Dies irae Thema

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Pianojayjay

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das "Dies irae"- Thema gehört zu den bekanntesten Themen überhaupt. Der Totentanz von Liszt basiert hierauf, Rachmaninoff hat sie in seiner Paganini Rhapsodie verwendet, Berlioz in seiner Symphonie fantastique.

Ich lerne derzeit eine ziemlich harmlos erscheinende Polonaise eines Norwegers namens Kjerulf. Er wird wohl nur den Hardcore-Freaks hier etwas sagen. Ein Stück, das ganz nett ist, vierhändig. Aber schaut mal, was sich kurz vor Schluss darin verbirgt

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Da kommt mir einfach die Frage, welche Komponisten sich dieses Themas noch bedient haben. Fallen euch noch welche ein?
 
Laut Wikipedia:
 
Da ist Kjerulf ja nicht mit dabei ;) wahrscheinlich gibt es noch mehr solche Entdeckungen zu machen!
 
Wo ist denn beim cis-Moll Prélude von Rachmaninoff das Dies irae? Ist mir noch nicht aufgefallen. Es stellt sich auch die Frage, ob diese 4 Töne immer bewusst so verwendet wurden;-).
 
Wo ist denn beim cis-Moll Prélude von Rachmaninoff das Dies irae? Ist mir noch nicht aufgefallen. Es stellt sich auch die Frage, ob diese 4 Töne immer bewusst so verwendet wurden;-).
Dann schaue Dir mal die Tonfolge in Takt 7 und 8 ("Dies irae, dies illa") an, die später noch mal aufgegriffen wird. Übrigens stimmt in der Wikipedia-Liste die Jahreszahl nicht, das Opus 3 entstand 1892... .

Die Frage, wie lang eine Tonfolge sein muss, um als Zitat durch zu gehen, stelle ich mir allerdings auch öfters.

LG von Rheinkultur
 
Dann schaue Dir mal die Tonfolge in Takt 7 und 8 ("Dies irae, dies illa") an, die später noch mal aufgegriffen wird. Übrigens stimmt in der Wikipedia-Liste die Jahreszahl nicht, das Opus 3 entstand 1892... .

Die Frage, wie lang eine Tonfolge sein muss, um als Zitat durch zu gehen, stelle ich mir allerdings auch öfters.

LG von Rheinkultur

Zigmal gespielt, nie so bewusst wahrgenommen:angst::-D.
 
...und wenn dann noch Anklänge (Zitatfetzen) hinzukommen, wird´s fast zu ernst in gis-Moll ;-)
Bei diesem Beispiel aus Schumanns Kinderszenen zeigt sich, dass akribisches Forschen bisweilen auf Irrwege führen kann. Wenn man jede Abfolge von melodischem Voranschreiten in Sekund- und Terzabständen als potenzielles Dies-Irae-Zitat identifizieren möchte, gelingen schnell mal Entdeckungen, die gar keine sind. Allerdings hatte Schumann auch eine Vorliebe für Hintergründiges, das er offensichtlich bewusst nicht als Zitat im Notentext kennzeichnete - da wurde schon mal die Marseillaise aufgegriffen und vielleicht aufgrund ihrer politischen Brisanz nur ohne Bezeichnung anklingen gelassen.

LG von Rheinkultur
 
Brahmsens Intermezzo op. 118 Nr. 6 enthaelt ebenfalls das dies-irae-Thema. Absichtlich? Zufaellig? Niemand weisz es.
Jannis
 
Ein schöner Thread! Hat mein Dauerständer angesichts der Yuja-Wang-Videos mir doch glatt den Blick dafür versperrt...

Ich teile Rheinkulturs Bedenken
Wenn man jede Abfolge von melodischem Voranschreiten in Sekund- und Terzabständen als potenzielles Dies-Irae-Zitat identifizieren möchte, gelingen schnell mal Entdeckungen, die gar keine sind.

und glaube doch, Jannis' Frage mit 'absichtlich' beantworten zu können:
Brahmsens Intermezzo op.118 Nr.6 enthaelt ebenfalls das dies-irae-Thema. Absichtlich? Zufaellig?

