Der hat sie wegen einer Anderen verlassen, und mit dem es-Moll-Mittelteil hat Brahms ohne Zweifel die Trauer der Mutter über die Untreue des Mannes gemeint. Das Lamento der Lady ist kein verzweifelter Aufschrei, sondern tiefe, stille Resignation - sie liebt den Untreuen ja immer noch.
Lieber mick,
ich frage mich bei solchen außermusikalischen Bezügen immer, inwieweit sie in die Komposition einfließen. Ich dachte auch, weil das hier im Faden schon angesprochen wurde, dass der Bezug klar war.
Für mich ist wichtiger, was in der Komposition selbst steht. Auch was Brahms selbst über diese Stücke geschrieben hat, er nannte sie "Wiegenlieder
meiner Schmerzen". Ich glaube, dass sehr viel Persönliches in diesen Stücken eingefangen ist und das Motto bzw. Gedicht den Anstoß gab, aber nicht in irgendeiner Weise programmatisch zu deuten ist.
Ich empfinde den Mittelteil als außerordentlich vielschichtig. Resignation - ich würde es lieber tiefe Trauer nennen - ist natürlich wesentlicher Bestandteil. Aber nicht der einzige. Resignation ist für mich etwas Statisches - man bewegt sich kaum noch und hat keine Hoffnung mehr.
Hier ist aber im Vergleich zum Teil vorher die Wirkung durch die Sechzehntel fließender, auch wenn das Tempo insgesamt langsamer ist. Auch durch die cresc./decresc. geschieht etwas. Die Frage ist, was. Dann die Registerwechsel in der rechten Hand. Was bedeutet das, warum ist es so komponiert, wie klingt es, was soll es ausdrücken?
Wenn man denn einen Bezug zum Gedicht herstellt, besteht er aus meiner Sicht darin, dass immer das Kind im Mittelpunkt steht. Auch im Mittelteil! Nicht umsonst hat Brahms die besagte Strophe an den Anfang der Komposition gestellt. Dann ergibt es auch Sinn, dass der Mittelteil so vielschichtig ist: die Liebe zum Kind, die sich auch in Zärtlichkeit ausdrückt. Große Trauer, aber vielleicht auch Trost (Zitat:"
Mein Kind und ich, wir wollen leben; In Trübsal wird es Trost mir geben –"), ich finde immer, dass dort auch ein wenig Licht zu finden ist. :)
Was es nun aber ist, was man damit verbindet, ist so individuell wie es Menschen gibt, die das Stück spielen. Den Bezug zu kennen ist wichtig, denn es dient zum Verständnis. Aber was man persönlich mit der Musik verbindet, kann ganz unterschiedlich sein. Für florg ist es aus meiner Sicht wichtig, was ER damit verbindet, welche Saiten die Klänge in ihm anschlagen, welche Bilder auftauchen, ob überhaupt Bilder auftauchen etc.. Im Unterricht oder im Spiel ist es nicht wichtig, ob er sich in die Lady einfühlen kann, sondern was in ihm ist, wenn er diese Stelle spielt und hört.
Und existenziell wichtig ist für mich da der Notentext. Durch ihn wird deutlich, was Brahms wollte und evtl. aus dem Gedicht mitnimmt. Der Mittelteil könnte ja theoretisch auch ein Aufbegehren sein oder Verzweiflung ausdrücken. Durch das sempre pp etc. wird aber völlig klar, dass es das nicht sein kann.
Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen finde ich immer sehr berührend, bereichernd und spannend!
Liebe Grüße
chiarina