Chopin op. 9 Nr. 2 – Nocturne in Es-Dur

  • Ersteller des Themas Maingold
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@rolf
Dass ein Zwölfachtel-Takt kein Walzertakt ist, ist mir klar, schrieb ich oben ja auch bereits. Dennoch haben beide das Dreiermetrum gemeinsam. Und die Metronom-Angabe (vermutlich nicht von Chopin?) bezieht sich auf die Achtel und nicht auf punktierte Viertel, womit eine Interpretation der Achtel als Quasi-Viertel zumindest suggeriert werden könnte.
 
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Schade dass die vom TE angekündigte zweite Aufnahme nicht gekommen ist.
 
@rolf
Dass ein Zwölfachtel-Takt kein Walzertakt ist, ist mir klar, schrieb ich oben ja auch bereits. Dennoch haben beide das Dreiermetrum gemeinsam.
Lieber Demian,

ein 12/8tel-Takt ist ein Vierermetrum! Spiel mal nur die Bässe plus rechts, dann wird es nicht nach einem Walzer klingen (zudem gibt es in der mittleren Klangschicht noch Seufzermotive).

Liebe Grüße

chiarina
 
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Mein Kommentar war gerade totaler Quatsch. Daher gelöscht. Frohes neues.

Ich kann Demian aber verstehen. Man könnte das Stück wohl entarten und als Walzer spielen. Kann mit mit Last Christmas auch machen. Mit dem Nocturne hier ist es leichter.
 
Ein Vierermetrum liegt dann aber auch bei einem 3/4-Takt mit viertaktigen Phrasen vor. Auch diesen könnte man als 12/8-Takt oder auch als 4/4-Takt mit Triolen notieren.
 
Klar.
Und wenn man das Stück als drei Viertel Takt schreibt und die Notenwerte verdoppelt, hat man einen Walzer ohne einen Ton zu ändern.
Deswegen würde das gut klappen und ich verstehe deinen Gedanken total. Ist halt von Chopin anders notiert. Ich finde aber das hat auf jeden Fall auch was von einem Walzer. Aber was weiß schon ich :016:
 
Auch diesen könnte man als 12/8-Takt oder auch als 4/4-Takt mit Triolen notieren.
-- Man könnte sich sicherlich auch berufen fühlen, den tuberkulösen Dilettanten Chopin zu verbessern, indem man sein op.9 Nr.2 abschreibt (sehr kreativ!) und Taktstriche sowie Notenwerte ändert, sodass das glanzvoll verbesserte Werk im Dreivierteltakt erstrahlt - - man könnte bei diversen Verlagen (Schott, Henle usw) anfragen, ob diese Interesse an besagtem Projekt haben.
-- Man könnte auch versuchen, die Notation von Chopin verstehen (unter der Voraussetzung, dass man dem Chopin zutraut, was von der Sache verstanden zu haben)
Mir wird auch über den Jahreswechsel hinweg nicht klar, was die Nörgelei am 12/8-Takt nebst Fehldeutung als Walzer bringen soll...
 
@rolf
Mir geht es überhaupt nicht um Kritik an der gegebenen Notation, sondern um eine Auseinandersetzung mithilfe eines Perspektivwechsels. Das wird der aufmerksame Leser auch bemerkt haben.
So sehr ich deine Expertise schätze: Warum unterstellst du so oft erstmal niedere Beweggründe oder fehlende Sachkenntnis?
 
@Demian viel Freude am walzertaktigen Perspektivwechsel! Ich kann dir zu diesem zwar nichts empfehlen (da fällt mir nur viermal schunkeln je Originaltakt ein), bin aber guter Dinge, dass das enorm hilfreich ist. Mit Interesse werde ich deine Erkenntnisse lesen, sofern du diese hier vorstellen willst.
 
Ein Vierermetrum liegt dann aber auch bei einem 3/4-Takt mit viertaktigen Phrasen vor. Auch diesen könnte man als 12/8-Takt oder auch als 4/4-Takt mit Triolen notieren.
Lieber Demian,

nein, bei einer viertaktigen Phrase im 3/4-Takt ist es auf keinen Fall ein Vierermetrum, sondern ein Dreiermetrum. Mir scheint, du schmeißt die Begrifflichkeiten und dazugehörigen Möglichkeiten in Klang und Ausführung etwas durcheinander. :002:

Beim Hören oder Interpretieren von Musik laufen neben dem vordergründigen Gesamtklang der Musik im Hintergrund viele verschiedene musikalische Ebenen/Parameter ab. Ich nenne den Gesamtklang gern das, was auf der Bühne präsentiert wird und nenne das, was sich dahinter verbirgt als das, was sich hinter dem Vorhang abspielt.

