Ausführung Triller und Vorschläge bei Chopin

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St. Francois de Paola

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20. Apr. 2015
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So, durch Zufall bin ich im Wikipediaartikel über Chopin auf einen Absatz zur Ornamentik gestoßen und mein Weltbild ist dadurch etwas verdreht. Eigentlich galt für mich immer, bis Mozart trillert man von oben, ab Beethoven von unten (wenige AUsnahmen wie die Appassionata mal außen vor gelassen). Gerade bei romantischen Stücken habe ich mir anders als z.B. bei Bach auch nie großartige Gedanken um die exakte Ausführung gemacht.
Laut Wikipedia wird bei Chopin häufig falsch getrillert und man soll die Triller ähnlich wie im Barock ausführen:

In der Praxis werden die Verzierungen in Chopins Klavierwerken häufig falsch ausgeführt, weil die Zeichen falsch interpretiert werden. Zahlreiche handschriftliche Eintragungen in die Exemplare seiner Schüler, die früheren Pianistengenerationen nicht zur Verfügung standen, haben geholfen, Chopins Intentionen zu verstehen. Bei einigen Verzierungen lehnt sich Chopin an die barocke Tradition an. Es gibt bei Chopin im Wesentlichen folgende Verzierungen:


  • der Vorschlag (Appoggiatura, ein- oder mehrtönig): die Ausführung ist volltaktig, das heißt der Vorschlag wird auf dem Schlag gespielt, die Hauptnote unmittelbar danach.
  • der Triller: er beginnt bei Chopin wie in der Barockzeit in der Regel mit der oberen Nebennote. Er beginnt mit der Hauptnote am Anfang eines Stückes wie zum Beispiel in der Etüde F-Dur Opus 10 Nr. 8 oder im Walzer As-Dur Opus 42. Steht vor dem Triller ein Vorschlag mit der gleichen Note wie der Trillerbeginn, so soll der Triller mit dieser Note beginnen, nicht mit der oberen Nebennote. Die Note wird also nicht zweimal gespielt.
  • der Triller mit Vorschlag von unten (auch „Triller von unten“ genannt). Er entspricht der aus der Barockmusik bekannten Verzierung. Bach nennt ihn „doppelt-cadence“, oder bei Vorhandenseins eines Nachschlags, „doppelt-cadence und mordant“.

  • der Pralltriller: er beginnt wie in der Klassik mit der Hauptnote auf dem Schlag. Manchmal bezeichnet Chopin den Pralltriller mit dem Zeichen „tr“ oder er schreibt ihn aus.
  • der Doppelschlag (Gruppetto) Start mit der oberen Nebennote. Notiert durch ein Grupetto.svg.
Wenn ich mir jetzt eine Aufnahme von einem höchst anerkannten Chopin-Interpreten anhöre (der genau so trillert, wie ich eigentlich auch, nur eleganter), dann ist nach dem Artikel direkt im dritten Takt der Triller doppelt falsch ausgeführt (von unten und nicht auf der Zeit angefangen):



Jetzt habe ich keine Ahnung, woher hat der Wikipediaautor das. Bei besagter Ballade ergibt aber für mich in Takt 3 die Ausführung , wie er es beschreibt mehr Sinn als wie es gefühlt jeder macht.
In 26 und 28 kann man nach der Beschreibung eigentlich gar nicht falsch trillern, ab Takt 27 wäre Zimerman und eigentlich jeder dann wieder falsch. Und die ganzen Vorschläge ab Takt 55 wären dann auch alle falsch. Und die Vorschläge ab Takt 55 wären der Beschreibung nach auch alle falsch ausgeführt.


Wie handhabt ihr das bei Chopin? Habt ihr eine verlässliche Quelle? Wie verlässlich haltet ihr die im Wikipediaartikel angegebene Quelle? Ich habe in meinem Größenwahn zugestimmt, ebendiese dritte Ballade Ende Januar einem (kleinen, recht dankbaren und eher unkritischem) Publikum vorzuspielen und weiß jetzt echt nicht, wie ich die Triller und Vorschläge ausführen soll.
Bei den Vorschlägen bin ich sleptisch gegenüber der Ausführung im Wikipediaartikel, aber wenn ich mir die Melodieführung in Takt 3 und die Notation in Takt 26 ansehe, scheint mir die Ausführung zum Thema Triller doch plausibel.
 
Mir scheint, der Wiki-autor hat "Chopin - pianist and techer as seen by his pupils" von Jean-Jacques Eigeldinger gelesen.
Alle diese Ausführung, die Du oben angegeben hast, kenne ich genau so.
 
Richtig oder falsch bei Verzierungen?

Eher jeder wie er mag (solange es gut klingt).