Die Orientierung am 'dies irae'- Beginn im Themenkopf von op.118-6 ist zu eindeutig. Gegen einen Zufallstreffer spricht auch Brahms' ungeheure Bildung und seine Musikkenntnis, ferner Brahms' ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein, das ihn selbst sich als das Ende einer langen Entwicklung empfinden ließ.

Was Rachmaninow betrifft, so bedürfte die Wikipedia-Liste einer dringenden Ergänzung. Ich habe den Witz schon mal woanders hier im Forum platziert: Für den depressiven Rachmaninow war das 'dies irae' so etwas wie die Lebensmelodie. Weil die Sequenz in der orthodoxen Kirchenmusik unbekannt ist, kann man davon ausgehen, daß Rachmaninow sie eher im Konzertsaal, bei Berlioz und Liszt, als in einer römisch-katholischen Totenmesse kennengelernt hat. Sie hat ihn jedenfalls sein ganzes Leben lang begleitet, auch kompositorisch, und wer genug Zeit hat und sich die Mühe macht, könnte bis in die Nebenwerke hinein den 'dies irae'-Beginn als verstecktes Zitat oder in Gestalt von Allusionen entdecken, diminuiert, nicht intervallisch, aber rhythmisch völlig verändert - wie bei einem Reihentechniker.

Man sollte als wichtige Kompositionen noch ergänzen:

das Scherzo der 2.Symphonie e-Moll op.27
das Finale der 3.Symphonie a-Moll op.44
die Kantate "Die Glocken" op.35
den Walzer aus der Suite Nr.2 für zwei Klaviere op.17
und - nicht zu vergessen - die berühmte Vokalise op.34-14, in deren Melodieverlauf das 'dies irae' sehr kunstvoll hineinverwoben wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Orientierung am 'dies irae'- Beginn im Themenkopf von op.118-6 ist zu eindeutig. Gegen einen Zufallstreffer spricht auch Brahms' ungeheure Bildung und seine Musikkenntnis, ferner Brahms' ausgeprägtes Geschichtsbewußtsein, das ihn selbst sich als das Ende einer langen Entwicklung empfinden ließ.

Dem kann ich nur zustimmen. Es gibt aber eben keine "offizielle" Bestaetigung von Brahmsens Seite. Auch finde ich ein biszchen raetselhaft, wieso dieses Stueck nach der liebenswuerdigen Romanze kommt. Ich finde die Nummer 6 kompositorisch und klanglich als eine der groszartigesten der Stuecke op. 118. Erstaunlich auch die Aufhellung in fast Chopinschen Klangfarben in H-Dur kurz vor Ende des Stueckes. Es laeszt den dunklen dissonanten Beginn und auch das Ende in etwas milderem Licht erscheinen.
Durch die gewaltigen Akkorde im Mittelteil erscheint mir das Stueck auch eine Reminiszenz seines Klavierstiles z.B. des zweiten Klavierkonzertes zu sein. Ein geniales Stueck.
Jannis
 

Dem kann ich nur zustimmen. Es gibt aber eben keine "offizielle" Bestaetigung von Brahmsens Seite. Auch finde ich ein biszchen raetselhaft, wieso dieses Stueck nach der liebenswuerdigen Romanze kommt.
Die späten Intermezzi und Klavierstücke wurden meines Wissens nicht in der Reihenfolge komponiert, wie sie später erschienen sind, sondern von Brahms bewußt in diese Reihenfolge gebracht (teilweise nach dem Kontrastprinzip).

Die offizielle Bestätigung für den Gebrauch eines versteckten Zitats findest Du bei Künstlern eher selten. Das Zitat ist wie der sichtbare Teil eines Eisbergs, Indiz für die Beschäftigung mit dem qua Zitat Angedeuteten, ein inneres Zwiegespräch mit jemandem, und sei es mit dem Tod - vielleicht in diesem Fall auch nur der Ausdruck des Wissens um die eigene Vergänglichkeit.
.
 
