Fachbegriff gesucht

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Eine Frage an die Theoriefachleute unter uns:

Es gibt ein bestimmtes Fachwort für das Zusammenspiel von zwei Stimmen mit verschiedenem Metrum. Beispiele:

Walzer Op.42 von Chopin, die linke Hand spielt brav den ¾ Takt, während die Melodie in der Rechten jeweils auf einen Takt zwei Schläge zählt, also sind wir immer nach einem Takt mit der Periode durch.

Schubert Walzer, hier aus den Soirees von Liszt, die linke Hand spielt den ¾ Takt, die Melodie in der Rechten ist in zwei Takten mit der Periode durch.

Chopin Ballade Nr.2, Presto con fuoco, der erste Takt hat rechts Vierergruppen und links Dreiergruppen, der zweite Takt hat rechts Zweier und links Dreier, nach einem ganzen Takt sind wir wieder beieinander.

Das ist keine Polyrhythmik – wie heißen solche Gebilde aber dann? Wie heißt das zugehörige Fachwort? (Ein "Terminus technikus" - mit dem man einfach angeben kann :super:)

Fragende Grüße!

Walter

P.s.: Als Ausgleichssport könnt Ihr ja noch viele weitere Beispiele finden und posten!
Chopin-Waltz-op-42-page1-51c9042e59e8b.jpgSchubert.jpg Ballade Nr.2.jpg
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich würde mal sagen, dass die Grenzen zwischen Polyrhythmik und Polymetrik hier fließend sind.
 
Ich war gestern abend in einem Gesprächskonzert über alle vier Balladen von Chopin. Da wurden eben diese raffinierten Gestaltungen erwähnt und die Beispiele genannt - mit einem .... äh, Fremdwort/Schlagwort, das ich leider vergessen habe.
Der Pianist, Wolfgang Glemser, hat neben der Nocturne Op.9/2 alle vier Balladen und die A-Dur Polonaise besprochen und gespielt. - Ich durfte umblättern:denken: (weil sich sonst niemand gefunden hatte). - Außer den Chopin-Sachen des Programms hatte er noch das Es-Dur Nocturne von Field angespielt wie auch die Stücke mit den Notenbeispielen oben.
Es ist natürlich so ein Ding, den Leuten einschließlich Klangbeispielen vorneweg was zu erzählen und dann diese Stücke zu spielen, das würde ich auch nicht auswendig tun!

Walter
 
Wenn die Begriffe von Mick nicht das sind, was du suchst, meinst du Hemiole? Das passt auf den Schubert sehr gut.

lg marcus
 
Meinst Du vielleicht Hemiole?
Das passt bei diesen Beispielen mMn nicht, da der 3er Puls immer weiter hörbar ist, denn die 2-er Aufteilung nur in einer Hand stattfindet. Allein durch Optik entsteht keine Hemiole (korrigiert mich bitte), man muss in der Musik den Ausbruch aus dem vorherigen Metrum deutlich spüren.
 
Bei Ligeti kommen solche Vorgänge besonders häufig vor und finden oft auch Eingang in Satzbezeichnungen, dann italienisch "molto ritmico", also deutsch polyrhythmisch.
In meinem aktuellen Stück "Fanfares" laufen z.B. an einer Stelle sechzehn 7/8-Gruppen gegen vierzehn 8/8-Ostinato-Takte (immer aufgeteilt 3 + 2 + 3), man trifft sich auf Anfang, Mitte und Ende dieser Passage. Weitere Verwicklungen sind noch komplexer. Ich liebe sowas!

Grüße
Manfred
 
Treffer! :super::super:

Es muss "Hemiole" sein.
Zitat aus Musiklehre online: "Eine Hemiole bewirkt für einen kurzen Moment einen metrischen Wechsel. In ihr werden die Rhythmen und Harmoniewechsel so gesetzt, dass aus zweimal drei Schlägen ein so genannter «großer Dreier» wird, also in der Takt-gebundenen Musik z. B. aus zwei 3/4-Takten ein 3/2-Takt oder aus einem 6/8-Takt ein 3/4-Takt, ohne dass allerdings im Notenbild die Taktart geändert wird."
Wolfgang Glemser hat auch den Begriff "großer Dreier" für den Schubert verwendet.
Musikanna: passt beim Chopin-Walzer m.E. nur bedingt - vielleicht ein "kleiner Dreier", wie ihn Glemser angedeutet hatte ... oder ... nicht alles auf der Welt braucht einen Namen! :cry:

Jetzt bin ich wieder ein bisschen gescheiter geworden - vielen Dank!

Frohes Schaffen!

