Karlrobert Kreiten

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Gomez de Riquet

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Guten Abend!

Am 26.Juni 2011 wird in der WDR-Radiosendung "Zeitzeichen"
des Pianisten Karlrobert Kreiten gedacht: um 9.05 h auf WDR 5,
um 17.45 h auf WDR 3.

Karlrobert Kreiten (1916-1943) ist vermutlich den Allerwenigsten bekannt.
Mit 10 Jahren hatte er bereits sein Début als Pianist. Seine Lehrer waren Peter Dahm
und Hedwig Rosenthal-Kanner. Später war er einer der Meisterschüler Claudio Arraus.

Karlrobert Kreiten hatte kein langes Leben. Er war überzeugter Gegner der Nationalsozialisten.
Er war so unvorsichtig, seine Zweifel am "Endsieg" offen auszusprechen - unter Musikerkollegen,
von denen er prompt denunziert wurde. Von Roland Freisler zum Tode verurteilt,
wurde er 1943 gehängt. Seine Eltern mußten die Hinrichtungskosten bezahlen.

Das ist der todtraurige erste Teil der Geschichte. Der zweite Teil ist nicht minder grausig,
zieht sich jedoch über 40 Jahre hin und ist ein Stück westdeutscher Realsatire.
Karlrobert Kreitens Hinrichtung wurde in einem Nazi-Blättchen mit großer Genugtuung kommentiert -
als die gerechte Bestrafung eines "ehrvergessenen Künstlers". Autor des Artikels: Werner Höfer,
ein Journalist, der nach dem Krieg sofort seinen Persilschein bekam und zum WDR ging,
wo er allsonntäglich den legendären "internationalen Frühschoppen" moderierte,
eine Talkshow avant la lettre. Wenn man davon absieht, daß er seinen Gästen ins Wort fiel
und sie nicht ausreden ließ, wurde er als Moderator dieser Sendung unmäßig populär.
Seine Vergangenheit als Durchhalte-Journalist unter Goebbels war bekannt, hat aber niemanden gestört.

Karlrobert Kreitens verzweifelte Eltern brachten einen Erinnerungsband an ihren Sohn heraus,
zitierten Höfers Artikel mit Angabe des Verfassers - sie drangen damit nicht an die Öffentlichkeit.
Fred K. Frieberg nahm sich des Falles an - in seinem 1982 veröffentlichten Buch "Musik im NS-Staat".
Hartmut Lück schrieb 1984 einen Aufsatz darüber in dem Sammelband "Musik und Musikpolitik
im faschistischen Deutschland". Höfers Stellung blieb unangefochten. Er hatte seine Hausmacht
im WDR, die ihre schützende Hand über ihn hielt - vermutlich Leute mit ähnlicher Biographie.
Ich bin gespannt darauf zu hören, wieviel Schmutz der WDR morgen vor seiner eigenen Türe
zu kehren gedenkt.

Das Ganze endete dann als Posse: Als der "Spiegel" den Fall 1987 wieder einmal aufgerollt hatte,
ließ man den alten Höfer plötzlich wie eine heiße Kartoffel fallen. Eine heiße Kartoffel -
nach über 40 Jahren? Ein später Fall von Einsicht? Nicht bei Höfer - er empfand sich
als das Opfer einer Verleumdungskampagne. Einsicht beim WDR? Vermutlich fehlte Höfer
mittlerweile die Hausmacht; jüngere ehrgeizige Journalisten lechzten nach seiner Stelle,
und der Sender war vorallem auf seinen guten Ruf bedacht. Und das ist die traurige Pointe:
Erst nach über 40 Jahren entsprach es dem politisch-korrekten Zeitgeschmack,
einen Mann wie Werner Höfer als nicht mehr tragbar zu empfinden.

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Danke, Gomez, für diesen Exkurs in Zeitgeschichte. Erschütternd.
 
Immerhin ist in Bonn eine Straße nach Kreiten benannt. Wenn mich nicht alles täuscht sogar mit einem kleinen Schildchen unter dem Straßennamen, das einige Informationen bereithält.

