal ohnehin obsolet werden. Tatsächlich aber hat Schiff solche Wechsel drin, setzt aber an anderen Stellen implizit durch den Fingersatz wieder Pedaleinsatz voraus.

Eindruck 2 ist, dass die Fingersätze noch keine Artikulation nahelegen, sondern grundsätzlich ein Legato ermöglichen wollen.

Ein Beispiel: Die Allemande aus der Französischen Suite c-moll. Wo Theopold für die Henle-Ausgabe stille Fingerwechsel im Sinne des legato vorschreibt, setzen Schiff und andere Pianisten einfach ab. Beispielsweise hier:
upload_2016-10-2_14-16-52.png




Ich weiß, dass sich bei der Frage viele Themen vermischen und es nicht mit einem Satz zu beantworten ist, aber ich würde mich über ein paar Erhellungen, gerne auch Literaturempfehlungen zu dem Thema, freuen.
Später folgt noch ein aktuelles Beispiel, mit dem ich gerade Probleme habe.


* Nicht etwa, weil klangliche Überlegungen beim Fingersatz anderer Komponisten nicht relevant wären, sondern nur, weil die Fingersatzfrage mich bei Bach öfter - vielleicht polyphoniebedingt? - irritiert.
** Ich lasse mich gerne korrigieren, was die Prämisse angeht. Das ist nur mein Eindruck aus dem Hören verschiedener Aufnahmen und dem eigenen Spielen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu meinem aktuellen Problem. Sarabande aus der Französischen Suite in d-moll:

upload_2016-10-2_14-28-28.png

In dem (im Ausschnitt) 2. Takt, ist die 4 der einzige Vorschlag für die rechte Hand in dem Takt. Was könnte der Gedanke dahinter sein? Ich spiele es derzeit, unter der Prämisse, dass man ohne Pedalbindung ohnehin nicht auskommt, so (Klammern bedeuten Bindepedal):

upload_2016-10-2_14-37-14.png

Das kommt mir sehr unbequem vor, aber auch nach noch so viel Rumexperimentieren komme ich auf keinen besseren. Wie würdet ihr die Stelle spielen (@rolf ;-))? Liege ich mit dem Pedal "richtig"?
 
Probier es doch mal anders herum aus: Erst überlegst du dir die Artikulation (aus der dann das Pedalspiel folgt), danach siehst du, wie der beste Fingersatz dafür aussieht. Du weißt dann nämlich, wo du absetzen kannst und wo nicht. Daraus ergeben sich häufig komplett andere Fingersätze als wenn man einfach mal schaut, wie es möglichst bequem ist und die Artikulation danach macht - und die "klug geplanten" Fingersätze helfen dir dann sogar noch bei der richtigen / gewollten Artikulation.

Theopold kann man fast immer komplett vergessen. Sehr oft macht der FS von ihm ein Stück ungleich scchwieriger. Ich hab schon FS gesehen, die so absurd waren, dass man das Stück damit gar nicht spielen konnte. Henle findet das relativ egal, ich habe denen mal geschrieben. Aber ich verstehe schon, Noten mit schlechtem FS verkaufen sich immernoch besser als Noten ohne FS, wenn man an Amateure verkauft. Von Bach bietet Henle aber auch Noten ohne FS an.
 
Theopold kann man fast immer komplett vergessen. Sehr oft macht der FS von ihm ein Stück ungleich scchwieriger. Ich hab schon FS gesehen, die so absurd waren, dass man das Stück damit gar nicht spielen konnte. Henle findet das relativ egal, ich habe denen mal geschrieben. Aber ich verstehe schon, Noten mit schlechtem FS verkaufen sich immernoch besser als Noten ohne FS, wenn man an Amateure verkauft. Von Bach bietet Henle aber auch Noten ohne FS an.

Beruhigend zu hören, dass es nicht (nur) an mir liegt, sondern die Fingersätze tatsächlich merkwürdig sind. :-D Ärgerlich aber, dass Henle als renommierter keinen Wert auf gute zu legen scheint. Vielleicht lege ich mir mal folgendes Buch zu, um mehr Selbstständigkeit in der Frage zu gewinnen: https://www.amazon.com/Art-Piano-Fi...id=1475429935&sr=8-1&keywords=piano+fingering

Ich wäre aber noch sehr gespannt auf Vorschläge, wie der Ausschnitt aus der Sarabande sinnvoll zu spielen ist. Ich komme mir mit meinem häufigen Bindepedal bei Bach so unbeholfen vor, aber ich kann mir keine Alternative vorstellen.
 