Im Hintergrund laufen musikalische Parameter wie Puls, Metrum, Rhythmus, Phrasierung, Form, harmonisches Gerüst, Tempo, Agogik, Dynamik, Artikulation, Struktur, Analyse u.a. ab.

Ein Stück zu interpretieren bedeutet, es auf all diese Parameter zu untersuchen, "durchzuhören" und Entscheidungen zu treffen.

Je geübter ein Hörer/Interpret ist und je mehr er weiß, desto mehr hört er beim Gesamtklang eines Stücks die Dinge hinter dem Vorhang und desto geübter und verständnisvoller kann er mit einem Notentext umgehen.

Zum Puls:

Den meisten Kompositionen liegt ein Puls zu Grunde. Ein fließender, gleichmäßiger, atmender, NICHT mathematisch oder metronomisch auf die Hundertstelsekunde ausgerechneter (= starrer) Grundschlag. Einem Herzschlag im Ruhezustand durchaus vergleichbar.

Zum Metrum:

Auf dieses Band von pulsierenden Grundschlägen werden Betonungen gesetzt, im Fall eines 3/4-Taktes im Abstand von drei, im Fall eines 4/4-Taktes im Abstand von 4 Pulsschlägen, wobei beim 4/4-Takt noch eine kleinere Betonung auf jeder dritten Zählzeit hinzukommt.

Denn, hurra, es ist keine rein mathematische Angelegenheit, sondern jede Taktart hat wegen dieser Betonungen ihren ganz eigenen Charakter. Es ist kein Zufall, dass leichte, schwingende Tänze wie Walzer und Menuett im 3/4-Takt, Märsche u.a. aber in Stücken mit geraden Takten (2/4 -, 4/4-Takt ...) stehen.

Indem wir also auf das Band aus Pulsschlägen Betonungen setzen, entstehen Zeiteinheiten, die sich immer wiederholen (Metrum = Betonungsordung, s. auch Versmaß in einem Gedicht). Eine dieser Zeiteinheiten bezeichnet man als Takt, abgegrenzt voneinander werden sie durch einen Taktstrich.

Über Puls und Metrum erklingen in einer Komposition nun Gruppierungen von Noten unterschiedlicher Länge/Zeitdauer (= Rhythmus). Puls, Metrum, Takt, Rhythmus sind in dichtem Wechselspiel miteinander verknüpft.

Wenn du nun vier Takte im 3/4-Takt spielen möchtest, hast du Betonungen auf jeder ersten Zählzeit eines Taktes, was dem Charakter und Wesen eines 3/4-Taktes entspricht. Also vier Mal eine erste Taktzeit.

Wenn du einen Takt im 12/8-Takt spielen möchtest, hast du einen Takt im Vierermetrum, Betonungen auf 1,4,7,10). Dieses Vierermetrum hat den Charakter eines 4er Taktes (4/4-Takt .., Betonungen auf 1 (stärker) und 3 (schwächer)). Das bedeutet, dass die 1. ZZ die stärkste Betonung hat und die 7.ZZ die zweitstärkste. Wenn du das Nocturne darauf untersuchst, wirst du dies auch feststellen.

Das ist etwas ganz anderes als die vier Mal Betonungen auf der ersten Zählzeit im 3/4 Takt des obigen Beispiels.

3/4-Takt (4 Takte): 123123123123

12/8-Takt (1 Takt): 123456789101112

Ich hoffe, es geht aus der Grafik hervor, wie ich es meine. :008::003:

Dann ist es ein gewaltiger Unterschied, ob das Metrum einen Takt in vier Betonungen unterteilt oder ob ein Formabschnitt (Phrase) vier Takte lang ist! Denn wie diese Takte nun phrasiert werden, ist keinesfalls gleichzusetzen mit einem Metrum. Es hängt davon ab, in welchem Kontext diese Phrase auftritt, ob es sich möglicherweise um einen Vordersatz oder einen Nachsatz handelt, welches harmonische Gerüst der Phrase zugrunde liegt, wie sich die melodische Linie gestaltet ... . Man muss das unbedingt unterscheiden und man muss auch wissen, was genau die musikalischen Parameter meinen, welche Gestaltungsspielräume sie bieten und welche nicht.

