Der Tristan-Akkord

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Das ist ein absichtliches Zitat, das Liszt erst nachträglich in das Lied eingebaut hat. Komponiert hat er das Lied zwar vor dem Tristan, veröffentlicht allerdings erst, nachdem er zumindest den ersten Akt des Tristan kannte.

So ist es! Dennoch wird unter anderem sehr gerne genau diese Stelle als vermeintlicher Beleg dafür genommen, dass Wagner bei Liszt abgeschrieben hätte. Manfred Eger hat ausführlich beschrieben, dass das nicht so ist.

Manfred Eger: Die Mär vom gestohlenen Tristan-Akkord. Ein groteskes Kapitel der Liszt-Wagner-Forschung, Die Musikforschung, 55. Jg. 1999, H.4, S. 436-453

Inflationär häufig, allerdings enharmonisch verwechselt, findet man den Tristan-Akkord in Skrjabins Prelude op.27 Nr.1. Dadurch, dass der dort so häufig erklingt, erscheint er einem wie das Normalste der Welt.

Viele Grüße!
 
Noch ein Gedanke zur Verwendung des Tristan-Akkords bei Debussy im Gollywog.
Hier wird demonstriert, dass er sich auch als typischer Pfefferminzakkord im Operettenkontext eignet, nachdem man sich an leicht angeschrägte Akkorde auch in der Populärmusik gewöhnt hatte.

Grüße
Manfred
 
Noch ein Gedanke zur Verwendung des Tristan-Akkords bei Debussy im Gollywog.
Hier wird demonstriert, dass er sich auch als typischer Pfefferminzakkord im Operettenkontext eignet, nachdem man sich an leicht angeschrägte Akkorde auch in der Populärmusik gewöhnt hatte.

Die "Tristan-Akkorde" in Golliwog sind allerdings keine - es sind gewöhnliche D79 bzw. T56-Akkorde. Darin liegt ja der Witz der Stelle - Debussy hiolt zu einer großen Geste aus, schreibt dazu "avec une grande émotion" und bringt dann nichts anderes als Trivialharmonik.
 
Was macht der Wagner nun... Er bringt eine scharfe Dissonanz ("schräge Akkorde", huhu @walsroderpianist :-D) f-h-dis-gis.
@Troubadix mit Verlaub, was soll an dieser Dissonanz "scharf" sein? Der Akkord f-h-#d-#g enthält keine einzige kleine Sekundreibung!! Überhaupt findet sich in der kompletten Akkordfolge, die aus gewöhnlichen Septakkorden (mal mit Vorhalt, mal quintalteriert) besteht, keine einzige kleine Sekundreibung - tatsächlich scharf dissonante Intervalle fehlen da. Wenn du gerne scharfe Dissonanzen betrachten willst, wirst du schon lange vor Wagner bei Bach, Mozart, Beethoven, Chopin fündig ;-) A propos Chopin: in der g-Moll Ballade findet sich in der Einleitung die scharfe Dissonanz d-g-b-es, diese spielt zu Beginn des zweiten Tristanaufzugs eine motivisch prominente Rolle :-) (Saint-Saens hat sich sehr treffend über diese Dissonanz geäußert!)
...bon, all das hatten wir schon vor Jahren mal durchgekaut... (dass E7 wie eine Auflösung wirkt, dass in all der chromatischen Leittonharmonik der Vollschluss ausgespart wird, dass der "Tristanakkord" von Wagner erstmals als vieldeutige harmonische Weichenstellung verwendet wird usw usf)
sowas kommt vor :-D:drink:
 
Liszt notiert ja anstelle des Tristan-Akkords nur einen gewöhnlichen verminderten Septakkord. Ein "echter" Tristan-Akkord wäre in diesem harmonisch recht konventionellen Lied auch eher unpassend.
Was den Liszt betrifft, an den Wagner geschrieben hatte "durch dich bin ich harmonisch ein ganz anderer Kerl geworden" (sinngemäß zitiert), so findet sich der "Tristanakkord" als harmonische Weichenstellung und als Leittonakkord ziemlich oft in der h-Moll Sonate. Diese Sonate erblickte das Licht der Welt vor dem Tristan. Wagner kannte die Sonate und schätzte sie sehr!
Nein nein, f-h-#d1-#g1 kommt da nicht vor - aber als leittönige Vorhalte tauchen da alle Nase lang Septakkorde der II. Stufe der Mollskala (und das ist das Material des Tristanakkords!) auf und werden gänzlich anders als zuvor, nämlich leittönig, eingesetzt.
Überhaupt erweist sich die h-Moll Sonate im Detail als deutlich "fortschrittlicher" als die Tristanharmonik: da finden sich viel schärfere Dissonanzen und viel verblüffendere Akkordprogressionen als im Tristan! Aber diese den Tristan vorwegnehmende Harmonik macht nur ca. 30% der Sonate aus, die anderen 70% sind cum grano salis "traditioneller", diatonischer.