Mich jedenfalls stört es nicht dass z.B. Busoni oder Casella bei Bach 'falsch' trillern.
 
Stellt sich nur die Frage, wie gut sinf die Quellen und warum macht das niemand so?
 
Stellt sich nur die Frage, wie gut sinf die Quellen und warum macht das niemand so?
Dieses Buch ist schon ein sehr anerkanntes. Wenn Menschen sich nicht darum kümmern, wie der Komponist über seine Werke gedacht hat, dann spielen sie eben, wie sie wollen.
Eigeldinger bezieht sich auf Schüler von Chopin, die die Geheimnisse vom Meister selbst gelernt haben.
Einen interessanten Satz von Karol Mikuli, der Chopins Schüler war, zitiere ich mal eben aus dem Buch:
(über Chopin) "Trills, which he mostly began with the auxiliary note, were to be played not so much rapidly as with great evenness, and with the ending [turn] tranquil and not at all precipitate".
 
Stellt sich nur die Frage, wie gut sinf die Quellen und warum macht das niemand so?
Die primären Quellen (Handschriften/Manuskripte, Korrekturexemplare, nachträgliche Änderungen von Chopin) sind, sofern vorhanden, wie sie nun mal sind: uneinheitlich, in Details vieldeutig bzw. unklar. Chopin hat in der Notation seiner Werke nicht eindeutig oder gar akribisch exakt ausnotiert, wie Verzierungen ausgeführt werden sollen und er hat nirgendwo notiert, wann klein gestochene Verzierungen gespielt werden sollen.
Dann kommen Sekundärquellen allerlei Couleur hinzu: "Zeitzeugen" (Schüler, Kollegen, Freunde etc), die über seine Spielweise berichten (das geht z.B. bzgl. rubato so weit, dass Berlioz Chopin darauf hinwies, dass er - Chopin - seine eigenen Mazurken ganz gerne im Vierviertel- statt Dreivierteltakt spielte...)
--- das alles ist als Quellenlage nicht sonderlich erfreulich, weil etliche Fragen offen bleiben (und das trotz aller musikwissenschaftlicher Bemühungen) und angebliche "Regeln" wie "alle Triller mit der oberen Nebennote beginnen" oder auch "alle klein gestochenen Tönchen auf der Zählzeit" fatalerweise nicht auf Primär-, sondern auf Sekundärquellen und/oder quasi vergleichenden "Ermittlungen" basieren.
Kein Wunder, dass sich heuer keine einheitliche so-spielt-man-Chopintriller-Regel etabliert hat.
 
, dem kann man glauben oder auch nicht - wir wissen streng genommen nichts exaktes über den Wahrheitsgehalt solcher "Zeitzeugen" (nebenbei: Berichte von Zeitzeugen genießen in der Geschichtswissenschaft nicht ohne Grund oft einen zweifelhaften Ruf) und wir können das auch nicht nachprüfen. Sekundäre Quellen sind ... heikel ...
 
Schon die Paderewski Ausgabe und seither fast alle neueren Ausgaben und Hinweise zur Interpretation verweisen darauf, dass Vorschläge in kleinen Nötchen bei Chopin auf den Schlag gespielt werden müssen. Und das ist nicht Geschmackssache, weil die 'Verspätung' der Melodienoten zur Freiheit der Rhythmik in der Ober(Melodie)stimme entscheidend beiträgt.
Linke Hand als Kapellmeister strikt im Tempo, rechts frei!
 

Für mich war das eine Zeitlang auch verwirrend, bis mein Lehrer irgendwann den Schlüssel lieferte und für Klarheit sorgte.
"Beim Chopin müssen Sie immer auf den Schlag spielen, und Triller immer von der oberen Nebennote! Das ist barock, der Chopin wollte das so."
Die Woche drauf: "Hier die Stelle ist komisch, sollte ich nicht lieber vor dem Schlag und ähm ... auf der Hauptnote anfangen?"
"Natürlich! Das klingt doch sonst furchtbar."
 
...man müsste Chopins Militärpolonaise*) in Schutz nehmen, wenn die vermeintliche Regel "alle Triller mit der oberen Nebennote beginnen" tatsächlich gültig wäre... Der Schubladisierungs- & Klassifizierungswahn führt zu derartigen "totalen Regeln", und das wie schon gesagt auf keiner sonderlich festen Beweislage:
Die primären Quellen (Handschriften/Manuskripte, Korrekturexemplare, nachträgliche Änderungen von Chopin) sind, sofern vorhanden, wie sie nun mal sind: uneinheitlich, in Details vieldeutig bzw. unklar. Chopin hat in der Notation seiner Werke nicht eindeutig oder gar akribisch exakt ausnotiert, wie Verzierungen ausgeführt werden sollen und er hat nirgendwo notiert, wann klein gestochene Verzierungen gespielt werden sollen.
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*) und nicht nur diese, sondern noch ein paar andere seiner Werke
 