Dieses Nocturne ist von Chopin mit Sicherheit unbedingt und bewusst als 12/8-Takt notiert worden. Du kannst ja mal den ersten Takt als vier mal einen 3/4-Takt spielen. Es wird fürchterlich klingen. :004:

Liebe Grüße und Prosit Neujahr!

chiarina
 

@chiarina
Danke für die Ausführungen. Das leuchtet mir natürlich ein. Allerdings ist ein Metrum in der Betonung der Zählzeiten doch nie komplett auf das Grundschema der Betonungen festgelegt, sondern lässt immer mal wieder Abweichungen zu. Im 12/8-Takt werden in einem Stück nicht ständig die 1 und die 7 stärker betont als die 4 und die 10, in diesem Nocturne z.B. in Takt 7 zu beobachten, wo die 4 die am stärksten betonte Zählzeit ist. Dadurch könnte der Takt doch auch als viertaktige Phrase aufgefasst werden, oder?
 
Dieses Nocturne ist von Chopin mit Sicherheit unbedingt und bewusst als 12/8-Takt notiert worden. Du kannst ja mal den ersten Takt als vier mal einen 3/4-Takt spielen. Es wird fürchterlich klingen. :004:
Achtung, es folgt ein Schulmusiker-Witz: Warum ist der erste Satz von Mozarts "Kleiner Nachtmusik" ein Menuett? Also dieses Musikstück, das mit "Taaaa - ta - taaaa - ta - ta - ta - ta - ta - taaaa" anfängt? Ist doch klar: Dreiertakte in alter Musik sind Menuette, Dreiertakte in neuer Musik sind Walzer - und Mozart hat alte Musik kompostiert, oder so. Einfach zur Musik richtig zählen: Eins - zwei - drei - und - Eins - zwei - drei - und - Eins...!
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Verwandtes Beispiel aus der Popularmusik: viele Rocknummern und Balladen der 1960er sind als 12/8-Takt notiert und der Viererbeat ist ganz klar zu spüren. Niemand käme auf die Idee, hier etwas Walzerartiges zu erspüren:



Also ein 4/4-Takt mit triolischem Charakter und eben nicht 3+3+3+3 Achtel, die zu Viertaktketten zusammengefasst werden.

Man könnte das Stück wohl entarten und als Walzer spielen.
"Entstellen" wäre das richtige Wort. Entartete Musik gab es erst anderthalb Jahrhunderte später. Wie man einen Walzer entartenentstellen kann, zeigen die "Söhne Mülheims", erst das Original, dann die Coverversion:







LG von Rheinkultur
 
Verwandtes Beispiel aus der Popularmusik: viele Rocknummern und Balladen der 1960er sind als 12/8-Takt notiert und der Viererbeat ist ganz klar zu spüren. Niemand käme auf die Idee, hier etwas Walzerartiges zu erspüren:
Natürlich nicht. Hier ist ja auch nicht das walzertypische Muster Basston - Akkord - Akkord vorhanden, das op. 9 Nr. 2 jedoch enthält.

Ich habe inzwischen übrigens mal ein paar Walzer von Chopin mit diesem Nocturne verglichen. Und da fällt auf, dass die Melodie des Hauptthemas im Nocturne einen vollkommen anderen Gestus hat als die eher kleinmotivisch angelegten Melodien der von mir untersuchten Walzer.
 
Wenn ich mir aber vorstelle, dass es - trotz der unterschiedlichen Taktart - eigentlich ein Walzer ist, kann ich mich damit mehr identifizieren.
Wenn ich mich recht an meine Grundausbildung im Fach Formenlehre erinnere, ist der gemeine Walzer kein 3/4, sondern ein 6/4 Takt. Damit hat man zwei Schwerpunkte - wie auch in dem Nocturne - und der zweite ist leichter als der erste.
Und ich finde es durchaus legitim und nachvollziehbar, bei diesem Nocturne in das Gefühl eines langsamen Walzers zu kommen.
Abgesehen davon: wer heilt, hat Recht. Wenn die Musik Dir etwas sagt, wenn Du sie als Walzer empfindest, und Du ihr damit näher kommst, dann ist Dein Weg der rechte.
So sehe ich das. (für mich ist es auch ein langsamer Walzer ;-) , das Schöne an ihm sind die schwebenden Schritte )
 
Hier ist ja auch nicht das walzertypische Muster Basston - Akkord - Akkord vorhanden, das op. 9 Nr. 2 jedoch enthält.
ist das, was dir als "walzerartig" aufstößt, denn permanent der Fall im op.9 Nr.2 Nocturne?
walzerartig ist das nicht.png
zumindest im 2. und 3. Takt des Notenbeispiels dürfte auf den ersten Blick sichtbar sein, dass das vermeintlich durchgehende Muster Bass-Akk-Akk eben nicht permanent...
 
