Aggro Walhall

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19. Juni 2013
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Aggro Walhall

Bayreuth! Wer bei diesem Wort – vor lauter Begeisterung – keinen Herzkasper bekommt, und wer bei diesem Städtenamen nicht gleich an die wahrhaft singulären Performances denkt, die hier stattfinden, und (nicht zu vergessen) an die 1-A-Prominenz, die aus aller Welt hierher pilgert, um auf engstem Raum das konzentrierte Zusammenwirken echter Global Player zu erleben, der hat keinen Sachverstand! Allein den saftigen grünen Rasen zu sehen, erzeugt bei mir rasendes Herzklopfen – und dann im Hintergrund das vielgerühmte Haus, jene Brutstätte der Weltgeltung Bayreuths seit Anfang der zwanziger Jahre, als die Spiele begannen, nicht bloß die kritischen Geister der Fachwelt, sondern auch das einfache Volk zu begeistern! Es ist billige Polemik, dieses Haus als eine Art Vereinsheim zu bezeichnen, und es verkennt die überragende Bedeutung dieser Kaderschmiede für alle, die sich hier zusammentun, um mit vollstem Einsatz ihr Bestes zu geben für ein internationales Publikum, das ihre superlativische Leistung auch wirklich zu würdigen imstande ist.

Leider, muß man sagen, hat sich die Oldschdod heuer nicht mit Ruhm bekleckert. Aber das ändert nichts an der Gültigkeit einer aus Nornenmund geäußerten Prophezeiung: Die SpVgg Oberfranken Bayreuth e.V. vermag sich nicht dauerhaft gegen den ihr zustehenden Erfolg zu sperren. Rein rechnerisch kann ihr schon jetzt keiner mehr den Aufstieg in die zweite Liga abspenstig machen – wenn sie denn nur in der kommenden Spielzeit besser spielt!

Aber das ist Zukunftsmusik! Enttäuscht verließen wir das Hans-Walter-Wild-Stadion nach einem trostlos schlechten Match gegen den Angstgegner „Erzgebirge Aue“. Zur Versöhnung hatte ein Kumpel noch Karten mitgebracht, für einen Live Event am selben Abend. Aber wir zogen erstmal grölend durch die Innenstadt, von braven Ordnungshütern eskortiert, deren Aufgabe darin bestand, die künftigen Absteiger, arme Erzgebirgler-Fans, vor uns zu beschützen (man darf nicht vergessen: Dieser fast einmalige, rein zufällige Sieg über uns war der Höhepunkt ihres Lebens!). Trotzdem kamen wir noch pünktlich zur Location, wo der Top Act stattfinden sollte.

Pause würde es keine geben, hatte man uns vorgewarnt. Insider pflegen hier mit Weizenbier und Broudwoschd vorzuglühen, hieß es. In der Kombi sollte das Zeug irgendwie psychedelisch wirken. Davon war nichts zu spüren. Das Bier törnte überhaupt nicht. Es ging nur mordsmäßig schwer die Kehle runter, und das phallisch anmutende, ölig-triefende Unding vom Grill erinnerte mich vom Geschmack her an vegane Bratwurst. Es war ziemlich skurril, und der Wohlstandsruine hätte man von außen garnicht zugetraut, daß sie Rave-tauglich ist. Egal, dachte ich, wenn nur die inneren Werte stimmen. Aber das taten sie nicht: organisatorisches Komplettversagen! Keine Eventkompetenz, thumbs down: Der Saal war bestuhlt! Wo gibt’s denn sowas? Nur die Anderen nahmen es schicksalsergeben hin. Was waren das überhaupt für Menschen? Schwer zu sagen. Es sah aus wie Kinderfasching. Die Leute waren kostümiert wie für eine Motto-Party.

Immerhin: Wir setzten uns und waren überrascht von den Stühlen: fettes Retro-Design, aber sehr bequem. Dann ging’s auch schon los mit dem Soundteppich: ein einziger Dur-Dreiklang. Um’s vorweg zu sagen – das war nicht der Burner. Zu Beginn vielleicht noch guter Tekkno, aber null bpm? Das ist schon ziemlich abgefahren. Dann der Support Act: Alberick and the Rhine Maidens. Die Chorus Girls hüpften und trällerten albern auf der Bühne herum wie auf einem NDW-Revival. Der grandiose Alberick kam zu spät und wirkte irgendwie mißgelaunt.