Wenn man Herrn Mikuli liest, dann sagt er, dass Chopin meist die Triller mit der Nebennote begann.
Man kann es ja halten, wie man will, ich bin allerdings geneigt, den Menschen, die Chopin kannten, mehr Glauben zu schenken, als jenen, die mehr als 150 Jahre später das Rad neu erfinden wollen.
Linke Hand als Kapellmeister strikt im Tempo, rechts frei!
Die Zählzeit beginnt mit Erscheinen des Melodietones, so entsteht ein kleines, feines Rubato.
 
ich bin allerdings geneigt, den Menschen, die Chopin kannten, mehr Glauben zu schenken, als jenen, die mehr als 150 Jahre später das Rad neu erfinden wollen.
@Tastatula dazu zwei Fragen:
1. kennst du alle derartigen "Zeitzeugen" und das, was sie aus der Erinnerung "überliefern"?
2. wer erfindet welches Rad 150 Jahre später?

Missversteh´ mich bitte nicht, das soll kein "Streitgespräch" a la "wer kenn mehr (sekundäre) Quellen?" werden - vielmehr möchte ich anregen, sich ein paar Gedanken über die Glaubwürdigkeit von "Zeitzeugen" zu machen. Denn das irrige, sentimental-romantische Chopinbild der zweiten Hälfte des 19. Jhs. (der sterbenskranke Sylphe, der alles ungemein zart spielte, vergeistigt seiner Heimat und Jugendliebe hinterherweinte, ein ausuferndes Rubato kultivierte usw usf) beruht auf diesen "Zeitzeugen", welche genau dieses Bild geprägt hatten! Und im Zuge der Konstruktion dieses Chopinbilds wurden Dissonanzen gemildert (z.B. das verschlimmbessern in der Ballade Nr.1, worüber Liszt und Saint-Saens schon gemeckert hatten) und eine Chopininterpretation etabliert (sic!), gegen welche Artur Rubinstein in den 20er und 30er Jahren als sachlich, kalt, modern gewertet wurde.

Das sind Fakten, die man meiner Ansicht nach nicht außer acht lassen sollte.

Zur Auswertung von - in diesem Fall sekundären - Quellen gehört nun mal die so genannte Quellenkritik. Auch für die "Zeitzeugen" wie Mikuli, Dreyschock, Liszt, Berlioz, Fontana, Sterling, Sand, Heine u.v.a. gilt, was z.B. K. Arnold oder E. Bernheim zur inneren Quellenkritik systhematisiert hatten: was konnte der Verfasser wissen, was ist seine Intention, was will er mitteilen und was nicht etc etc. Die Liste der wirklichen und angeblichen Schüler Chopins ist da ein sehr sumpfiges Gelände, da die Intention(en) weniger musikwissenschaftlich-sachlich als mehr sozusagen fantasievoll ausfielen (s.o. Chopinbild des 19. Jh., wo der Konstrukteur Chopin, der Harmoniker Chopin überhaupt keine Rolle spielt!!!*)) Da waren einige, die sich für den Nachlass zuständig hielten und eifersüchtig konkurrierten (z.B. Fontana), da waren einige, die für sich (ich kannte den Meister, er hat es mir so gezeigt - ja, ist schon lange her, er liegt unter der Erde, aber ich bezeuge mit heiligem Eid... blablabla) "das Geheimnis des Chopinspiels" monopolisieren wollten -- die Folgen in der Rezeptionsgeschichte (s.o. und das verniedlichende, verharmlosende Chopinbild hatte wortmächtige Fürsprecher noch in der 1. Hälfte des 20. Jhs.: Andre Gide, Guy de Pourtales) sind unübersehbar.

Kurzum Eigeldinger hat, da die Primärquellen uneinheitlich sind, eine sehr schwere Aufgabe: herausfiltern, was das wenige glaubwürdige in den sekundären Quellen ist. Sein Chopin vu par ses élèves musste nach 30 Jahren grundlegend überarbeitet werden, seine Chopin-Edition scheint noch nicht abgeschlossen. Da ist weder das letzte Wort gesprochen, noch stehen tatsächlich Regeln der Ausführung unumstößlich fest.

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*) diesen Umstand finde ich sehr krass! Keiner der angeblich den Frederic so gut gekannt haben wollenden Schüler des Meisters äußert sich über die Kompositionsweise (da hat nur George Sand was fantasievoll-romantisches verklärt), äußert sich über die weitreichenden formalen und harmonischen Besonderheiten - stattdessen wird post mortem (!) des Meisters angeblich authentisch aus der Pianistik-Werkstatt "geplaudert"...
 
