Teil 2 der Antwort:
Und nun noch ein paar weitere Anmerkungen.
Hier wurde irgendwo geschrieben, dass man als Selbständige*r doch eher der Arbeitgeberseite zuzuordnen sei. Jein... Genau das dachten wir ja eben auch am Anfang. Aber macht euch bitte bewusst, dass es sehr große Unterschiede in Selbständigkeiten gibt. Wir reden hier nicht von einem Unternehmen, das wir haben, in dem wir dann 20 Mitarbeiter*innen haben oder gar größeren Firmen, sondern wir reden hier von Soloselbständigkeit. Und schaut euch um, in welcher Branche auch immer, aber dann werdet ihr feststellen, dass die Arbeitgeber in den vergangenen Jahren sehr wohl gelernt haben, dass man durch den Einsatz von freiberuflichen/selbständigen Mitarbeiter*innen Lohnkosten sparen kann und im Zweifel unliebsame Mitarbeiter*innen sehr schnell los ist. Schaut euch um, nicht nur an Musikschulen, sondern schaut euch die vielen prekär Beschäftigten z.B. bei Lieferdiensten wie deliveroo und co an, die Honorarkräfte an den Volkshochschulen, ja sogar die Lehrbeauftragten an den Hochschulen (Billigersatz, um keine weiteren Profs einstellen zu müssen, aber sie erledigen einen Großteil der Lehre!) oder bei den Paketdiensten und und und. Und auch da: Das, was einem dort als vermeintliche Flexibilität verkauft wird, ist eine Flexibilität der Arbeitgeberseite - für die Beschäftigten bedeutet das vor allem eins: Unsicherheit, schlechte Bezahlung und oft auch schlechte Arbeitsbedingungen, keine Mitbestimmung. Wir Musiker*innen hatten es immerhin noch dahingehend gut, dass wir die Künstlersozialkasse hatten, die den AG Anteil an den Sozialversicherungen trägt, wenn man über eine bestimmte Mindeststundenanzahl arbeitet - aber die Kurierfahrer*innen, die uns unser Essen zB bringen oder all die anderen, die können all das schön fein selbst zahlen, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil von einem oft sehr schlechten Lohn, da man ja keinen Tarifvertrag hat üblicherweise als freiberufliche*r Mitarbeiter*in (es sei denn es gibt einen Haustarifvertrag zB) usw. Heißt doch im Klartext: Die AG sparen sich hier in Form von gesparten Lohnkosten einfach bares Geld, wenn sie Freiberufler*innen beschäftigen statt die Leute fest anzustellen. Daher ist es mir so wichtig, dass wir alle mal erkennen und einsehen, dass sich die Arbeitswelt echt grundlegend geändert hat in den letzten Jahren und dass man deshalb auch dringend ganz genau schauen muss, wen man hier welcher Seite zurechnet. Die vielen kleinen Soloselbständigen sind mE also definitiv nicht der AG Seite zuzuordnen, sondern sind die neuen Gelackmeierten, die sogar schon froh wären, wenn sie einen pobeligen befristeten Vertrag hätten. Je nach Branche sind sie sogar das neue Prekariat. Aber heißen ja nicht mal Arbeitnehmer (sind zwar Beschäftigte, aber keine Arbeitnehmer*innen), muss also an ihnen liegen, wenn sie nicht klarkommen, man ist ja schließlich selbständig... Wenn mir die Politik immer kam mit der Ausrede "Ja, das Honorarverhältnis ist ja nicht als Haupterwerb gedacht", dann habe ich immer zurückgefragt: "Ja, wo sind denn dann unsere festen Stellen, auf die wir uns bewerben können und die angeblich unser Haupterwerb sein sollen?" Verdammt, willkommen in der Realität - wie viele KuK arbeiten denn für 3 oder 4 Musikschulen als Honorarkraft, weil es diese verdammten festen Stellen kaum noch gibt! Zudem wurde das Honorarverhältnis ja ursprünglich dafür geschafften, um Auftragsspitzen abzuarbeiten oder für zeitlich befristete Projekte - mittlerweile wird mit Freiberuflichen aber ja der laufende Betrieb aufrecht erhalten - weil es billiger ist und man sie schnell los ist (hierbei spreche ich jetzt explizit nicht von unserer Musikschule, denn da war ein gutes Arbeitsklima und unsere Arbeit wurde wertgeschätzt, aber hab ich an genügend anderen Stellen gesehen...)