Das ist ja das ulkige an all den harmonischen Besonderheiten des Tristan (Leinttonharmonik, Dissonanzen usw.) - man findet ihre Details schon vor Wagner bei Beethoven, Weber, Berlioz, Chopin, Schumann, Liszt - aber niemand vor Wagners Tristan hat ein umfangreiches Werk komponiert, dass zu 90% der Spieldauer auf traditionelle Kadenzen und Diatonik verzichtet (!!) Nicht das Detail (Leittonharmonik, Dissonanzenketten, Chromatismen etc.) ist neu, sondern die effektvolle, nahezu ausschließliche Verwendung (sehr hübsch der Kommentar, dass innerhalb des Tristans traditionelle Kadenzharmonik (die es da auch gelegentlich gibt) geradezu falsch klingt - vgl. Pahlen)
 
@Troubadix mit Verlaub, was soll an dieser Dissonanz "scharf" sein?

Sie ist zumindest schärfer, als der E7, weswegen die Sache ja u.a. funktioniert. Ich wollte damit nicht sagen, dass keine schärferen Dissonanzen möglich wären oder jemals vorher vorgekommen wären.

...bon, all das hatten wir schon vor Jahren mal durchgekaut...

Darauf habe ich hingewiesen. Ist aber immer wieder schön...:drink:
 
Sie ist zumindest schärfer, als der E7, weswegen die Sache ja u.a. funktioniert.
Fast richtig (die beiden quintalterierten Septakkorde H7b5 und E7b5 wirken schärfer als die beiden gewohnten Septakkorde (Tristanakkord und E7)) - und die nächste Konsequenz ist, einzusehen, dass dieser Akkord um die Mitte des 19. Jhs. längst keine "scharfe" Dissonanz mehr war.
Sehr schön sehen kann ein wenig später als bei Wagner, dass gerade der Dissonanzgrad dieses Akkords ausgetestet wurde (und dass er in andere harmonische Kontexte eingesetzt wurde, die Wagner noch gar nicht gekannt oder ausprobiert hatte) - - hier lohnt sich ein Blick in Mussorgskis Bilder einer Ausstellung:
- in den Tuileries wirkt der Tristanakkord nahezu als Konsonanz
- im großen Tor von Kiew wird er im Glockengeläut (l.H.) alteriert (verschärft! da kommt dann eine kleine Sekundreibung)*)
- bei Mussorgski wird dieser Akkord zu einer Art Klangfarbe ohne sonderlichen harmonischen Bezug (!)
________________
*) im 1. Takt des Notenbeispiels ist der Tristanakkord in Umkehrung als as-Moll mit sixte ajoutee notiert (Subdominante zu Es-Moll bzw. II.7 der Es-Moll Skala, freilich hier als Färbung im Es-Dur Kontext)
im 2. Takt wird die Septime f-es verschärft zu fes-es (Sekundreibung)
Tristanakkord Spielerei.png
das hat der versoffene Modest ganz wunderbar gemacht!!!
 
Hab hier noch was, bevor ich es wieder lösche aus meinen temporären Recherche-Notizen bzgl. Wagner-Bereiche anderer Threads, vielleicht könnt Ihr damit was anfangen?

1.) Ein PDF: id.erudit.org/iderudit/029953ar
2.) Ein PDF: Dissertation von 2015, zur Verfügung gestellt von der Indiana University:
https://scholarworks.iu.edu/dspace/handle/2022/20567
3.) Ein PDF: Rechts kann man es runterladen, es ist von einem "Emil Ergo":
https://archive.org/details/ueberrichardwagn00ergo

Ich habe das dritte mittelmäßig genau gelesen: Es ist außerordentlich amüsant zu lesen, ein Zeitdokument, würde ich sagen, und es ist ersichtlich, dass der Verfasser Debussy (und andere) NICHT mag, es fallen Begriffe wie „idiotisch“ / „Idioten“ usw, wenn ich mich recht erinnere.

Die Chipstüten dürfen wohl geöffnet werden bei dem kl. Büchlein! :super::-D:drink::drink:

Viele Grüße, -Rev.-
 

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