Ich gehe dann mal mit gutem Beispiel voran
Ich wollte diesen Bericht schon eher schreiben, bin aber einfach nicht dazu gekommen.
Da ich schon öfter im Sommer auf diversen Singwochen teilgenommen und das immer sehr genossen hatte, wollte ich so etwas schon länger auch mal für Klavier ausprobieren. Hatte auch ab und zu recherchiert, was es da gibt, aber primär Meisterkurse und andere Veranstaltungen für Profis gefunden.
Im Frühjahr fiel mir dann eine Broschüre der Sommerakademie der Grazer Kunstuni in die Hände, in der ich dann einen 5tägigen Klavierkurs entdeckte, der auch für Amateure offen war. Leitung: Prof. Peter Jozsa, der seit 2013 eine Professur an der Grazer Kunstuni (genauer an deren Expositur in Oberschützen, Burgenland) innehat.
Da es für mich terminlich gut gepasst hätte, habe ich zunächst dort im Sekretariat nachgefragt und da die erste Auskunft ermutigend klang, Herrn Jozsa per E-Mail kontaktiert, meinen Hintergrund geschildert (erwachsener Wiedereinsteiger, Stücke, an denen ich gerade arbeite) und gefragt, ob sein Kurs für "so jemanden" auch offen stünde. Auf seine prompte Antwort, in der er mir versicherte, ich sei mehr als willkommen, habe ich mich dann auch gleich angemeldet.
Er war auch sehr offen, was die Stücke angeht, die ich mitbringen wollte, es sei durchaus ok auch Stücke mitzubringen, die man sich noch erarbeitet.
Meiner KL war aber sehr wichtig, dass ich auch ein zwei "fertige" Stücke zeigen kann. Sie hat sich, glaube ich, mehr Sorgen gemacht als ich, was das Niveau dieses Kurses und die Erwartungshaltung des Professors angeht. Wie sich dann herausgestellt hat, waren diese Sorgen unbegründet.
Wir waren insgesamt sechs Teilnehmerinnen. Eine junge Ungarin, die sich auf eine Aufnahmeprüfung für das Konzertfach vorbereitete, eine Schülerin aus dem lokalen Musikgymnasium, die vielleicht in zwei Jahren an die Kunstuni gehen möchte, eine Amateurin aus Deutschland, um die 60, die sich auf den Amateurwettbewerb in Aachen (glaub ich) vorbereitete, eine Studentin der Anthropologie aus Slowenien, eine deutsche Teilnehmerin auf Anfängerniveau (hat erst Mitte 30 mit dem Klavierspiel begonnen) und ich. Also passten nur die ersten drei in das Bild, das man wahrscheinlich Meisterklassen hat. Die beiden Teilnehmerinnen aus Deutschland kannten Peter Jozsa schon von seiner Zeit in Deutschland, hatten ihn dort schon als Lehrer gehabt.
Am Montag hat Peter Jozsa mit allen eine gute Stunde (zum Teil mehr, bei mir waren es
Fast 80 Minuten) gearbeitet. Ich hatte dann Mittwoch und Donnerstag nochmal jeweils 90 Minuten Unterricht.
Ich hatte folgende Stücke dabei:
- Skrjabin Prelude op. 11 Nr. 5 ("fertig")
- Debussy 1ere Arabesque ("fertig")
- Chopin Etude op. 10 Nr. 3 (schon recht weit gediehen)
- Chopin 2. Ballade (teilweise schon recht weit gediehen, insgesamt noch eine große Baustelle)
Mein Hauptinteresse für diese Woche galt der Ballade. Ich wollte hier ein gutes Stück vorankommen, ohne Absicht, das Stück dann schon spielen zu können. Ich hatte letztes Jahr (auf Vorschlag meiner KL) mit der Ballade begonnen und war letzten Herbst soweit, den Notentext - ich denke LMG hätte das so formuliert - "abzuspielen". Hab's dann ein paar Monate liegen lassen und heuer im Frühjahr wieder herausgeholt. Ich hätte es mir von einerm Jahr nicht gedacht, aber mittlerweile bin ich recht zuversichtlich, dass ich die Ballade mittelfristig für den Hausgebrauch passabel hinbekommen werde.