Und natürlich ist es hier auch Aufgabe der Gewerkschaften auch diese Leute zu organisieren, denn sie sind genau genommen noch schlimmer dran als diejenigen, die einen vielleicht schlechten oder befristeten Arbeitsvertrag haben, aber sie haben zumindest einen... Ein wunderbares Bsp ist zB der Arbeitskampf der Kurierfahrer*innen bei den Essenslieferdiensten. Auch dort - es fing damit an, dass sie die befristeten Mitarbeiter*innen nicht mehr verlängert haben, als diese einen Betriebsrat gründen wollten, um Mitbestimmung und Einforderung von besseren Arbeitsbedingungen zu verhindern. Dann gab es eben nur noch "Freelancer". Und diese haben sich massenweise in der NGG (Nahrung-Genuss-Gaststätten Gewerkschaft) organisiert und unter dem Motto "Liefern am Limit" schlussendlich die gesamte Branche vor sich her getrieben. Ich hab jetzt hier nicht die Zeit, das alles auszuführen, aber ich kannte die Leute auch gut, die das ans Laufen gebracht haben damals, und was die auf die Beine gestellt haben zusammen mit ihrer Gewerkschaft, Hut ab! Alle freiberuflich...
Wg. Streik: Als Honorarkraft hat man kein Streikrecht, aber man kann (und sollte
) sich ruhig andere kreative Formen des Protestes überlegen. Wieso zB die Tatsache, dass man nicht weisungsgebunden ist (denn weisungsgebunden zu sein, wäre ein Indiz für Scheinselbständigkeit), nutzen und dann eben draußen auf einem zentralen Platz in der Stadt unterrichten statt an der Musikschule im Unterrichtsraum? Hmmm.... ; - ) Und soweiter. Die TVöD Leute wären streikberechtigt. Und noch was übrigens: Wer über 50% seines zu versteuernden Einkommens bei einem AG erwirtschaftet, ist dort "arbeitnehmerähnlich beschäftigt" und hat ein Anrecht auf Urlaubsentgelt. Noch sowas, was man zusammen mit seiner Gewerkschaft einklagen kann, wenn einem das verwehrt wird und zudem isses schlauer, wenn das viele zusammen machen über die Gewerkschaft, weil dann natürlich der AG schlecht sagen kann, so jetzt kürzen wir denen allen die Stunden. Und falls ein derartiger Angriff auf die Beschäftigten käme, dann könnte und würde die Gewerkschaft das natürlich politisch skandalisieren - alleine und ohne die Kraft der Solidargemeinschaft und des "wir gehen da jetzt alle kollektiv gegen vor" hätte man dann einfach verloren.
Ein allerletzter kleiner Hinweis: Gewerkschaftliche Organisierung ist grundgesetzlich geschützt. Manchmal bekommt man ja von seinem AG so eine Art "Maulkorb" (teilweise stehen da sogar rechtlich nicht haltbare DInge im Vertrag - wieder ein Fall für den Rechtsschutz der Gewerkschaft ;- )), man dürfe dies oder jenes nicht in der Öffentlichkeit sagen (zB der Presse während eines Arbeitskampfes). Aber das ist Blödsinn: Man muss nur dazu sagen zB "Ich spreche jetzt als ver.di Mitglied", und schwupp, das kann dir niemand verbieten. Grundgesetz, Koalitionsfreiheit.
Ihr Lieben, sorry für den wenig strukturierten und vielleicht wirr wirkenden Text, aber ich hatte echt wenig Zeit, aber 100 Gedanken gleichzeitig dazu im Kopf... Also wenn ich euch eins sagen kann: Es lohnt sich. Ab in die Gewerkschaft. Aber eine Sache ist noch wichtig zu wissen: "DIE" Gewerkschaft, das sind nicht die paar Hauptamtlichen dort, sondern das sind ihre Mitglieder. Nur beizutreten und zu denken, dann machen die schon, das funktioniert höchstens in Branchen, in denen viele, viele, viele andere auch organisiert sind, die dann machen. Machen, das muss man selbst - die Gewerkschaft kann da nur unterstützen (und wird das dann auch!). Aber ohne den Druck der Leute, der Beschäftigten selbst, könnte der beste Gewerkschaftssekretär absolut nichts ausrichten. Es geht nur über kollektiven Druck, Aktionen, Pressearbeit, eigenes Engagement. Also auf! Wir haben mit unserer Geschichte an der Rheinischen Musikschule in Köln so viel los getreten, jetzt folgt eine nach der anderen und das freut mich so zu sehen! Gerade gab es anlässlich des Bundeskongresses des VdM (Verband dt. Musikschulen) auch eine gemeinsame Aktion der ver.di Landesfachgruppe Musik NRW und RLP - absolut klasse und ich bin SO stolz auf meine KuK zu sehen, was sich da endlich alles bewegt! Noch vor 4 oder 5 Jahren hätten wir das niemals gedacht, als wir vereinzelt und unzufrieden in unseren Musikschulräumen saßen. Und jetzt geht so langsam ein Ruck durch die Musikschullandschaft. Aber es kann nur klappen, wenn die Leute auch mitmachen. Also auf, auf!
herzlich,
Partita