Ein Vierermetrum liegt dann aber auch bei einem 3/4-Takt mit viertaktigen Phrasen vor. Auch diesen könnte man als 12/8-Takt oder auch als 4/4-Takt mit Triolen notieren.
Lieber Demian,
nein, bei einer viertaktigen Phrase im 3/4-Takt ist es auf keinen Fall ein Vierermetrum, sondern ein Dreiermetrum. Mir scheint, du schmeißt die Begrifflichkeiten und dazugehörigen Möglichkeiten in Klang und Ausführung etwas durcheinander.
Beim Hören oder Interpretieren von Musik laufen neben dem vordergründigen Gesamtklang der Musik im Hintergrund viele verschiedene musikalische Ebenen/Parameter ab. Ich nenne den Gesamtklang gern das, was auf der Bühne präsentiert wird und nenne das, was sich dahinter verbirgt als das, was sich hinter dem Vorhang abspielt.
Im Hintergrund laufen musikalische Parameter wie Puls, Metrum, Rhythmus, Phrasierung, Form, harmonisches Gerüst, Tempo, Agogik, Dynamik, Artikulation, Struktur, Analyse u.a. ab.
Ein Stück zu interpretieren bedeutet, es auf all diese Parameter zu untersuchen, "durchzuhören" und Entscheidungen zu treffen.
Je geübter ein Hörer/Interpret ist und je mehr er weiß, desto mehr hört er beim Gesamtklang eines Stücks die Dinge hinter dem Vorhang und desto geübter und verständnisvoller kann er mit einem Notentext umgehen.
Zum Puls:
Den meisten Kompositionen liegt ein Puls zu Grunde. Ein fließender, gleichmäßiger, atmender, NICHT mathematisch oder metronomisch auf die Hundertstelsekunde ausgerechneter (= starrer) Grundschlag. Einem Herzschlag im Ruhezustand durchaus vergleichbar.
Zum Metrum:
Auf dieses Band von pulsierenden Grundschlägen werden Betonungen gesetzt, im Fall eines 3/4-Taktes im Abstand von drei, im Fall eines 4/4-Taktes im Abstand von 4 Pulsschlägen, wobei beim 4/4-Takt noch eine kleinere Betonung auf jeder dritten Zählzeit hinzukommt.
Denn, hurra, es ist keine rein mathematische Angelegenheit, sondern jede Taktart hat wegen dieser Betonungen ihren ganz eigenen Charakter. Es ist kein Zufall, dass leichte, schwingende Tänze wie Walzer und Menuett im 3/4-Takt, Märsche u.a. aber in Stücken mit geraden Takten (2/4 -, 4/4-Takt ...) stehen.
Indem wir also auf das Band aus Pulsschlägen Betonungen setzen, entstehen Zeiteinheiten, die sich immer wiederholen (Metrum = Betonungsordung, s. auch Versmaß in einem Gedicht). Eine dieser Zeiteinheiten bezeichnet man als Takt, abgegrenzt voneinander werden sie durch einen Taktstrich.
Über Puls und Metrum erklingen in einer Komposition nun Gruppierungen von Noten unterschiedlicher Länge/Zeitdauer (= Rhythmus). Puls, Metrum, Takt, Rhythmus sind in dichtem Wechselspiel miteinander verknüpft.
Wenn du nun vier Takte im 3/4-Takt spielen möchtest, hast du Betonungen auf jeder ersten Zählzeit eines Taktes, was dem Charakter und Wesen eines 3/4-Taktes entspricht. Also vier Mal eine erste Taktzeit.
Wenn du einen Takt im 12/8-Takt spielen möchtest, hast du einen Takt im Vierermetrum, Betonungen auf 1,4,7,10). Dieses Vierermetrum hat den Charakter eines 4er Taktes (4/4-Takt .., Betonungen auf 1 (stärker) und 3 (schwächer)). Das bedeutet, dass die 1. ZZ die stärkste Betonung hat und die 7.ZZ die zweitstärkste. Wenn du das Nocturne darauf untersuchst, wirst du dies auch feststellen.
Das ist etwas ganz anderes als die vier Mal Betonungen auf der ersten Zählzeit im 3/4 Takt des obigen Beispiels.
3/4-Takt (4 Takte):
123
123
123
123
12/8-Takt (1 Takt):
123
456
789
101112
Ich hoffe, es geht aus der Grafik hervor, wie ich es meine.
Dann ist es ein gewaltiger Unterschied, ob das
Metrum einen Takt in vier Betonungen unterteilt oder ob ein
Formabschnitt (Phrase) vier Takte lang ist! Denn wie diese Takte nun phrasiert werden, ist keinesfalls gleichzusetzen mit einem Metrum. Es hängt davon ab, in welchem Kontext diese Phrase auftritt, ob es sich möglicherweise um einen Vordersatz oder einen Nachsatz handelt, welches harmonische Gerüst der Phrase zugrunde liegt, wie sich die melodische Linie gestaltet ... . Man muss das unbedingt unterscheiden und man muss auch wissen, was genau die musikalischen Parameter meinen, welche Gestaltungsspielräume sie bieten und welche nicht.
Dieses Nocturne ist von Chopin mit Sicherheit unbedingt und bewusst als 12/8-Takt notiert worden. Du kannst ja mal den ersten Takt als vier mal einen 3/4-Takt spielen. Es wird fürchterlich klingen.
Liebe Grüße und Prosit Neujahr!
chiarina