Zum Glück ging das alles schnell vorüber, und mit „Preliminary Evening“ kam die große Freak-Bühnenshow, auf die wir gewartet hatten. Meine Kumpel und ich applaudierten begeistert. Prompt ernteten wir vernichtende Blicke und wurden von den Umsitzenden ausgezischt. Sekunden später verstand ich, warum diese toxischen Typen und ihre Drag Queens auf der Bühne keinen Applaus verdienten. Ihre Posse ist sterbenslangweilig. Sie können weder rappen noch singen. Sie palavern im Plaudertonfall vor sich hin, auf verschiedenen Tonhöhen, erzählen von ihren Kiezproblemen: Hausbau, Schulden, Kreditfinanzierung, Zwangsverheiratung, Drogenprobleme (mit Äpfeln!) etc. Ein Typ macht den Babo, mit viel Bling Bling, protzigem Gehabe und ständigem Verweis auf seine Tree Credibility. Aber vor seiner Bitch und zwei Geldeintreibern der Russenmafia ist er nur so klein mit Hut. Die Bitches sind alle body-positiv. Eine von ihnen wabert mit coolen Sauerstoffschwaden aus dem Erdreich hervor.

Zur Bühnenshow und zur Musik kann man nur sagen: ein rechter Schmarrn! Zwar alles schön durchkomponiert wie bei den großen Pink Floyd-Alben und mit einer durchgehenden Handlung wie in einer zappa’esken Rock-Oper. Aber es gibt keine echten Songs. Dafür ist alles viel zu unmelodisch, und für echten HipHop wiederum zuviel Rumgeiere auf verschiedenen Tonhöhen. Außerdem kein Rhythmusgefühl, keine Binnenreime. Null bpm (das paßt irgendwie zur Retro-Bestuhlung). Nur ein bißchen albernes Paukengewummer. Ein Soundtrack mit viel protzigem Blech und einem Himmel voller Geigen, den man sich in einer Hollywood-Schmonzette gefallen ließe. John Williams läßt grüßen! Fehlt eigentlich nur der Vokalisen-Summchor im Hintergrund.

Aber es gibt eben auch diesen einen Orchestral Hit, der völlig aus dem Rahmen fällt, weswegen alle gekommen sind, wie unser Gewährsmann erklärte, ein Heavy-Metal-Stück avant la lettre, wie der Popbeauftragte sagt, ein halbminütiger Tekkno-Track, der Musikgeschichte geschrieben hat, und es ist ein schlechter Witz, daß „Kraftwerk“ seit Jahrzehnten gegen irgendwelche Leute aus dem Schlagermilieu prozessiert (Urheberrechtsbruch), während doch jeder hören kann, daß sich die Kraftwerkler bei „Metall auf Metall“ von dieser Hammer-Musik haben inspirieren lassen!

Das Ganze endet wieder mit Gekreische und vollem Orchestereinsatz. Ein Riesentamtam mit Pauken und Trompeten. Als Background Chorus kommen nochmal die NDW-Heulbojen zu Wort. Jedenfalls: Das Leid hatte ein Ende, nach über zwei Stunden, und das ist noch harmlos, sagte unser Gewährsmann. Eine andere Show von diesen Typen, „The Twilight of the Gods“, dauert pausenbereinigt bis zu vier Stunden, nächstes Jahr sogar noch zwei Stunden länger wegen einer Textneufassung in gendergerechter Sprache.

Alles in allem: kein guter Tag. Ein miserables Match, Oma-Muckefuck, schlechtes Catering. Da war es erlösend, auf der nächtlichen Heimfahrt den Einschaltknopf unserer Stereoablage zu betätigen. Aus den vibrierenden Boxen erdröhnte ein Mitschnitt vom letzten Ragnarök-Festival in Lichtenfels: „God Dethroned“. Das ist die Ware Musik, für die unsereins seine Seele verkauft.





 
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