Walter
 
Nur in dem Schubert-Beispiel finden sich Hemiolen. In den beiden Chopin-Beispielen (Walzer und 2. Ballade) gibt es keine Hemiolen, sondern Polymetrik. Im Walzer überlagert ein 6/8-Takt den 3/4-Takt, in der Ballade ist es umgekehrt - da wird der 6/8 von einem 3/4 überlagert.

Das schönste Beispiel für Polymetrik findet man übrigens im Don Giovanni. Im Finale des ersten Aktes spielen drei Bühnenorchester gleichzeitig - das erste ein Menuett im 3/4, das zweite einen Contredanse im 2/4 und das dritte einen Deutschen Tanz im 3/8. Ein unfassbar genialer Einfall, hier ab 2'50:

View: https://www.youtube.com/watch?v=oeWCAzOyrqA


italienisch "molto ritmico", also deutsch polyrhythmisch
Die Bezeichnung "molto ritmico" hat mit Polyrhythmik nichts zu tun, es bedeutet übersetzt "sehr rhythmisch" und meint eigentlich "streng im Takt".
 
Mick,
vielen Dank für die Verlinkung des Don Giovanni - lieb, dass Du die Zeit angegeben hast, ich habe das Stück sehr genossen. Wirklich unfassbar genial, der Schalk Mozarts sprüht aus allen Knopflöchern!

Ich verabschiede mich jetzt aus dem Threat - Hemiole heißt das also, Hemiole als Sonderfall von Polymetrik, Hemiole also, Hemiole .... Hemiole ...[ ... ] wie war das nochmal? Hemiole!!!!

Walter
 
Ursprünglich ist Hemiolius ("anderthalb") eine Intervallbezeichnung; s. (unter vielen ähnlichen) die Handbuchdefinition bei Macrobius, Kommentar zum Somnium Scipionis 2.1.16:

Bei einem Hemiolius beinhaltet die größere der beiden Zahlen die kleinere zur Gänze und zusätzlich die Hälfte von ihr, wie beim Verhältnis 3:2. Denn drei beinhaltet zwei und die Hälfte davon, also eins. Aus diesem Zahlenverhältnis, Hemiolius genannt, ergibt sich der Akkord, der διὰ πέντε (Quinte) heißt.

In die Metrik übertragen scheint Hemiole also nichts weiter als eine Umschreibung für einen 3/2 - Takt zu sein, die auf den genannten Kontext der "Streckung" spezialisiert ist? Oder entgeht mir da grad etwas? Und weiß jemand zufällig, wann diese Übertragung stattgefunden hat? Die MGG setzt den Begriff voraus, erklärt ihn aber nirgends.
 


Kennzeichnend für die Hemiole ist, dass sie im zeitlichen Wechsel mit dem eigentlichen Takt auftritt - die Hemiole ist ein horizontales Phänomen. Bei Polymetrik ist das gleichzeitige Auftreten verschiedener Metren in unterschiedlichen Stimmen der entscheidende Punkt, es handelt sich also um ein vertikales Phänomen.

Die Hemiole ist nur dann ein Sonderfall von Polymetrik, wenn sie in einer separaten Stimme gleichzeitig zur normalen Dreiertaktung auftritt (die typischen Synkopen des Wiener Walzers könnte man als einen solchen Fall betrachten). Wesentlich öfter tritt die Hemiole aber in allen Stimmen parallel auf. Hier sind ein paar berühmte Beispiele:


View: https://www.youtube.com/watch?v=LaC5fGX-gwY


View: https://www.youtube.com/watch?v=Xvi5Gp33eEM



View: https://www.youtube.com/watch?v=GBRnhw8HLTc


Im letzten Beispiel gibt es (u.a.) in T. 9/10 und 13/14 auch polymetrische Hemiolen.
 
Zuletzt bearbeitet:
...
Die Bezeichnung "molto ritmico" hat mit Polyrhythmik nichts zu tun, es bedeutet übersetzt "sehr rhythmisch" und meint eigentlich "streng im Takt".

Mit meinen schwachen Italienisch-Kenntnissen und einem Hauch Spachgefühl hatte ich den gleichen Gedanken auch schon gehabt.
Was dagegen spricht, ist, dass Ligeti dieses Wortgebilde immer so benutzt hat, dass nur meine obige "Übersetzung" sinnvoll erscheint, also die Deutung des "molto" als multipel wie in "Multiple Sklerose". Liegt ja vielleicht an mangelnden Italienisch-Kentnissen des Komponisten. Die Deutung "streng rhythmisch" macht jedenfalls in den betroffenen Zusammenhängen keinen Sinn.