Gruß
Axel
 
Die Chopin-Einspielungen von Karlrobert Kreiten sind exzellent.
Der "Fall" Karlrobert Kreiten ebenso wie die nachträgliche schäbige Farce sind entsetzlich.
Ich wusste nicht, dass er morgen - am 26.06. - 95 Jahre alt geworden wäre - - ich danke Dir für den würdigen Epitaph!
 
Danke, Gómez.

Verraten durch die "Freundin" der Mutter - wie bitter für die Familie und wahren Freunde.

Hier eine Einspielung des 17jährigen Karlrobert Kreiten:

Chopin, Nocturne cis-Moll, op. posth.
 
Dank an Gomez für den Nachruf und an PianoPuppy für den Link zum Tondokument!
 
Karlrobert Kreiten (1916-1943) ist vermutlich den Allerwenigsten bekannt.

Zu denen ich leider bis zur Lektüre Deiner Zeilen auch nicht gehört
habe; vielen Dank für dieses Stück Aufklärung. Könntest Du vielleicht
noch die Quellenangabe für Höfers "Nachruf" nennen?

Erst nach über 40 Jahren entsprach es dem politisch-korrekten Zeitgeschmack,
einen Mann wie Werner Höfer als nicht mehr tragbar zu empfinden.
Nun, da war er ja absolut kein Einzelfall; ale politischen,
juristischen und edukative Eliten waren bis in die 60er Jahre braun
durch-, mancherorts sogar überwuchert. Mindestens die Hälfte meiner
Gymnasiallehrer waren Ende der 60er Jahre noch Altnazis, und die
Diktion des Direktors ("die Klassenverbände rücken nach der Pause
geschlossen in die Pausenhalle ein") verriet deutlich, daß dem Prozeß
der inneren Distanzierung bis zu seinem glückhaften Abschluß noch ein
gutes Stück fehlte. Und an der Uni wurde man noch in den 70er Jahren
von ehemaligen Mitgliedern der "Vereinigung aus dem Amt gedrängter
Hochschulehrer", sprich nach dem Krieg kurzzeitig suspendierten PGs, unterrichtet,
die sich mit Wollust als Opfer undemokratischer "linker Umtriebe"
stilisierten. Es wäre hoch an der Zeit, daß im Geschichtsuntericht
nicht nur das Nazireich, sondern auch sein Fortleben in den braunen
Netzwerken der Adenauer- / Ehrhardt - Zeit zur Sprache käme.

Grüße

Friedrich
 
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Danke für die Hinweise, liebe PP (das Skript stammt übrigens von dem hier leider nicht mehr aktiven Mitglied KoelnKlavier). Wie gut, daß wir den Deutschlandfunk haben, der sich solcher "Randthemen" unermüdlich annimmt (und wie ärgerlich, daß der Empfang hier im Süden so grottenschlecht ist - Langwelle, wie zu Olims Zeiten).

Friedrich
 
Nun, da war er ja absolut kein Einzelfall; alle politischen, juristischen und edukative Eliten
waren bis in die 60er Jahre braun durch-, mancherorts sogar überwuchert.
Mindestens die Hälfte meiner Gymnasiallehrer waren Ende der 60er Jahre noch Altnazis,
und die Diktion des Direktors ("die Klassenverbände rücken nach der Pause geschlossen
in die Pausenhalle ein") verriet deutlich, daß dem Prozeß der inneren Distanzierung
bis zu seinem glückhaften Abschluß noch ein gutes Stück fehlte.
Und an der Uni wurde man noch in den 70er Jahren von ehemaligen Mitgliedern
der "Vereinigung aus dem Amt gedrängter Hochschullehrer", sprich nach dem Krieg
kurzzeitig suspendierten PGs, unterrichtet, die sich mit Wollust als Opfer
undemokratischer "linker Umtriebe" stilisierten. Es wäre hoch an der Zeit,
daß im Geschichtsunterricht nicht nur das Nazireich, sondern auch sein Fortleben
in den braunen Netzwerken der Adenauer- / Ehrhardt - Zeit zur Sprache käme.