Zuletzt bearbeitet:
Eigentlich galt für mich immer, bis Mozart trillert man von oben, ab Beethoven von unten (wenige AUsnahmen wie die Appassionata mal außen vor gelassen). Gerade bei romantischen Stücken habe ich mir anders als z.B. bei Bach auch nie großartige Gedanken um die exakte Ausführung gemacht.
Nur nebenbei:
Auch dieses simple Weltbild ist falsch, es gibt z. B. im Barock viele Beispiele für Triller, die mit der Hauptnote beginnen (etwa Buxtehude u. v.a.), das war hier schon mehrmals Thema, mit entsprechenden Belegstellen.

Etwa hier:
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch die Frage, ob auf oder vor dem Schlag, ist nicht immer und nur nach starren Regeln zu beantworten.
Wie würdet ihr die kleinen Noten beim forte in diesem Beispiel aus einer klassischen Sonaten (1770iger Jahre) ausführen? Vor oder auf der Eins?1669029846382.png
 
1. kennst du alle derartigen "Zeitzeugen" und das, was sie aus der Erinnerung "überliefern"?
natürlich, sie waren damals alle meine Facebookfreunde... ;-)
Jenen kenne ich und ...

gell, erste Quelle!

Nun im Ernst. Ich finde es spannend, die Zeitgenossen zu Wort kommen zu lassen. Grundsätzlich gilt natürlich, was Du schriebst, denn der Mensch, sobald er etwas weitersagt, erfüllt die Nachricht mit seiner eigenen Interpretation.
Nichtsdestowenigertrotzig haben jene, die Chopin kannten, ihn besser gekannt als wir...
2. wer erfindet welches Rad 150 Jahre später?
Wir alle, wenn wir uns unbekümmert an die Werke alter Meister heranpirschen.
 
Grundsätzlich gilt natürlich, was Du schriebst, denn der Mensch, sobald er etwas weitersagt, erfüllt die Nachricht mit seiner eigenen Interpretation.
Nichtsdestowenigertrotzig haben jene, die Chopin kannten, ihn besser gekannt als wir...
...das ist mir zu allgemein und irgendwie ... zu gutgläubig.

Mir sind nachprüfbare Fakten in solchen Fällen lieber. Nachprüfbar ist, wie die Zeitgenossen/Zeitzeugen auf die charakteristische Dissonanz am Ende der Einleitung der 1. Ballade reagierten (da gab es in den 70er-80er Jahren des 19. Jhs. eine kleine Kontroverse).
- für Liszt und Saint-Saens war ohne jegliches Blabla die Dissonanz richtig, also es1 statt d1
- die dt. Erstausgabe (Breitkopf) verschlimmbessert das es zum d
- die frz. & engl. Erstausgabe haben korrekt das es
- "Autorität" Mikuli ist in seiner Chopinedition von 1886 (!) unsicher, ob es oder d: er gibt beides an und verweist zur Entscheidung auf eine Fußnote
- erst später, in der Schirmer Ausgabe wird die Kontroverse, ob es oder d, anhand des Manuskripts (Originalquelle) entschieden

offenbar kannte Autorität Mikuli entweder das Manuskript nicht, oder die Ballade nicht gut genug, jedenfalls Chopin selber hat er sicher NIE danach gefragt, denn sonst wäre seine Chopinausgabe da nicht so unsicher.

Mikuli Ausgabe:
Bildschirmfoto 2022-11-21 um 14.30.10.png
dazu die Fußnote:
Bildschirmfoto 2022-11-21 um 14.30.25.png
(inhaltlich ist sie inkorrekt: die engl. und frz. Erstausgabe von 1836 hat es!)

...wie immer, sind die Primärquellen entscheidend, hier das Manuskript von Chopin:
Bildschirmfoto 2022-11-21 um 14.28.30.png
also Chopin selber schrieb eindeutig es

Das ist natürlich der günstigste Fall: hier kann man nachprüfen, ob eine sekundäre Quelle korrekt ist - sie ist es nicht. Mikuli wusste schlichtweg nicht, ob die dt. oder engl./frz. Ausgabe richtig sind, er kannte auch das Manuskript nicht und offenbar wusste er von Chopin selber nichts über diese Stelle - - - und über seine "Erläuterung" in der Fußnote lassen wir lieber den Deckmantel christlicher Nächstenliebe fallen...

Was die Zeitzeugen, Schüler, Freunde betrifft, so ist bestenfalls nur das überlegenswert, was von mehreren unabhängig voneinander überliefert ist und dabei denselben Inhalt hat - - ansonsten muss man sehr misstrauisch sein.
 
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