Grüße
Manfred
 
Liegt ja vielleicht an mangelnden Italienisch-Kentnissen des Komponisten.
Ganz bestimmt nicht. Ligeti hat ein rumänisches Gymnasium besucht. Und das Rumänische ist dem Italienischen sehr ähnlich. Er wusste mit Sicherheit ganz genau, was er da schrieb. Die Bezeichnung molto ritmico ist in der Musik des 20. Jahrhunderts weit verbreitet und meint eigentlich immer, dass man ohne jedes rubato, also streng im Takt spielen soll. Polyrhythmisch heißt auf Italienisch poliritmico, das würde kein ernstzunehmender Komponist verwechseln. Zumal poliritmico als Vortragsanweisung sinnlos wäre - es geht ja aus den Noten ohnehin hervor.
 
...
Zumal poliritmico als Vortragsanweisung sinnlos wäre - es geht ja aus den Noten ohnehin hervor.

Als Vortragsbezeichnung hab ich das eben gar nicht aufgefasst - sondern als Gattungsbezeichnung wie "Scherzo".
Aber da lag ich wohl tatsächlich daneben - und das schon Jahre - fast so lange, wie ich mich mit Ligeti beschäftige.
Du hast mich überzeugt!
Danke!

Grüße
Manfred
 
Ganz bestimmt nicht. Ligeti hat ein rumänisches Gymnasium besucht. Und das Rumänische ist dem Italienischen sehr ähnlich. Er wusste mit Sicherheit ganz genau, was er da schrieb.
Bevor er dieses Werk schrieb, war er in der Kenntnis italienischer Vortragsbezeichnungen sattelfest:
https://de.schott-music.com/shop/lontano-no175056.html

Überhaupt war er allein schon aufgrund seiner Herkunft zeitlebens mit unterschiedlichen Sprachen vertraut und hat beispielsweise vor Antritt seiner Gastprofessur in Stockholm binnen weniger Wochen die schwedische Sprache erlernt. "Molto ritmico" und "poliritmico" hätte er weder sprachlich noch inhaltlich verwechselt.

Wenn er im Notentext die stark rhythmische Komponente mit einer entsprechenden Vortragsanweisung hervorhebt, möchte er die Reibungen hervorgehoben wissen, die sich beim gleichzeitigen Ablauf unterschiedlicher Geschwindigkeiten zwangsläufig ergeben.

Ansonsten hat @mick mit seiner Anmerkung recht, dass das Rumänische wie das Italienische zu den romanischen Sprachen zählt und trotz seiner geographischen Lage viel weniger Gemeinsamkeiten mit den slawischen Sprachen hat - hier recht unterhaltsam erklärt:
https://www.youthreporter.eu/de/bei...essene-romanische-sprache.13042/#.Win0PtLibow

LG von Rheinkultur
 
P.s.: Als Ausgleichssport könnt Ihr ja noch viele weitere Beispiele finden und posten!
...Sport soll ja - als Ausgleich - gesund sein... :
1) wenn Achteltriolen fieserweise zu 16teln beschleunigt werden, die Spielfigur aber dieselbe bleibt, kommt mancher rhythmisch ins straucheln:
aus
Ausgleichssport 1a.jpg
wird:
Ausgleichssport 1.jpg
(ist keine Hemiole, sondern eine Etüde (Chopin op.25 Nr.5) - wenn Bewegungsgruppen/Spielfiguren nicht konform mit dem Taktmaß sind und dabei komplizierteres als quasi 2 zu 3 (was der Hemiole entspricht, hier ergibt sich aber 4 zu 3) entsteht, nennt man dergleichen manchmal auch Konfliktrhythmen sowie je nach Kontext Phasenverschiebung)

...und der Chopin konnte das gelegentlich noch krasser einsetzen:
Ausgleichssport 3.jpg
:) schon das Notenbild ist sehenswert, klingt übrigens verdammt gut (Ballade f-Moll)

aber der Chopin hat dergleichen auch rhythmisch einfacher mit riesiger Wirkung gestalten können:
Ausgleichssport 2.jpg
hier liegen ganz glasklar Zweiergruppen (je 2 Viertel, das erste davon spielt der 5. Finger rechts) über Dreivierteltakte verteilt vor (Scherzo Nr.3 cis-Moll)
...der dickliche Franzl vom Dreimäderlhaus hat sowas auch gern gemacht, Zweiergruppen im Dreiertakt, also Hemiolen:
Ausgleichssport 5.jpg
Schubert, Impromptu op.90 Nr.4

lesbarer, übersichtlicher wird dergleichen - egal ob rhythmische Phasenverschiebung, Konfliktrhythmen, allerlei hemiolisches - wenn sich die Verbalkung der vom Takt abweichenden Tongruppen nicht am Takt orientiert! Liszt hat die übersichtlichere Verbalkung oft genug verwendet, z.B. im Mephistowalzer:
Ausgleichssport 4.jpg
hier finden sich gleich mehrere solche Tricks :)
 

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