Zuletzt bearbeitet:
...und wenn dann noch Anklänge (Zitatfetzen) hinzukommen, wird´s fast zu ernst in gis-Moll ;-)
(1) Bei diesem Beispiel aus Schumanns Kinderszenen zeigt sich, dass akribisches Forschen bisweilen auf Irrwege führen kann. Wenn man jede Abfolge von melodischem Voranschreiten in Sekund- und Terzabständen als potenzielles Dies-Irae-Zitat identifizieren möchte, gelingen schnell mal Entdeckungen, die gar keine sind.
(2) Allerdings hatte Schumann auch eine Vorliebe für Hintergründiges, das er offensichtlich bewusst nicht als Zitat im Notentext kennzeichnete -
... @Rheinkultur ...rate mal, warum ich das nicht als komplettes Zitat, sondern als Anklang (fragmentarisch, Zitatfetzen) bezeichnet habe... und genau das ist der Fall im 10. Stück der Kinderszenen: eine Anspielung auf, Andeutung an, Anklang an das dies irae Thema. Und einzig in fast zu ernst ist innerhalb der Kinderszenen auch der richtige Platz für eine solche memento mori Anspielung. Denn das Stück ist eine traurig-ernste Kantilene in Moll. Schau´n wir´s uns an:
fast zu ernst 1.png
bei (a tempo) sind die Töne #d-e-#c-#d-h die Anspielung - komplett müsste das Thema natürlich e-#d-e-#c-#d-h-#c-#c lauten (es hat auch einen anderen Rhythmus und erfordert auch eine andere Harmonisierung*))
Natürlich hat fast zu ernst auch ohne dass man diese Anspielung wahrnimmt seine melancholisch-ernste und traurige Stimmung - die versteckte Anspielung allerdings passt bestens thematisch (und auch in Sachen Tempo) in diese Stimmung hinein (Schumann konnte sowas!)
Wir können diese guten Gewissens als (2) bezeichnen.

Allerdings soll spaßeshalber auch (1) innerhalb der Kinderszenen Erwähnung finden:
fast zu ernst 2.png
hier im Fürchtenmachen findet sich ebenfalls die identische Intervallfolge (Töne Nr.2-6 **) des dies irae Themas), hier als h-c-a-h-g in hohem Tempo - freilich wäre es ein eklatanter Fall von (1), wenn man nun partout hier ein rasantes dies irae hineingeheimnissen wollte :lol:

________________
*) wobei schon Berlioz in Sachen Harmonisierung und Rhythmisierung des kompletten altehrwürdigen und mit seiner typischen Konnotation versehenen Themas sehr variabel und frei war.
**) der erste Teil des kompletten dies irae Themas, an welchem man dieses sofort erkennt, ist:
e-#d-e-#c-#d-h-#c-#c
von diesen 8 Tönen verwendet Schumann Nr.2 bis 6, also #d-e-#c-#d-h, um die Assoziation an das altehrwürdige Thema samt seiner funebren Konnotation anzudeuten bzw. stimmungsvoll passand darauf anzuspielen
 
Natürlich hat fast zu ernst, auch ohne dass man diese Anspielung wahrnimmt, seine melancholisch-ernste und traurige Stimmung - die versteckte Anspielung allerdings passt bestens thematisch (und auch in Sachen Tempo) in diese Stimmung hinein (Schumann konnte sowas!)
Schumann konnte sowas - und Du kannst es ihm nachweisen! Die Anspielung ist fast zu deutlich les- und hörbar. Was Du verschweigst: Die inkriminierte Tonfolge ergibt sich aus dem Hauptthema. Sie paraphrasiert dessen zweiten Teil, mit dem Vorder- und Nachsatz jeweils abschließen, den man allerdings auch schon als Allusion an das 'dies irae' empfinden kann.

Schumann, von Haus aus evangelisch-lutherisch, wie auch seine Clara, wird die Sequenz der römisch-katholischen Totenmesse nicht unbedingt aus dem Lebensalltag vertraut gewesen sein. Eher dürfte sie ihm, wie so vielen Mitteleuropäern, seit der "Symphonie fantastique" in den Ohren geklingelt haben, mit der er sich beschäftigt und über die er sich auch in der NZfM geäußert hat (1835). Entstehungszeitraum der Stücke: 1838 - kommt also zeitlich hin.

Und nu? Nix Genaues weeß mer nich, um in Schumanns Idiom zu bleiben.
 