Ein langsamer Walzer zeichnet sich gerne dadurch aus, dass wir ein Viertel und eine halbe Note in der Begleitung haben.
Die Viertel ist der Bass, und die Halbe der Akkord.
Wenn man sich den Tanz anschaut, dann sieht man, dass dieses Halten auf der zweiten Zählzeit eine Besonderheit dieses Tanzes ist. Die drei schwebt über der halben.
(Au wei, erkläre einen Tanz.... :008: )
Also nix mit WummTaTa
 
Allerdings ist ein Metrum in der Betonung der Zählzeiten doch nie komplett auf das Grundschema der Betonungen festgelegt, sondern lässt immer mal wieder Abweichungen zu. Im 12/8-Takt werden in einem Stück nicht ständig die 1 und die 7 stärker betont als die 4 und die 10, in diesem Nocturne z.B. in Takt 7 zu beobachten, wo die 4 die am stärksten betonte Zählzeit ist. Dadurch könnte der Takt doch auch als viertaktige Phrase aufgefasst werden, oder?
Lieber Demian,

nein! :003: Denn dann würde die gesamte Phrasenstruktur der Komposition zerstört! Man schaue sie sich an:

Chopin op. 9,2.PNG

Wir haben hier eine achttaktige Phrase bis T.9, die sich in zwei gleichlange viertaktige Phrasen aufteilt. Es ist für die Interpretation sehr wichtig, ein Gefühl und Verständnis für die Länge der Phrasen zu haben, also für das, was kommt (wenn man ein Regal baut, muss man auch wissen, wie lang die Hölzer sein müssen :007:).

Wenn du nun T. 7 als eine viertaktige Phrase auffasst, gerät alles durcheinander, die gesamte Form und Struktur. Richtiger ist, dass das Metrum nur ein Kriterium von vielen ist (s. mein letzter Beitrag), das die Phrasierung bestimmt.

Wenn also deiner Meinung nach in T.7 ein Höhepunkt der Phrase auf der vierten Zählzeit erklingt, steht dieser einfach nur den metrischen Schwerpunkten entgegen. Das passiert allerdings in Phrasen öfters und heißt nicht, dass man hier ein anderes Metrum oder sogar einen gedachten Taktwechsel empfinden sollte.

Es ist auch die Frage, ob das wirklich so ist. Der Bogen (Seufzermotiv) auf der 3. Zählzeit (!) sagt etwas anderes, die Harmonik würde deine Sicht erlauben. Die Welt der Möglichkeiten zu erkunden, ist das, was mich fasziniert! :)

Das Nocturne als langsamen Walzer zu begreifen, gehört zu der Welt der Möglichkeiten nicht dazu. :002: Die gesamte Struktur würde sich verändern, nix mehr mit achttaktiger Phrase, diese Sicht hätte z.B. auch gewaltige Auswirkungen auf die Wahl des Tempos. Bei einem Walzer sind die Pulsschläge immer die 1,2,3 - hier also die Achtel. Das Tempo wäre dann viel langsamer zu nehmen, denn schnelle Pulsschläge bei einem langsamen Walzer widerspricht sich völlig und gibt es nicht. Das Stück würde zerfallen.

Durch den 12/8-Takt sind hier vielmehr die punktierten Viertel die Taktschwerpunkte (die 1,4,7,10)! Man schaue dazu auch auf die staccato-Punkte im ersten Takt unter den Bässen. Man sieht das Vierermetrum sogar. Sie erklingen im ruhigen Tempo und wir bekommen sofort ein Gefühl für Tempo und Charakter, wenn wir Bass und Melodie zusammen spielen ohne die innenliegenden Akkorde. Das Tempo ist hier fließender, aber durch das Vierermetrum wirkt es trotzdem ruhig. Mein Argument der verschiedenen Taktschwerpunkte aus meinem letzten Beitrag finde ich ebenso sehr überzeugend. :D

Das Tempo ist also deutlich fließender als bei einem langsamen Walzer. Das für mich wichtigste Argument ist aber das Zerfallen der Struktur des Stücks in jeder Hinsicht.

Liebe Grüße

chiarina
 
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