Ein paar Gedanken zum Tristan-Akkord...
Was im Detail dort passiert und wie man den deuten kann, ist im Forum schon öfter besprochen worden...
hier zum Beispiel von rolf zusammengefasst.
Sehr schöne Vorarbeit hat Wagner in der Walküre geleistet, was
hier ebenfalls bereits besprochen wurde.
Die klassische Dur/Moll-Tonalität ist ein formales System mit Axiomen und Schlussregeln. Die Axiome definieren, welche Intervalle Konsonanten sind und welche Dissonanten sind . Die Schlussregeln definieren die Akkordverbindungen und die Akkordfortschreitungen. Sie definieren damit die Funktionen der Akkorde.
Nun hat man auch vor Wagner schon gesagt, dass Dissonanzen völlig OK sind. Die bringen Spannung in die Musik und machen die Sache erst interessant. Der Komponist soll aber bitte zusehen, dass er bei Gelegenheit daraus wieder eine Konsonanz macht. Und durch die Schlussregeln wird mal grob die Richtung vorgegeben, in die der Komponist dabei gehen kann. Wenn wir mit unseren Hörgewohnheiten eine typische Schlusskadenz hören, dann wissen wir im Prinzip schon, was nach D7 kommt und würde die Musik dort einfach stehen bleiben, würde uns etwas fehlen. Wenn Komponisten das vor Wagner gemacht haben (wofür es ja einige Beispiele gibt), wollte sie genau diesen Effekt erreichen.
Was macht der Wagner nun... Er bringt eine scharfe Dissonanz ("schräge Akkorde", huhu
@walsroderpianist ) f-h-dis-gis. Der ist erstmal nicht so leicht zu fassen. Man weiß nicht so recht, woher der kommt und da es sich um einen alterierten Akkord handelt weiß man auch nicht so recht, wohin der gehen will. Die Funktion ist erstmal nicht eindeutig bzw. ist sie mehrdeutig. Der Tristan ist aber selbstverständlich noch ein tonales Werk und den Regeln zufolge, muss Wagner aus dieser scharfen Dissonanz, irgendwie wieder einen konsonante, wohlklingende Harmonie machen.
Und wenn man das spielt (am Klavier ausprobieren)...
...klingt das, was da am Ende übrig bleibt doch eigentlich ganz OK. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass da am Ende aber ein E7 steht. Das ist ein dissonanter Akkord und nach den Schlussregeln müsste er den z.B: nach a-Moll auflösen...macht er aber nicht. Und das Geniale dabei ist, dass das für unser Ohr völlig in Ordnung ist. Man kann das gerne mal spielen und einen a-Moll-Akkord hinterherspielen. Das klingt irgendwie überflüssig und deplatziert. Wagner schafft das durch mehrere Effekte. Ein wichtiger Effekt ist zum Beispiel, das er diesen scharf dissonanten Tristan-Akkord mit Akzent, also laut spielen lässt und zum E7 hin leiser wird, so wie wir es gewohnt sind (Dissonanz lauter als Konsonanz). Absolut genial kommt dieser Effekt in der Todesverkündigung (Walküre) zur Geltung mit den anschwellenden Akkorden in den Tuben.
Zurück zum E7. Dadurch, dass unser Ohr diesen Akkord als Ergebnis der Akkord-Progression akzeptiert, verschwindet also auch die Auflösungsnotwendigkeit. Der Akkord, der hier eigentlich der D7 wäre (wir befinden uns in a-Moll) wird somit seiner Funktion beraubt. Wir nehmen aber sehr wohl noch ein bisschen war, dass mit diesem Akkord, dieser emanzipierten Dissonanz, irgendwas nicht stimmt. Man hört eine gewisse Klangfarbe, die an die Stelle der Funktion tritt.
Jetzt geht es aber noch weiter, denn die Oper ist ja ganz schön lang. Wagner weiß genau, was er da macht und dass das etwas Neues und für die Hörer Ungewohntes ist, daher erzieht er zunächst sein Publikum (in der Walküre macht er das ebenfalls). Nach diesen ersten paar Takten herrscht kurze Stille. Der Zuhörer kann ganz kurz verdauen, was er da gerade gehört hat. Und damit der Zuhörer dieses Neue endgültig akzeptieren kann, wiederholt Wagner das Ganze noch mal eine kleine Terz höher (nur aus der kleinen Schicksals-Sexte zu Beginn wird die noch schmerzhafterer große Sexte) und spätestens nach dieser Wiederholung ist alles in Butter. Probiert bitte mal am Klavier aus wie fantastisch diese Wiederholung wirkt und wie fast selbstverständlich uns der G7 am Ende erscheint.
Wenn man sich den Tristan nun weiter anschaut stellt man fest, dass sich der Tristan-Akkord in unterschiedlichste Tonarten auflösen kann. Manchmal kommt auch ein Ton im Bass hinzu, was eine eindeutige Funktionsbestimmung möglich macht.
Und nun kommt das Fatale: Vergleicht man die unterschiedlichen Situationen, in denen der Akkord vorkommt mit allen enharmonischen Verwechslungen etc. kommt man zu dem Schluss, dass sich kein Schluss ziehen lässt. Die jeweiligen Zieltonarten scheinen in keinem Zusammenhang zu stehen. Der Akkord passt sich einfach den unterschiedlichsten Situationen an und ändert seine Bedeutung je nach Zusammenhang.
So...jetzt fällt mir nichts mehr ein.
Viele Grüße!