Schumann, von Haus aus evangelisch-lutherisch, wie auch seine Clara, wird die Sequenz der römisch-katholischen Totenmesse nicht unbedingt aus dem Lebensalltag vertraut gewesen sein. Eher dürfte sie ihm, wie so vielen Mitteleuropäern, seit der "Symphonie fantastique" in den Ohren geklingelt haben, mit der er sich beschäftigt und über die er sich auch in der NZfM geäußert hat (1835). Entstehungszeitraum der Stücke: 1838 - kommt also zeitlich hin.
der Protestant Schumann darf die "katholisch" Sequenz kennen (die es schon gab, als es noch keine Protestanten gab) wie auch der Katholik Chopin den protestantischen Bach zitieren darf ;-)
Meinst du nicht, dass es einen Unterschied macht, wenn eine Intervallfolge innerhalb oder am Ende einer Phrase auftaucht, oder wenn wenn eine Phrase mit ihr beginnt? Das ist ja der Unterschied zwischen der Anspielung und den beiden Schlußkadenzen vom Vorder- und Nachsatz des Hauptthemas.
 
der Protestant Schumann darf die "katholische" Sequenz kennen (die es schon gab, als es noch keine Protestanten gab) wie auch der Katholik Chopin den protestantischen Bach zitieren darf

Gemach, gemach, nicht aufregen. Erstens gab es zu Schumanns Zeiten keine ökumenischen Gottesdienste; gemischtkonfessionelle Ehen waren nur erlaubt, wenn die Kinder katholisch getauft wurden, und in puncto Liturgie - das heißt: in der kirchenmusikalischen Praxis - hatten die Konfessionen damals praktisch keine Berührungspunkte. Du kannst Dir nicht vorstellen, was für ein Riß durch das auch konfessionell zersplitterte Deutschland ging (übrigens auch durch die protestantischen Kirchen selbst, also zwischen Lutheranern und Calvinisten) - als hätten da Mars- und Erdmännchen nebeneinander gelebt.

Der Gregorianische Choral war in den protestantischen Kirchen jener Zeit praktisch unbekannt. Außerhalb der Lutherischen Messe hätte er liturgisch auch keinen Sitz im Leben gehabt. Aber selbst dort wurde er durch Gemeindelieder ersetzt. Und in der katholischen Kirche wurde er bis zur Unkenntlichkeit entstellt; bis zu den Reformen von Solesmes dauert es noch mehr als ein halbes Jahrhundert. Es gab einen einzigen, von evangelischer Seite kommenden Einfluß: die Entwicklung und verstärkte Präsenz des nationalsprachigen Gemeindelieds in der latenischen Messe - zu bestimmten Anlässen.

Über den konfessionellen Tellerrand hinausgeschaut hat das Bildungsbürgertum, z.B. Anton Friedrich Thibaut, der Ur-Caecilianist, großer Liebhaber der vorbarocken Kirchenmusik - ein Lutheraner! Von ihm (dem Bildungsbürgertum) ging eine Bewegung aus, die die Kirchen im wahrsten Wortsinne aufeinander hören ließ - gegen immer noch starke innerkirchliche Widerstände vor allem auf katholischer Seite.

Außerhalb der Kirche haben Musiker (wie der von Dir genannte Chopin zum Agnostizismus oder zu sonstwas neigend) natürlich vor Nix Berührungsängste gehabt. Bach wurde rezipiert, als guter Komponist, nicht als frommer Lutheraner. Aber der Kulturexport zwischen Musikern evangelischer und katholischer Abstammung war immer noch ziemlich einseitig, d.h. es wurde entschieden mehr Bach als Palestrina oder Gregorianik rezipiert (Ich rede jetzt von den deutschsprachigen Landen. Im katholischen Frankreich sieht das ganz anders aus, erkennbar daran, daß die Modalität in der Kunstmusik dort viel stärker präsent ist).

Unser Gespräch ist wirklich anregend; ich weiß nicht, ob es schon Arbeiten über dieses Thema gibt. Ich lasse mich gern belehren, aber bis zum Beweis des Gegenteils behaupte ich, daß die plötzliche Popularität des 'dies irae'-Themas in nicht katholisch dominierten Ländern (vom Zarenreich ganz zu schweigen) mit Berlioz' Symphonie zusammenhängt.