Ich habe das Fingersetzen durch gute Beispiele und viel "mutiges" Ausprobieren gelernt. Am Anfang des Studiums habe ich meine Lehrerin oft nach FS gefragt und sie hat mir dann in mühevoller Arbeit welche ausgearbeitet. Das waren oft sehr erhellende Momente als ich verstand, welche Möglichkeiten es gibt und welche enorme (!!!) Wirkung die haben. Mit der Zeit gelangen mir auch immer öfter selbst solche "Glücksgriffe" :-) Das erfordert manchmal ein Probieren abseits der Gewöhnlichkeit, z.B. zweimal hintereinander denselben Finger, Daumen auf Schwarz, Fingerübersatz mit 3 und 4 oder 3 und 5. Vieles ist Erfahrung, z.B. dass manche FS im Langsamen unbequem sind, im Schnellen aber super funktionieren (und umgekehrt), z.B. wenn man immer dasselbe Motiv hat und damit eine Sequenz o.ä. spielt - immer derselbe FS ist viel unkomplizierter, auch wenn das für einzelne Sequenz-Teile etwas komisch ist.
Und so weiter... Ich glaube hier gibt es schon Fäden zum FS.
 
Ich halte ein durchgehendes Legato bei Bach selten für sinnvoll, und in dem besagten Takt überhaupt nicht. Die ZZ 2 wird durch die Tonwiederholung in der Oberstimme ohnehin abgesetzt und ist in der Sarabande betont, das Absetzen von der 1 würde ich deshalb auch in den Mittelstimmen tun. Um die Betonung zu verdeutlichen, würde ich das erste Achtel der ZZ 2 an das zweite anbinden, dieses dann leicht (= kurz) nehmen. Auch auf ZZ 3 sollte man den Tenor besser nicht in die folgende 1 hinein binden, da diese sonst zu leicht wird. Mit dieser Artikulation ist der Takt völlig unproblematisch zu spielen. Man braucht auch kein Pedal zum Binden; man kann es aber zur Verstärkung der Obertöne benutzen.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Stilblüte spannend! :-)Ohne den Luxus der "Intensivbetreuung" im Studium ist man als Amateur ja leider in solchen Belangen doch zum guten Teil auf niedergeschriebenes Wissen angewiesen.

@mick jetzt wo du es sagst, habe ich mich vielleicht auch einfach verhört. Bei Gould zB (
View: https://www.youtube.com/watch?v=Nts2mU6uYoA
, ca ab 1:25) dachte ich erst, es wäre gebunden, aber offenbar besteht der Bindungseffekt aus der legato gespielten Bassstimme?
 
Gould hebt die Bassstimme extrem hervor, die rechte Hand geht ja beinahe unter dagegen. Durch den Hall (oder Pedal?) ist schwer zu hören, was er da genau macht. Mir ist das übrigens viel zu langsam!

Spielen würde ich die Sarabande immer gut artikuliert und würde dann je nach Raum mehr oder weniger Pedal nehmen. In einem größeren Raum mit etwas Nachhall braucht man kaum Pedal - die Löcher beim Absetzen verschwinden dort von selbst. In einem kleinen, akustisch trockenen Raum klingt die Sarabande ohne Pedal nicht gut, man muss es dann benutzen, um etwas Raumklang zu simulieren.

András Schiff spielt die Sarabande für meinen Geschmack sehr schön artikuliert und hier ganz ohne Pedal - in einem entsprechenden Saal geht das sehr gut:


View: https://www.youtube.com/watch?v=gUVEdjrT9Ec
 
Wie würdet ihr die Stelle spielen (@rolf ;-))?
am besten so, dass es möglichst überzeugend klingt ;-) (und wie das bewerkstelligt wird, kann doch einem Zuhörer egal sein) :-D
...bzgl. deiner Überlegungen: machen dich Alt- und Tenorstimme in deinem Notenbeispiel nicht schon im 1. Takt stutzig? (da du über Fingersatzregeln zur totalen Legato-Bindung räsonierst, könnte da was aufschlußreiches vorhanden sein?)
Spaß beiseite: @Stilblüte hat dir ein paar gute Hinweise geliefert.
 
Spielen würde ich die Sarabande immer gut artikuliert und würde dann je nach Raum mehr oder weniger Pedal nehmen. In einem größeren Raum mit etwas Nachhall braucht man kaum Pedal - die Löcher beim Absetzen verschwinden dort von selbst. In einem kleinen, akustisch trockenen Raum klingt die Sarabande ohne Pedal nicht gut, man muss es dann benutzen, um etwas Raumklang zu simulieren.

Ich glaube da liegt der Hase im Pfeffer. Mein Flügel steht eben in genau so einem kleinen, akustisch trockenen Raum und deshalb assoziiere ich einen Klang wie bei Gould und partiell bei Schiff automatisch mit Pedal, weil so eine Wirkung hier gar nicht anders zu erreichen ist.
Die Herausforderung ist (für mich) dann jetzt, den Raumklang zu simulieren, ohne das es zu sehr verwischt wird.

Gavrilovs Aufnahme ist auch noch ein Beispiel aus der Kategorie sehr langsam:

View: https://www.youtube.com/watch?v=IwFQyyKbt6E


Hier ist vermutlich wirklich Pedal am Werk und nicht nur Nachhall, oder?



am besten so, dass es möglichst überzeugend klingt ;-) (und wie das bewerkstelligt wird, kann doch einem Zuhörer egal sein) :-D
...bzgl. deiner Überlegungen: machen dich Alt- und Tenorstimme in deinem Notenbeispiel nicht schon im 1. Takt stutzig? (da du über Fingersatzregeln zur totalen Legato-Bindung räsonierst, könnte da was aufschlußreiches vorhanden sein?)