Für den Fall, dass der Professor gleich abwinkt hatte ich noch folgende Stücke dabei:
- Schumann "Ritter vom Steckenpferd" und "fast zu ernst" aus den Kinderszenen (schon recht weit gediehen) und
- Skrjabin Prelude op. 11 Nr. 24 (Notentext erarbeitet, aber noch mangelnde Treffsicherheit, Phrasierungs- und Anschlagprobleme)
Skrjabin und Debussy fand er gut, hat nur ein paar kleine Tipps gegeben. Gearbeitet haben wir dann fast nur an der Etude (Phrasierung, Mittelstimme, Varianten in der Urtextausgabe, Gestaltung des con bravura Teils) und der Ballade (Phrasierung und Balance im A-Teil, Übungsstrategien, Fingersatzalternativen für die virtuoseren Stellen). Die Unterrichtsstunden waren sehr intensiv und für mich sehr instruktiv und motivierend. Der Umstand, dass andere Leute bei diesen Stunden zugehört haben, hat mich überraschenderweise gar nicht gestört.
Ich war auch bei anderen zuhören und war echt beeindruckt, wie Peter Jozsa jede auf ihrem individuellen Level abholt und entsprechend fordert. Wichtig schien ihm vor allem der Wille zur musikalischen Gestaltung, Fehlleistungen im Sinne von falschen Tönen hat er nach meinem Eindruck nur dort angesprochen, wo er tieferliegendes Missverstehen vermutete. Beeindruckt hat mich auch die Intensität der Arbeit. Volle Konzentration bis zur letzten Minute. Und das den ganzen Tag lang.
Beim Abschlusskonzert habe ich Skrjabin, Debussy und die Chopin-Etude gespielt. Obwohl da eigentlich nur die KursteilnehmerInnen plus eine Handvoll Familienangehöriger zugehört haben, war das schon wieder wesentlich nervenaufreibender als der öffentliche Unterricht. Ich habe das Konzert aufgenommen und mir beim Anhören zum Teil gedacht "Armer Teufel, warum hat keiner Erbarmen und holt ihn da runter", so viele Hänger und Patzer hatte ich da. Den Skrjabin, den ich eigentlich mit Abstand am besten hätte spielen müssen, habe ich zweimal abgebrochen, weil ich einfach nicht weiter wusste. Dafür war dann der dritte Versuch wirklich gelungen. Wen's interessiert:
hier die Aufnahme.
@Troubadix : vielleicht auch für's Gemeinschaftsprojekt tauglich. Trotz der Fehlleistungen verbuche ich den Auftritt für mich mehr auf der Habensseite: Ich habe auswendig gespielt und nicht aufgegeben und es waren zwischen all den Fehlgriffen auch immer wieder schöne Stellen dabei
und beim dritten Skrjabin-Anlauf habe ich es richtig genossen
In guter Erinnerung behalten werde ich auch die Übemöglichkeiten, die wir da hatten. Außer den beiden Flügeln im Unterrichtsraum, waren die Instrumente zwar etwas verstimmt, es war aber schon eine tolle Sache, tagelang an großen Flügeln üben zu können. Es ist da eindeutig leichter, feine Differenzierungen zu hören und auch zu machen. Natürlich hört man dann auch Unregelmäßigkeiten im eigenen Anschlag umso deutlicher. Mein neuer Wunschtraum ist nun ein Bösi 214
Alles in Allem eine wunderschöne Erfahrung. Ich werde sicher wieder teilnehmen, wenn es zeitlich passt.
Liebe Grüße
Gernot