Meinst du nicht, dass es einen Unterschied macht, wenn eine Intervallfolge innerhalb oder am Ende einer Phrase auftaucht, oder wenn wenn eine Phrase mit ihr beginnt? Das ist ja der Unterschied zwischen der Anspielung und den beiden Schlußkadenzen vom Vorder- und Nachsatz des Hauptthemas.

Nö, das ist der hineinzumogelnden Allusion ziemlich wurscht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Außerhalb der Kirche haben Musiker (wie der von Dir genannte Chopin zum Agnostizismus oder zu sonstwas neigend) natürlich vor Nix Berührungsängste gehabt. Bach wurde rezipiert, als guter Komponist, nicht als frommer Lutheraner. Aber der Kulturexport zwischen Musikern evangelischer und katholischer Abstammung war immer noch ziemlich einseitig, d.h. es wurde entschieden mehr Bach als Palestrina oder Gregorianik rezipiert (Ich rede jetzt von den deutschsprachigen Landen. Im katholischen Frankreich sieht das ganz anders aus, erkennbar daran, daß die Modalität in der Kunstmusik dort viel stärker präsent ist).

Unser Gespräch ist wirklich anregend; ich weiß nicht, ob es schon Arbeiten über dieses Thema gibt. Ich lasse mich gern belehren, aber bis zum Beweis des Gegenteils behaupte ich, daß die plötzliche Popularität des 'dies irae'-Themas in nicht katholisch dominierten Ländern (vom Zarenreich ganz zu schweigen) mit Berlioz' Symphonie zusammenhängt.
Gut möglich, dass Berlioz´ aufsehenerregende Sinfonie das dies irae Thema sinfonisch salonfähig gemacht hat :-) (auf jeden Fall scheint der dies irae Anklang in Haydns 103. Sinfonie einerseits als "Zitat" nicht sonderlich überzeugend, andererseits scheint das lange Zeit niemandem sonderlich aufgefallen zu sein) -- aber das betrifft die zitierende oder variierende Verwendung des Themas.
Ich habe aber den Eindruck, dass weder die lat. Totenmesse noch die gregorianische Melodie zur dies irae Sequenz unbekannt waren. Der mächtige Vatikan zankte sich mit Rossini und verbot die Aufführung dessen Stabat Mater im Petersdom (oder so ähnlich), aber weder Berlioz 1830 noch Liszt 1849 wurden wegen der grellen Verwendung der Melodie exkommuniziert. Freilich erstaunt, dass in den Vertonungen der Totenmesse ausgerechnet die alte Melodie kaum vorkommt.
Auf jeden Fall erschien Schumann das Zitat des dies irae Themas und die verzerrenden Variationen desselben in Berlioz´ Sinfonie nicht als sonderliches Sakrileg:
In der letzten Abtheilung bringt er das Dies irae erst in ganzen, dann in halben, dann in Achtel-Noten; die Glocken schlagen dazu in gewissen Zeiträumen Tonica und Dominante an. Die folgende Doppelfuge (10) (er nennt sie bescheiden nur ein Fugato) ist, wenn auch keine Bachsche, sonst von schulgerechtem und klarem Baue. Das Dies irae und Ronde du Sabbat werden gut in einander verwebt (11). Nur reicht das Thema des letzten nicht ganz aus und die neue Begleitung ist so commod und frivol wie möglich, aus auf- und niederrollenden Terzen gemacht. Von der dritt-letzten Seite an geht es kopfüber, wie schon öfter bemerkt; das Dies irae fängt noch einmal pp an. Ohne Partitur kann man die letzten Seiten nur schlecht nennen.
(...)
Fünfte Abtheilung. Traum in einer Sabbathnacht. Er sieht sich inmitten gräulicher Fratzen, Hexen, Mißgestalten aller Art, die sich zu seinem Leichenbegängnisse zusammengefunden haben. Klagen, Heulen, Lachen, Wehrufen. Die geliebte Melodie ertönt noch einmal, aber als gemeines, schmutziges Tanzthema: sie ist es, die kommt. Jauchzendes Gebrüll bei ihrer Ankunft. Teuflische Orgien. Todtenglocken. Das Dies irae parodirt.
(...)
Wollte man gegen die ganze Richtung des Zeitgeistes, der ein Dies irae als Burleske duldet, ankämpfen, so müßte man wiederholen, was seit langen Jahren gegen Byron, Heine, Victor Hugo, Grabbe und ähnliche geschrieben und geredet worden. Die Poesie hat sich, auf einige Augenblicke in der Ewigkeit, die Maske der Ironie vorgebunden, um ihr Schmerzensgesicht nicht sehen zu lassen; vielleicht daß die freundliche Hand eines Genius sie einmal abbinden wird
(zu schweigen davon, dass die komplette Rezension Schumanns mehr als nur lesenswert ist!) Heines Rezension der Uraufführung herauszusuchen bin ich gerade zu träge - dort wird der letzte Satz samt seiner Verwendung des dies irae Themas als schwarze Messe im Sinn der teuflischen Parodie der heiligen Messe bezeichnet, Heine findet sehr treffendes zur schwarzen Romantik - - - na kurzum: weder bei Schumann noch bei Heine besteht das sensationelle und innovative der Berliozschen Sinfonie in diesem Zitat des dies irae Themas. Und auch die Konfessionsgrenzen innerhalb des deutschen Bundes werden nicht erwähnt.
 