Doch, das damit einhergehende Flatterpedal hat mich schon stutzig gemacht. :-DDu spielst vermutlich darauf an, dass die Terzen im Vortakt auch schon nicht legato gespielt werden?

Ich werde gleich mal weiter experimentieren. Ich glaube, auf dem Digitalpiano ist auch die Nachhallzeit konfigurierbar. Das ist natürlich ein kläglicher Ersatz für einen großen Saal, aber vielleicht doch ganz instruktiv.



Wenn du bei geeigneten Lehrern unterricht nimmst, kriegst du auch so eine Intensivbetreuung :super:

Mein Lehrer pflegt ein sehr "pragmatisches" Verhältnis zum Pedal. Ich habe ihn schon öfter was bezüglich Fingersätzen im Zusammenhang mit legato etc. gefragt, aber er verweist dann gerne darauf, dass man die Stelle "sowieso" mit Pedal spielen würde oder ähnliches. Mag ja auch an vielen Stellen richtig sein, aber da es ja auch die Fraktion der pedalaversen Bachspieler gibt, möchte ich natürlich auch Wege wissen, wie man bestimmte Stellen ohne Pedal gestalten würde.
 


Ja. Er ist ein sehr gebildeter und angenehmer Mann, weiß unglaublich viel über Musik, gibt gerne interpretatorische Hinweise, aber nach meinem Eindruck interessiert ihn die Klaviertechnik an sich nicht so sehr wie es ein Schüler auf meinem Niveau bräuchte. Nach der Losung Giesekings (Der Kopf denkt, die Finger machen einfach) kommt das seiner Ansicht nach fast alles von selbst.
In nicht allzu ferner Zukunft steht aber voraussichtlich ein Umzug und damit auch ein Lehrerwechsel an.
 
Achso verstehe. Ja, da gibt es zwei Sorten von Lehrer. Ich bin auch gerade bei einem der zweiten Sorte gelandet, wo man hofft, dass die große Weisheit ein bisschen abfärbt :lol:
Ich muss aber ehrlich sagen: Früher wäre das nichts für mich gewesen und ich würde das keinem empfehlen, dessen Technik nicht schon so solide ist, dass man sich quasi alles selbst erarbeiten kann bis hin zum fertigen Stück. Wer soll einem das denn beibringen, wenn nicht der Lehrer?

Es stimmt, dass sich vieles "ergibt" aus der Musik. So habe ich nämlich auch gelernt. Allerdings braucht man (ich) trotz dieser eigentlich völlig logischen Schlussfolgerungen jemanden, der es einem im Detail erklärt, demonstriert, korrigiert und bestätigt, ob man es richtig macht. Man muss ja auch das differenzierte Hören (vor allem), Sehen und Fühlen bzw. Wahrnehmen erst lernen. Wenn man einen beliebigen Menschen vor ein Orchester stellt kann der auch nicht benennen, ob der falsche Ton in den Bratschen oder zweiten Geigen war, auch wenn er vielleicht die Qualität der Musik beurteilen kann.
 
@Stilblüte sehe ich genauso. :-)Ich versuche ihm das Maximum zu entlocken und werde drauf achten, dass der nächste Lehrer alle Aspekte gleichermaßen berücksichtigt.
 
Das Problem kenne ich auch, obwohl ich meinen Lehrer sehr, sehr schätze in musikalischer Hinsicht. Ich habe auch schon Monate an Stücken verloren, völlig falsch geübt, verrannt etc.. Wollte sogar zurückwechseln zur Lehrerin meiner Kindheit (die ist das genaue Gegenteil, eher mal zu viel Kontrolle, zu wenig Freiheit). Was hat sie geantwortet? Nein, Dich nehme ich nicht mehr, da müsste ich mich ja vorbereiten und sogar üben! Tsss :teufel:

Also die Bequemlichkeit. Klavierlehrer sind auch nur Menschen, grr.

Nein, ich bin bei meinem Lehrer geblieben und sehr zufrieden. Und mache gelegentlich deutlich, dass ich vor allem bei schweren Stücken mehr Hilfestellung brauche. Er hat sich jetzt darauf eingestellt und gibt sich deutlich mehr Mühe. Er ist nämlich ein sehr guter Mensch.

Sein Argument gegen zu viel Hilfe ist, dass man Schüler nicht zur vermeintlich "einzig richtigen" Bewegungsweise zwingen sollte und möglicherweise des Schülers eigene, natürliche Bewegungsimpulse verfälschen könnte. Oft gibt es nämlich mehrere Ausführungsarten. Darin liegt schon ein wahrer Kern. Aber alleine alles suchen und (nicht) finden, dauert für ganz neue Bewegungsformen viel zu lange.

Daher sind wir so verblieben: wir suchen bei problematischen Stellen die verschiedenen denkbaren Möglichkeiten (mehr Finger, mehr Hgl, Rotation, keine Rotation, Ellipsen, Zug und Schub etc.) und ich schaue dann zuhause, was mir taugt.
 
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