Lieber Friedrich,

Du legst den Finger in die Wunde - eine nicht (zu) heilende Wunde, und sie heißt: Kontinuität.
Wir reden von der Durchmilitarisierung aller Lebensbereiche als einem Grundübel, dessen Anfänge
im Kaiserreich zu finden sind und dessen Nachwirkungen wir bis auf den heutigen Tag erleben.
Dabei ist mir das offen zutagetretende Alt- bzw. Neo-Nazitum noch am liebsten, weil es sich
ehrlich zu erkennen gibt. Viel schlimmer ist die linksliberale Variante, die unter dem Deckmantel
der Rechtschaffenheit auftritt. Auch dafür ist Werner Höfer das passende Beispiel:
Vor 1945 hat er in wohltönenden Phrasen vom Durchhaltewillen der Volksgemeinschaft
schwadroniert, nach 1945 gefiel er sich in der Pose des kritisch hinterfragenden Journalisten.
Er hat stets die Arbeit abgeliefert, die von ihm erwartet wurde. Er war immer ein treuer Diener seines Herrn.


- das erweitert den Fall Höfer zu einer gesamtdeutschen Posse:
Die ersten und natürlich völlig berechtigten Angriffe wider ihn erfolgten durch Albert Norden,
also aus Ost-Berlin, und ermöglichten es Höfer, sich als Opfer einer Tätärä-Hetzkampagne auszugeben.
Und weil er ihnen als "Linksliberaler" ein Dorn im Auge war, wurde ihm ausgerechnet
von der Springer-Presse und der "Nationalzeitung", also einem NPD-Organ, immer wieder
die Hinrichtungshymne auf Karlrobert Kreiten vorgehalten, und unter Verweis auf diese Angreifer
konnte Höfer sich als Symbol einer gefährdeten kritischen Gegenöffentlichkeit darstellen.

Aber Höfers Selbststilisierung als Opfer einer SED-Hetzkampagane war leider nicht unberechtigt.
Niemandem in Ost-Berlin ging es wirklich um den Justizmord an Karlrobert Kreiten;
man hat den Fall instrumentalisiert, um einen ungeliebten West-Journalisten zu diskreditieren.
Die "Kommission für Agitation und Propaganda beim ZK der SED", aus der die Angriffe erfolgten,
war auf das Weiterleben faschistisch geprägter Verhaltensnormen unter anderen Vorzeichen
genauso angewiesen wie die imperialistische BRD. Auch der "andere" deutsche Staat
hatte kein Problem mit dieser Kontinuität, sondern sie zu Überlebenszwecken benötigt.
Musterbeispiel: Karl Laux, überzeugter Nationalsozialist, Musikwissenschaftler, der einfach
weiterarbeiten durfte, als wäre nix passiert. Er mußte nur ein paar Vokabeln austauschen:
"Rasse" durch "Klasse" ersetzen, "Volksgemeinschaft" durch "Solidarität" - der Rest blieb identisch.
Auch er war ein treuer Diener seiner Herren. Von ihm ist mir aber nicht bekannt,
daß er wie Höfer seine Feder in Blut getränkt hätte.

Traurige Grüße,

Gomez

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Jetzt hole ich auch einmal so einen uralten Faden wieder hoch.

Anlass ist eine Buchlektüre (ja, ich hätte das auch unter "Was lest Ihr gerade" posten können. Aber wenn es schon extra einen Faden zu ihm gibt ...).

In "Schattenzeit - Deutschland 1943: Alltag und Abgründe" erzählt Oliver Hilmes die Geschehnisse um Kreitens Tod. Die Einbettung dieses Schicksals in die Zeit und Umstände ist zwar für meinen Geschmack ein wenig zu weitschweifig geraten, aber die Lektüre lohnt sich aus meiner Sicht trotzdem.
 
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-Fred K. Frieberg nahm sich des Falles an - in seinem 1982 veröffentlichten Buch "Musik im NS-Staat"-

Dieses von Gomez genannte Buch habe ich gerade bestellt.
Hat jemand es schon gelesen?
 
Und auch in Köln gibt es schon sehr lange eine Karlrobert-Kreiten-Straße:


IMG-20241021-WA0000.jpg

Charmanterweise hat man sich als Platz dafür ausgerechnet das Wohngebiet gegenüber dem Kölner Knast ausgesucht.

CW
 

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