Ich habe aber den Eindruck, dass weder die lat. Totenmesse noch die gregorianische Melodie zur dies irae Sequenz unbekannt waren.
Du Spaßvogel, selbst für einen nur wenig praktizierenden Katholiken war die Sequenz so bekannt wie ein Gassenhauer: als fester Bestandteil der vorkonziliaren 'Missa pro defunctis'. Angesichts der hohen (Kinder-)Sterblichkeit und des engeren großfamiliären und nachbarschaftlichen Zusammenhalts hatte man wohl -zig Mal im Jahr das Vergnügen, sie zu hören.

Aber die Frage war doch, ob der Text und die Melodie im nichtromanischen/nicht-katholisch-slawischen Kulturraum zum protestantischen Bildungsgut gehörten, vor 1830 - und zwar so, daß ein Komponist auf die Idee kommen konnte, sich ihrer Semantik als eines Verständigungsmittels zu bedienen. Da habe ich begründete Zweifel (siehe oben) und Du bis jetzt keinen Beleg.

Der mächtige Vatikan zankte sich mit Rossini und verbot die Aufführung, dessen Stabat Mater im Petersdom (oder so ähnlich), aber weder Berlioz 1830 noch Liszt 1849 wurden wegen der grellen Verwendung der Melodie exkommuniziert.
Das wiederum überrascht gar nicht. Auch dem Vatikan und der Glaubenskongregation waren das Hemd näher als die Hose. Bei "unbotmäßiger" Kirchenmusik haben sie von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht, und zwar stante pede. Was sich dagegen in irgendwelchen transalpinischen Konzertsälen abspielte, bekamen sie gar nicht mit oder interessierte sie bestenfalls mit dem Abstand von ein paar Jahrzehnten.

Auf jeden Fall erschien Schumann das Zitat des dies irae Themas und die verzerrenden Variationen desselben in Berlioz´Sinfonie nicht als sonderliches Sakrileg
was man von dem ausgesprochen großherzigen (und wie gesagt: von Haus aus lutherischen) Schumann auch schlecht erwarten konnte.

na kurzum: weder bei Schumann noch bei Heine besteht das sensationelle und innovative der Berliozschen Sinfonie in diesem Zitat des dies irae Themas.
Was ja auch niemand behauptet hat. Es ging um die Frage, ob Berlioz die nachfolgende epidemische Verwendung der Sequenz-Melodie als bildungsbürgerliches "Spiel mir das Lied vom Tod" ausgelöst hat (meine Hypothese) oder ob dergleichen unabhängig von ihm geschehen ist - dann als Beleg bitte exzessiv viel nichtliturgische Kunstmusik am besten aus der Zeit vor 1830.

Und auch die Konfessionsgrenzen innerhalb des deutschen Bundes werden nicht erwähnt.
Wozu müssen Heine und Schumann das thematisieren? Ich habe es thematisiert, um zu erklären, wie konfessionell-eingeigelt die Kirchenmusik im krähwinkligen präcaecilianistischen Deutschland gewesen ist.
 
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